Es gab einen “Verfahrensfehler im Fall Hasselmann.“ Jetzt sollen Zeugen gehört und ein Urteil gesprochen werden, fordert die Nordkirche.
Ahrensburg. Das Landeskirchenamt der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland (Nordkirche) will den Fall des Ahrensburger Ruhestandsgeistlichen Friedrich Hasselmann noch einmal aufrollen und legt Rechtsmittel ein. Sie beantragt bei der Disziplinarkammer des unabhängigen Kirchengerichts, den Beschluss vom 20. November aufzuheben. An diesem Tag hatte das Gericht unter Vorsitz des Reinbeker Amtsgerichtsdirektors Bernd Wrobel das Disziplinarverfahren gegen Hasselmann eingestellt.
Dem Richter genügten die Akteneinsicht und die Äußerungen von Hasselmann. Zeugen wurden nicht gehört. Hier setzt die Begründung des Landeskirchenamtes. Es fordert, die mündliche Verhandlung erneut zu eröffnen. "Das Gericht hätte das Verfahren nicht einstellen dürfen, nachdem die mündliche Verhandlung bereits eröffnet worden war", sagt der Pressesprecher der Nordkirche, Frank Zabel.
Der im Disziplinargesetz der Vereinigten Evangelisch-Lutherischen Kirche in Deutschland vorgesehenen Verfahrensablauf hätte befolgt werden, die mündliche Verhandlung fortgesetzt und am Ende ein Urteil stehen müssen. Genau das sei nicht erfolgt. Zabel: "Das Landeskirchenamt sieht hier einen schwerwiegenden Verfahrensfehler." Die Nordkirche hatte das Disziplinarverfahren gegen Hasselmann angestrengt und im November 2011 über ihre Anwälte beantragt, den Ruhestandsgeistlichen wegen "erheblicher Amtspflichtverletzungen" aus dem Dienst zu entfernen. Im Mittelpunkt standen Vorwürfe im Zusammenhang mit dem Missbrauchsskandal um den ehemaligen Pastor Dieter Kohl, der im Jahr 2010 gestanden hatte, in den 80er-Jahren Jugendliche missbraucht zu haben.
Das Gericht folgte dem Antrag nicht. Die Kirche kündigte an, die schriftliche Begründung vom Amtsgerichtsdirektor Wrobel zu prüfen und gegebenenfalls gegen den Beschluss vorzugehen. Am 6. Dezember war die Begründung des Gerichtes bei der Nordkirche eingegangen. Nun geht sie gegen den Beschluss vor, ohne die volle Frist von zwei Wochen auszuschöpfen.
Ein Zeichen dafür, dass sie sich sicher fühlt? "Ein Blick ins Disziplinargesetz zeigt eindeutig, wie das Verfahren hätte laufen müssen", sagt dazu der stellvertretende Pressesprecher der Nordkirche, Matthias Benkert. Die Frage, wie hoch die Chancen der Kirche seien, könne er jedoch nicht beantworten. Benkert: "So einen Fall hat es bisher noch nicht gegeben. Das ist für alle Neuland."
Tatsache ist, dass die Disziplinarkammer selbst darüber entscheiden wird, ob sie erneut verhandelt oder nicht. So fordert die Nordkirche einen personellen Wechsel. Frank Zabel: "Für das weitere Verfahren werden der Vorsitzende und die weiteren vier Richterinnen und Richter der Disziplinarkammer wegen Besorgnis der Befangenheit vom Landeskirchenamt abgelehnt."
"Wir besprechen zurzeit das weitere Vorgehen", sagt dazu der Vorsitzende Richter Bernd Wrobel. Im Disziplinargesetz der Kirche sei "nur sehr unklar geregelt", wie jetzt zu verfahren sei. Möglich wäre, das sich eine Ersatz-Besetzung der Disziplinarkammer mit der Sache befasse. Den Beschluss vom 20. November verteidigt er: "Die ganze Kammer stand dahinter. Und selbstverständlich haben wir nicht befangen entschieden. Ob das eine Entscheidung gewesen ist, die Rechtsfrieden in Ahrensburg herstellt, ist eine andere Frage." Er habe aber auch das Entgegenkommen des Landeskirchenamtes vermisst. Andere Sanktionen wären möglich gewesen. Eine Enthebung aus dem Dienst, mitsamt dem Verlust der Pensionsansprüche, habe die Kammer als zu hart empfunden. Helgo Matthias Haak, Pastor an der Schlosskirche: "Ich halte das Vorgehen des Landeskirchenamtes für folgerichtig." Die Entscheidung, das Verfahren einzustellen, habe "Entsetzen und Sprachlosigkeit" in der Bevölkerung hervorgerufen. Für Haak hat das Vorgehen des Landeskirchenamtes Aussicht auf Erfolg. Haak: "Da sitzen Juristen, die wissen, was sie tun."
Ähnlich sieht es Anselm Kohn, Stiefsohn von Pastor Dieter Kohl und Mitbegründer des Vereins Missbrauch in Ahrensburg: "Die eingelegten Rechtsmittel konnten aus meiner Sicht nur die logische Folge sein." Für Betroffene und Zeugen, die sich als Auskunftspersonen zur Verfügung gestellt haben, wurde die lange Zeit der Ungewissheit durch den offensichtlichen "Schweinsgalopp" der Verfahrenseinstellung abgelöst. Kohn: "Dies entbehrt jedweden christlichen Ansatzes für die Bewertung sehr umfangreicher und komplexer Sachverhalte. Es wird für viele gut sein, dass noch einmal richtig hingesehen wird."
"Ich halte die Entscheidung des Gerichtes für absolut in Ordnung", sagt dagegen Hasselmanns Anwalt Heinz Wagner. Der Versuch des Kirchenamtes, das mündliche Verfahren wieder zu eröffnen, hält er für "rechtsirrig". Wagner: "Die Kirche verfehlt offenbar jeden Schritt zur Versöhnung."