14 Zwölftklässler der Sachsenwaldschule in Reinbek sind bei einer Exkursion nach Brüssel zu Europa-Experten geworden.

Reinbek. In Brüssel sind nur "Eurokraten" am Werk, die nichts tun. Abgeordnete, die keine Entscheidungen treffen und wenn doch, dann nur über den Grad der Gurkenkrümmung. Solche und ähnliche Ansichten stellt Hans-Jürgen Otto, Lehrer und Europabeauftragter der Sachsenwaldschule in Reinbek, häufig bei Schülern fest. "Wir wollen diese Vorurteile bei den Jugendlichen abbauen, indem wir ihnen verdeutlichen, was die Europäische Union für sie tut", sagt der Pädagoge. Und die beste Möglichkeit dafür ist wohl, ihnen zu ermöglichen, sich direkt vor Ort ein Bild von der Lage zu machen.

14 Zwölftklässler des Gymnasiums sind deshalb ins Brüsseler Europaviertel gereist. Die Schüler haben das Hanse-Office, die gemeinsame Vertretung der Bundesländer Hamburg und Schleswig-Holstein bei der EU, besucht. Sie haben etwas über die Europäische Kommission und den Europäischen Rat erfahren und mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments gesprochen, zum Beispiel mit Reimer Böge. "Er hat uns berichtet, dass man für das Amt eine große Leidenschaft mitbringen muss, weil man kaum noch Freizeit hat", sagt Schüler Moritz Kolbe. "Die Abgeordneten arbeiten oft bis 22 Uhr."

Als Höhepunkt durften die Reinbeker bei einer Sitzung des Haushaltsausschusses dabei sein. "Normalerweise kommen Besucher dort nicht rein", sagt Hans-Jürgen Otto. "Die Schüler haben extra eine Journalisten-Akkreditierung bekommen." Ausgestattet mit Kopfhörern konnten sie die Übersetzungen der Dolmetscher hören und so die Reden der Europapolitiker verfolgen. "Es war sehr spannend und beeindruckend", sagt Moritz. "Überall um uns herum waren Glaskabinen mit Dolmetschern." Am meisten überrascht habe ihn der höfliche Umgangston der Abgeordneten untereinander. "Es war alles sehr familiär", ergänzt seine Mitschülerin Nina Weimann. Die Beiden sind dank ihres Brüssel-Besuchs zu Europa-Experten geworden. Für die Abendblatt-Leser erklären sie die EU:

Welche Entscheidungen trifft die Europäische Union?

Von ihrem Lehrer Hans-Jürgen Otto wissen die Zwölftklässler, dass sie dank der EU nun Kosten sparen, wenn sie im Ausland unterwegs sind und ihre Handys benutzen. Denn die Europapolitiker haben Obergrenzen für Telefongespräche, SMS und mobiles Surfen im Internet innerhalb der EU festgelegt.

Die Schüler haben bei ihrer Exkursion aber noch mehr erfahren: "Es gibt Verordnungen und Richtlinien", sagt Moritz. "Verordnungen gelten für alle EU-Länder und müssen sofort umgesetzt werden. Bei Richtlinien haben die Länder länger Zeit, sich anzupassen - häufig sogar mehrere Jahre." Bei der Höchstgrenze der Handykosten handelt es sich um eine Verordnung, ein Beispiel für eine Richtlinie sind die sogenannten 20-20-20-Ziele. Sie legen fest, dass bis zum Jahr 2020 der Ausstoß von Treibhausgasen wie Kohlendioxid und auch der Energieverbrauch um jeweils 20 Prozent gesenkt werden sollen. Zudem soll der Anteil der erneuerbaren Energien bis 2020 europaweit bei mindestens 20 Prozent liegen.

Was ist das Hanse-Office und welche Aufgaben haben die Mitarbeiter?

Ihre Exkursion führte die Schüler auch ins Hanse-Office. "Es vertritt die Interessen der Bundesländer Schleswig-Holstein und Hamburg bei der EU", sagt Moritz. "Es hat die Aufgabe, anzuregen, dass sich die Europaabgeordneten mit bestimmten Themen beschäftigen, die für Schleswig-Holstein und Hamburg von Bedeutung sind. Dazu zählen etwa die Fischerei, der Naturschutz des Wattenmeers und Windenenergieprojekte." Insgesamt gibt es in Brüssel rund 300 solcher Vertretungen, eine für jede Region Europas.

"Bei unserer Landesvertretung arbeiten etwa 15 Mitarbeiter. Leider haben sie im Vergleich zu einigen anderen nicht so einen großen Einfluss", sagt der 17-Jährige. Die Mitarbeiter haben aber auch die Aufgabe, an die Bundesländer weiterzugeben, mit welchen Gesetzen sich die Europolitiker gerade beschäftigen. Moritz: "Auf diese Weise können sich die Länder frühzeitig darauf einstellen, was auf sie zukommt." Zudem ist das Hanse-Office Ansprechpartner für die drei Europaabgeordneten aus Schleswig-Holstein.

Was unterscheidet Kommission, Rat und Parlament?

Bei ihrem Besuch des Hanse-Offices wurden die Schüler auch über die Unterschiede zwischen Europäischer Kommission, Europäischem Rat und Europäischem Parlament aufgeklärt. "Die Europäische Kommission überlegt sich neue Gesetzesvorlagen, wenn sie merken, dass etwas nicht so gut läuft und verändert werden muss", sagt Nina. "Die Vorschläge werden dann auf den Tisch gelegt und diskutiert." Die Kommission hat 27 Mitglieder, eines aus jedem EU-Land. "Anschließend legen sie die Entwürfe dem Europäischen Rat vor. Der kann sie dann genehmigen oder ablehnen", sagt die 18-Jährige.

Im Europäischen Rat sitzen die Staats- und Regierungschefs der 27 EU-Länder. Die letzte Entscheidung über die Verordnungen und Richtlinien liegt beim Parlament. Die EU-Bürger wählen, welche Abgeordneten dort vertreten sind. Die Zahl der Abgeordneten, die die einzelnen Länder stellen dürfen, orientiert sich an der jeweiligen Bevölkerungszahl. "Deutschland hat 99 Abgeordnete", sagt Moritz. "Damit die kleineren Länder nicht komplett machtlos sind, bekommen zum Beispiel die Malteser mit sechs Abgeordneten einige mehr, als ihnen nach ihrer Bevölkerungszahl zustehen würden."

Neben dem Parlament gibt es zurzeit 20 ständige Ausschüsse, darunter auch der Haushaltsauschuss, den die Reinbeker besucht haben. Moritz: "Das Parlament folgt meist den Vorschlägen der Ausschüsse, weil es selbst nicht so ein großes Fachwissen hat."

Die Exkursion hat bei den Reinbeker Schülern eine Begeisterung für Europa entfacht. Moritz erwägt, später einmal Journalist zu werden. "Ich würde dann gern über europäische Themen berichten", sagt er. "Es wäre daher interessant, mal beim Hanse-Office ein Praktikum zu machen."