Ahrensburg. Zwischen den Worten von Kirsten Fehrs war es so still in der Schlosskirche, dass man die sprichwörtliche Stecknadel hätte fallen hören können. Mit teils sehr bewegter Stimme las Hamburgs Bischöfin am Buß- und Bettag in Ahrensburg aus Briefen von vier Missbrauchsopfern vor. Von vier Menschen, die beim Gottesdienst am Mittwochabend anwesend waren, die aber unerkannt bleiben wollten. Das war auch der Grund dafür, warum während des Gottesdienstes in der Kirche nicht fotografiert werden durfte. Die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn dokumentiert die eindrucksvollen Gedanken der Opfer auf dieser Seite (siehe auch Textspalte rechts) so, wie sie verlesen wurden.

"Nachträglich lässt sich nichts mehr gutmachen"

"Der Missbrauch ist in dem, was er anrichtet, auf der Opferseite ganz individuell. Ich selbst habe meinen Missbrauch viele Jahre ganz erfolgreich verdrängt. Und ich habe mich ihm... erst weitgehend öffnen wollen, als mich eine von anderer Seite ausgelöste Lebenskrise von den Beinen geholt hat. Ich bin mir übrigens bis heute sicher, besser gesagt, ich weiß es, dass die Opfer, die sich gemeldet haben, nicht alle sind. Es wird etliche geben, die sich nicht melden können oder wollen, weil sie zu der dann beginnenden Auseinandersetzung mit sich selbst eben nicht bereit sind. Oder aus anderen Motiven. Die dürfen wir aber nicht vergessen.

Ich persönlich bin erst am Anfang - immerhin nicht mehr ganz am Anfang - zu verstehen, was mein Missbrauch in mir ausgelöst hat, ob er eine und welche Bedeutung er... für mein Sein als Mensch gehabt hat. Es ist dabei sehr hilfreich zu hören, dass dies von mir inzwischen gewünscht und es unterstützt wird, jedenfalls nicht nicht gewünscht wird. Das ist großes Verdienst... aller, die bereit sind, daran mitzuwirken.

Aber das Misstrauen war und ist bei mir groß, am Ende nur ein Teil eines rückschauend institutionalisiert bewerteten Aufarbeitungsprozesses zu sein, in dem es nicht um die Individualität meines Falls und derjenigen der anderen Opfer geht, sondern darum, dass die Kirche und die Gemeinde die Sache sauber abgearbeitet haben.

Ich habe die große Hoffnung, dass auch in der Ahrensburger Gemeinde dieser Aspekt irgendwann mehrheitlich gesehen und verstanden wird. An dem, was in Ahrensburg passiert ist, lässt sich nachträglich nichts mehr gutmachen. Es lässt sich individuell das eine oder andere lindern; und es ist enorm wichtig, dass zumindest das nun ernsthaft von der Kirche angegangen werden soll.

Und ich als Opfer habe die Aufgabe, mitzutun, nicht nur an meiner eigenen Genesung, sondern auch an der Genesung der Ahrensburger Gemeinde... Das Mittun beschränkt sich allerdings darauf, dass ich wildfremden Menschen über Innerstes berichte, soweit ich will und kann. Das ist nicht leicht, trotzdem es die Schweigepflicht gibt, deren Beachtung enorm wichtig ist.

Was neben Vergebung und Linderung an Chance da ist, nämlich... Wege aufzuzeigen, wie... solch Missbrauchsexzess,... von dem viele gewusst und von dem noch mehr geahnt haben, möglichst nicht an einem anderen Ort wieder geschehen kann.

Das erfordert große Ehrlichkeit, Radikalität, Abkehr von lieb gewonnenen Vorstellungen, nämlich - aus meiner Sicht - eine echte Auseinandersetzung mit den Risiken und falschen Verlockungen seelsorgerischer Arbeit!"

(Brief eines betroffenen Mannes)

"Anklage und heftige Wut - das muss alles raus"

"Umkehr ist möglich, wenn wir uns dafür entscheiden beziehungsweise öffnen. Das Wirken, die Passion und die Auferstehung von Jesus, nachdem er gekreuzigt, gestorben und begraben war, ist dabei die Quelle und der Kompass für innere Umkehr.

Innere Umkehr geschieht als Prozess und innere Bewegung, wenn ich beginne, meiner eigenen Vergebungsbedürftigkeit ehrlich ins Auge zu blicken und aufhöre, auf das Versagen und die Schuld der anderen zu zeigen. Ja, es haben viele was gewusst .... vergebt Euch selbst... das ist der erste Schritt... Gott guckt aufs Herz und die Absicht... auch die des damaligen Handelns. Das Beharren auf der Opferrolle dagegen hält... in dem Status der Unbeweglichkeit. Umkehr ist jedoch mit Bewegung verbunden... Bewegung ist sogar Voraussetzung dafür...

Die Kirche ist kein Turnverein. Das Leitbild von Handeln ist der christliche Glaube. Der Gemeinde... sollte professionelle fundierte Hilfe von außen zur Verfügung gestellt werden, auch um spirituelle Orientierung zu finden beziehungsweise neu zu beleben.

Die Einsetzung der unabhängigen Kommission ist dazu ein ganz wichtiger Schritt. Und: Es braucht Raum für das wirkliche Menschsein im kirchlichen Umfeld. Auch für Zorn, Anklage und heftige Wut... das muss alles raus..., gesagt werden dürfen, ohne moralischen Zeigefinger (meistens ist es ja der eigene)... und wenn dann alles gesagt ist, nach dieser Leere... braucht es eine Vision, wie diese zu füllen ist...(bitte nicht wieder mit dem ewig Gleichen)... Das ist Umkehr!

Halten Sie also bitte an dem Bild von Vergebung und Heilung einer sich bewegenden tragfähigen Gemeinde und einem konstruktiven Ausgang (Umkehr) fest. Beten Sie dafür. Bleiben Sie in diesem Selbstreinigungsprozess in der... Haltung, dass aus dieser schweren Krise etwas Heilsames wachsen wird... Sie haben alle Möglichkeiten durch die Heilige Schrift und ihre Kompetenz... Den Rest macht sowieso ein anderer."

(Brief einer betroffenen Frau)

"Umkehren geht nicht mehr, aber verändern"

"Umkehren" - ich denke, das geht nicht (mehr), aber verändern, Notwendendes entwickeln, vergeben, neue Wege begehen, das ist möglich und nötig und, wie ich es wahrnehme, auf einem guten Weg."

(Brief eines betroffenen Mannes)

"Aus dem Wunsch nach Rache aussteigen"

"Ich glaube, dass eine Umkehr langfristig möglich ist, wenn wir alle etwas bewusster mit unserer eigenen Fehlbarkeit umgehen und die Verantwortung für unsere Versäumnisse, aber auch für unser eigenes Wohlbefinden nicht auf andere Menschen abwälzen... Die Auseinandersetzung mit dem Thema Vergebung empfinde ich für mich persönlich als eine sehr große, aber auch eine sehr bereichernde Herausforderung und wünsche mir, dass sich auch in Ahrensburg viele Menschen diesem Thema öffnen. Und zwar..., um die eigenen Verletzungen zu heilen und aus dem Kreislauf des Verletztseins, des Grolls, der Bitterkeit und dem Wunsch nach Rache auszusteigen...

Ich habe das Gefühl, dass auch auf Kirchenleitungsebene eine Umkehr stattgefunden hat. Eine Umkehr, sich den Vorwürfen zu stellen und Verantwortung zu übernehmen. Das tut gut! Ich wünsche mir, dass dieser Weg im Sinne der Betroffenen fortgesetzt wird und dass die positiven Signale auch in Ahrensburg gesehen werden. Vielleicht kann dann auch vor Ort eine Umkehr stattfinden. Voraussetzung dafür ist, dass man bereit ist, das Gute auch zu sehen.

(Brief einer betroffenen Frau)