Serie im Abendblatt: Jeden Sonnabend stellen wir Vereine und ihre Mitglieder vor. Heute: Der Verein Jordsand in Ahrensburg.

Am Anfang gibt es eine erschütternde Entdeckung: Am Strand im Norden der Nordseeinsel Sylt liegen 20 tote Seeschwalben, offenbar erschossen. Wenig später findet der Hamburger Lehrer Franz Dietrich auf der benachbarten Hallig Jordsand Patronenhülsen. Dietrich ist bestürzt über den Umgang mit der Vogelwelt am Beginn des 20. Jahrhunderts. Über das Erlebte schreibt er Jahre später: "Solcher Art waren früher die 'Belustigungen' der Badegäste. Hat doch ein Hotelbesitzer auf einer der nordfriesischen Inseln noch eine Reihe von Jahren später zur Empfehlung seines Hauses 'Möwenschießen' angeführt." Dietrich wendet sich an den Vorstand des Deutschen Vereins zum Schutze der Vogelwelt und gründet 1907 den "Verein Jordsand zum Schutze der Seevögel und der Natur". Dietrich: "So war die Gründung des Vereins Jordsand eine Rettung für die traurigen Reste unserer Seevogelwelt in allerletzter Stunde."

Uwe Schneider, seit 1965 Vereinsmitglied und langjähriger Vorsitzender, hat sich intensiv mit den Gründungsvätern und der Entstehungsgeschichte des Vereins beschäftigt. "Treibende Kraft für die Gründung war der Professor Carl Hennicke, ein Augenarzt aus Gera. Dietrich haben sie zum Vorsitzenden gemacht, weil er in Hamburg wohnte." Hennicke sei es auch gewesen, der angeregt habe, das Wattenmeer zu einem Nationalpark nach dem Vorbild des Yellowstone-Nationalparks in den USA zu machen. Nicht nur die schreckliche Touristenbelustigung steht also am Beginn des Vereins Jordsand, sondern auch Visionäre des Naturschutzes. Hennickes Gedanke wurde schließlich 1985 in die Tat umgesetzt, als der schleswig-holsteinische Landtag das Wattenmeer an seiner Nordseeküste zum Nationalpark erklärte.

Zu dieser Zeit war Uwe Schneider Geschäftsführer des Vereins und bereits 20 Jahre Mitglied. "Die Vereinsarbeit war nie einfach, wir hatten in den 60er-Jahren nicht viel Geld und wenig Leute", erinnert sich Schneider. "Als ich anfing hatten wir 400 Mitglieder. Der Verein betreute neun Schutzgebiete", so der 73-Jährige. Heute sind 2845 Mitglieder aktiv, der Verein betreut 22 Schutzgebiete in Norddeutschland.

"Trotz der knappen Mittel hat es immer auch Spaß gemacht", sagt Schneider. Er erinnert sich an Fahrten des Vereins nach Russland oder Aktionen wie Hilfskonvois nach Estland. "Wir haben dort bereits 1989 eine Jugendgruppe gegründet, da hatten die Esten alle noch einen russischen Pass." Besonders die internationale Jugendarbeit habe ihm viel Freude gemacht.

Die ist ihm heute jedoch offenbar vergangen. Zwar ist das langjährige Mitglied noch im Verein, aber aus der Führung hat er sich zurückgezogen. Wenn er an die aktuelle Situation von Jordsand denke, werde ihm angst und bange. "Meine Nachfolger machen den Verein kaputt. Es ist eine Sauerei, dass die gegen mich nachtreten", sagt er. 2011 war gegen den ehemaligen Vorsitzenden wegen des Verdachts der Veruntreuung von Vereinsgeld ermittelt worden. Die Staatsanwaltschaft Lübeck hatte jedoch kürzlich die Ermittlungen eingestellt (wir berichteten).

Das schwierige Erbe von Schneider hat Eckart Schrey angetreten. Der promovierte Biologe und Ornithologe aus Hamburg ist ebenfalls schon lange Vereinsmitglied. Er will den traditionsreichen Verein nach den Querelen zur Ruhe bringen und zugleich modernisieren - eine Gratwanderung. Um den Modernisierungskurs auf ein breites Fundament zu stellen, wurden mehrere Arbeitsgruppen eingerichtet. Die Mitglieder kümmern sich dort um Themen wie Finanzierung, Mitgliederwerbung oder die Umweltbildung. "Außerdem haben wir uns Ende Oktober zu einem Strategiegespräch im Haus der Natur getroffen, um die dringendsten Handlungsfelder abzustecken", erläutert Schrey.

Er selbst war kürzlich mehrere Wochen auf der Insel Scharhörn vor der Mündung der Elbe. "Das Vogelbrutgebiet betreut der Verein seit 1935", erläutert der Vorsitzende. Bei seinem Aufenthalt im Oktober hätte er sich wie in einem Indian Summer gefühlt. "Alles leuchtete in den Tönen Gelb, Grün und Orange", berichtet Schrey mit einem Lächeln im Gesicht. Er habe in einer Wetterstation gehaust.

Geheizt hat er mit einem Ofen und Strandholz. "Die Gänse rauschen einem dort über dem Kopf hinweg. Alle 14 Tage müssen die Vögel gezählt werden. Das ist gar nicht so leicht", sagt Schrey. Auch eine Entdeckung machte der Vereinsvorsitzende während seines Aufenthalts. Immer wieder stieß er auf Goldhähnchen. Schrey: "Ich habe mich gefragt, wie diese winzig kleinen Vögel den zig Kilometer langen Weg raus auf die Insel schaffen."

Neben der Naturschutzarbeit legt der Vorsitzende ein besonderes Augenmerk auf die Vermittlung des Naturschutzgedankens. "Wir müssen einen pädagogischen Ansatz haben. Bestes Beispiel ist die Jugendgruppe, die kontinuierlich wächst", sagt er. Die Gruppe trifft sich an jedem zweiten Sonnabend zwischen 14 und 16 Uhr. "Wir haben zuletzt eine Ausstellung im Vereinssitz, dem Haus der Natur, vorbereitet und gestaltet", sagt Anne Rottenau. Die 25-Jährige leitet die Treffen des Vereinsnachwuchses und sitzt als Jugendsprecherin im Vorstand. Auch sie hält die Umweltbildung für "extrem wichtig".

Sorgen bereitet der Vereinsführung allerdings das Geld. "Wir haben seit 2010 ein strukturelles Defizit. Das liegt vor allem daran, dass zuletzt die institutionelle Förderung weggefallen ist", sagt Geschäftsführer Thorsten Harder, der hauptamtlich für den Verein arbeitet. "Wir müssen nun wieder Projektanträge bei Stiftungen oder Behörden stellen", so Harder.

Der Investitionsbedarf sei hoch. So müsse der repräsentative Vereinssitz am Bornkampsweg dringend saniert werden. "Das ist sicherlich der größte Posten", sagt Harder, "doch ist der Investitionsstau auch anderswo spürbar." So müsse im Schutzgebiet Schleimündung eine Hütte restauriert werden. "Das ist notwendig, um wieder ruhigen Gewissens ehrenamtliche Helfer dort unterbringen zu können."

Einer der vielen freiwilligen Helfer ist Thomas Fritz. Der pensionierte Lehrer aus Hamburg-Volksdorf fährt in der kommenden Woche nach Helgoland, um dort für den Robbenschutz zu arbeiten. "Ich bin fasziniert von den Tieren. Man kommt bei der Arbeit bis auf wenige Meter an sie heran", erläutert Fritz. Nach einer schweren Krankheit sei er besonders gern draußen in der Natur. Fritz: "Bei der Arbeit kann ich mir eine völlig neue Welt erschließen." Zudem arbeite er bei der Beringung von Vögeln auf der Greifswalder Oie mit jungen Menschen zusammen.

Thomas Fritz ist seit 25 Jahren im Verein aktiv und fährt als eine Art Springer dorthin, wo eine helfende Hand gebraucht wird. Nun geht es also auf Deutschlands einzige Hochseeinsel Helgoland. "Ich kann dort eine junge Biologin begleiten, die Robbenmütter erfasst und katalogisiert."

Bisweilen mache ihn die Arbeit aber auch traurig, so der 63-Jährige. "Es ist schlimm, wie viel Müll etwa auf der Insel Scharhörn vor der Elbmündung angespült wird", sagt er. "Da sieht man, wie Lebensräume zerstört werden." Dem wolle er mit seinem Engagement entgegenwirken.

Auch heute, mehr als 100 Jahre nach der Gründung des Vereins, steht es nicht gut um die Vogelwelt der Nordsee, sind Rückzugsräume in Gefahr. So schreibt Eckart Schrey in der jüngsten Ausgabe des Vereinsmagazins "Seevögel": "Der Bestandstrend bei Vögeln in Siedlungsgebieten und an Küste und Meer ist schon länger rückläufig. Man kommt um die ernüchternde Erkenntnis nicht herum, dass der allgemeine Nutzungsdruck auf fast alle Lebensräume so stark geworden ist, dass man sich ernsthaft die Frage stellen muss, ob der Ansatz eines flächenhaften Naturschutzes nicht zum Scheitern verurteilt ist oder sogar bereits gescheitert ist." Das klingt ähnlich düster wie einst bei Franz Dietrich.