Kirsten Fehrs und Gerhard Ulrich üben sich in Selbstkritik bei der Aufarbeitung des Missbrauchsskandals aus Ahrensburg.

Ahrensburg. Schonungslos selbstkritisch hat sich die Nordkirche beim Buß- und Bettagsgottesdienst in der Schlosskirche mit den Missbrauchsfällen in der Ahrensburger Kirchengemeinde auseinandergesetzt. "Sie haben nicht gewartet, sind nicht draußen vor der Tür geblieben, sondern sind der Kirche aufs Dach gestiegen", sagt Bischöfin Kirsten Fehrs an diesem Abend an die Menschen gerichtet, die in den 80er-Jahren Opfer sexueller Übergriffe durch Geistliche geworden sind. Fehrs: "Das war nötig."

Zum zweiten Mal ist Fehrs mit ihrem Kollegen Bischof Gerhard Ulrich in die Schlossstadt gekommen, um über einen bisher einzigartigen Skandal in der evangelischen Kirche zu sprechen - zunächst im Gotteshaus und anschließend direkt mit Gemeindegliedern im benachbarten Hotel am Schloss.

Schlosskirche, 19.30 Uhr: Die beiden Bischöfe beginnen ihre Predigt mit einer Geschichte aus dem Markus-Evangelium: Vier Männer wollen einen Gelähmten zu Jesus tragen, damit dieser ihn heilen kann. Doch das Haus ist so voll, es gibt kein Durchkommen. Deshalb steigen die Männer aufs Dach, zerbrechen lautstark Ziegel und bringen den Gelähmten durch die entstandene Öffnung ins Gebäude.

Zahlreiche Menschen verfolgen in der fast vollbesetzten Kirche, wie die Bischöfe die Heilungsgeschichte aus der Bibel auf die Missbrauchsfälle übertragen. "Es braucht mindestens vier, die uns Gelähmte tragen", sagt Fehrs. "Die Institution Kirche, wenn die Bürokratie einen fertig macht mit ihrer Behäbigkeit. Die Gemeinde, wenn sie es so satt hat, nur und immer mit dem Missbrauch verbunden zu werden. Aber auch die Betroffenen, wenn die Kraft nachlässt." Deshalb brauche es Menschen, die sich trauten, Krach zu machen und die immer wieder sagten, dass es sie auch noch gebe. Menschen, die beherzt das Dach abdeckten, weil es nicht anders gehe.

Auch Gerhard Ulrich findet deutliche Worte. Mit lauter Stimme sagt er: "Spektakuläre Aktionen sind nötig gewesen, um die Fälle von Missbrauch durch einen Pastor dieser Gemeinde zur Sprache zu bringen. Spektakuläre Aktionen sind nötig gewesen, um das Versagen von Dienstaufsicht und verantwortlichem Handeln in der Kirchenverwaltung zur Sprache zu bringen." Es habe richtig etwas aufgebrochen werden müssen im Denken und in den Strukturen, damit hingesehen werde.

Der Bischof spricht stellvertretend für die Kirche. Er sagt: "Wir in der Kirche waren zuerst erschrocken über das, was da bröckelte und aufbrach." Sie hätten Angst davor gehabt, was noch alles einstürzen könnte. "Wir wussten nicht, wie wir damit umgehen sollten, dass da von oben und von außen auf Vorgänge gesehen wurde, die doch eigentlich dem Dienstrecht und der Verschwiegenheit unterliegen", sagt Bischof Ulrich. "Wir waren wie gelähmt." Dabei sei das, was ihnen von oben vor die Füße gelegt wurde, ihre eigene Erstarrung und ihre Unfähigkeit gewesen, die notwendigen Schritte zu tun. "Es war auch eine Lähmung, als wir gewahr wurden, dass einige nur an das Ansehen der Kirche gedacht haben, aber die schreckliche Zerstörung von Menschen nicht haben wirklich gelten lassen", sagt Ulrich. Einige hätten Dienstrecht und Verfahrensregeln missachtet, nur um "die Sache" vom Tisch zu kriegen und dabei die Tragweite des Geschehens verkannt.

"Es wird eine Wunde in unserer Kirche zurückbleiben, die immer wieder schmerzen wird", sagt der Bischof. Dann bittet er die Besucher, sich jeweils einen Teil eines Dachziegels zu nehmen und nach vorn zum Kreuz zu bringen. Mit diesem Schritt sollen sie symbolisch das ablegen, was sie beschäftigt, belastet und traurig macht. Nach anfänglichem Zögern stehen immer mehr Menschen auf, um Ziegel nach vorn zu bringen. Am Ende war fast die Hälfte der Besucher vorn am Kreuz.

Bei den Menschen kommt die Offenheit von Fehrs und Ulrich gut an. "Es war ein fabelhafter Gottesdienst", sagt Dörte Lahann. "Ich finde es gut, dass die Bischöfe noch einmal nach Ahrensburg gekommen sind, sich stellvertretend für die Kirche vorn hingestellt und Schuld eingestanden haben." Auch der Ruhestandsgeistliche Wilfried Pioch, der von 1968 bis 1996 Pastor in Ahrensburg war, lobt den seiner Ansicht nach sehr eindrucksvollen Gottesdienst. "Es gab endlich mal nicht nur Anklage, sondern auch ein eigenes Schuldbekenntnis der Kirche", sagt er. Ihm habe zudem die Idee gefallen, die Gemeinde mit den Ziegelsteinen zu beteiligen. Pioch: "Da konnte sich jeder Besucher überlegen, ob er Schuld oder Wut ablegen wollte."

Mit Horst Klingspor war ein weiterer Pastor im Ruhestand anwesend. Er sagt: "Es wurden klare Worte gesprochen. Das war sehr hilfreich, auch für die Opfer, die anwesend waren."