Serie Jeden Sonnabend stellen wir Vereine und ihre Mitglieder vor. Heute: Die in Reinbek gegründeten Tagesmütter und -väter Stormarn.

Vielleicht müsste für ihn ein neues Wort erfunden werden - wenn dieser Verein nicht schon "Verein" heißen würde. Denn er ist eine Menge mehr als das: Der seit 32 Jahren existierende Zusammenschluss bildet aus und berät, hilft im Alltag und in Notlagen. Er streitet politisch für die Interessen seiner Mitglieder, und er ist auch eine "nette Truppe", die sich zu Stammtischen trifft, wie ein Mitglied sagt. Ganz nebenbei stiftet er lebenslange Beziehungen zwischen Menschen - und er kümmert sich um das Wichtigste, das Stormarn zu bieten hat: die Kinder in der Region.

Die Rede ist vom Verein der Tagesmütter und -väter Stormarn, in dem ein Großteil der Tageseltern organisiert ist. 1980 gründete sich der Verein in Reinbek, Gründungsmitglieder waren Karin Garbe, Sybille Dörner und Ursula Lau. Seinen heutigen Namen trug der Verein schon damals - obwohl noch gar kein Tagesvater an Bord war. "Es war eher eine Wunschvorstellung", sagt Brigitte Maßow, die 1985 beitrat und heute Vorstandsmitglied ist.

Veränderung: Mitte der 80-er Jahre trat der erste Mann dem Verein bei

Wie sie sich erinnert, wurde aus der Wunschvorstellung Mitte der 80er-Jahre Realität: Mit Stephan Hesse trat der erste Tagesvater dem Verein bei. Einer Gruppe, die damals noch belächelt wurde, wie Brigitte Maßow sagt.

Heute lächeln sie nicht mehr, die Stormarner. "Die Situation hat sich zu 100 Prozent geändert. Der Job der Tagesmutter wird ernster genommen. Er ist auch professioneller geworden und die Ansprüche der Eltern sind gestiegen", sagt Brigitte Maßow. Und Tagesväter - es gibt sie zumindest etwas häufiger als damals. Fünf der 160 Vereinsmitglieder sind männlich.

Einer von ihnen ist Nico Vergil, der in der kleinen Ortschaft Heilshoop die Einrichtung "Nicos Kinderstube" betreibt. In dem 590-Seelen-Dorf ist er bekannt wie ein bunter Hund - und allseits akzeptiert. "Am Anfang haben sie mich hier etwas schief angesehen, wenn ich mit meinem Bollerwagen und den Kleinen durch den Ort gezogen bin", sagt der fröhliche 39-Jährige, der mit leuchtenden Augen von seinem Job erzählt. Doch mittlerweile hätten sich auch die Alteingesessenen daran gewöhnt, dass es im Ort einen Tagesvater gibt, der diesen Job professionell und mit Liebe betreibt, regelmäßig bei den Bauern vorbeischaut und den Kindern zeigt, was ein Ferkel, eine Kuh und ein Pferd ist. Für seine Einrichtung, in der er fünf Kinder betreut, hat Nico Vergil ein Haus gekauft, in dem er mit seiner Lebensgefährtin und seiner neun Jahre alten Tochter Paulina lebt. Einen "Matsch- und Malraum" gibt es auch.

In seinem früheren Leben hatte Nico Vergil mehrere Jobs, arbeitete unter anderem als Automobilkaufmann, Maler und Elektriker. Dann wurde er Vater - und fand keinen Betreuungsplatz. Das brachte ihn auf die Idee, es selbst im Metier der Tagespflege zu versuchen. "Meine Kumpels haben gesagt, ich soll das machen. Wer, wenn nicht ich, meinten sie." Und so ist er nun schon seit acht Jahren in einem Beruf tätig, in dem er "täglich den Sinn seiner Arbeit sieht".

Engagement: Der Verein bietet regelmäßig Fortbildungen an

Im Verein ist er schon seit Beginn seiner Tätigkeit Mitglied. "Das ist unverzichtbar. Allein schon wegen der vielen Fortbildungsangebote." Er nennt die Tatsache, dass der Verein an jedem ersten Montag im Monat ein Seminar im Ahrensburger Peter-Rantzau-Haus anbietet. Zum Beispiel zu Themen wie Aufmerksamkeitsstörungen bei Kleinkindern. Etwa 50 Tageseltern nehmen regelmäßig teil - und nutzen auch die Gelegenheit, sich auszutauschen und gegenseitig zu beraten. "Das ist einfach nur genial", sagt Nico Vergil.

Die Aus- und Weiterbildung ist eine zentrale Aufgabe des Vereins - das betont auch Petra Niquet, Tagesmutter in Ahrensburg und seit 2004 Vereinsvorsitzende. So organisiert der Verein gemeinsam mit den Volkshochschulen Ahrensburg, Trittau, Barsbüttel und Reinbek mehrmals im Jahr jene "Grundqualifikationen", die in Stormarn jeder absolviert haben muss, der in dem Job arbeiten will. In 160 Unterrichtsstunden werden den Teilnehmern Grundlagen der Pädagogik vermittelt. Auf dem Programm stehen auch Kurse wie Erste Hilfe bei Kindern und gesunde Ernährung. Zudem müssen die Teilnehmer in einer Kindertageseinrichtung hospitieren.

Bestehen die Teilnehmer die Prüfung, halten sie ein bundesweit gültiges Zertifikat in der Hand. Doch damit ist das Thema Ausbildung nicht erledigt. "Der Kreis Stormarn verlangt eine Fortbildung pro Jahr. Aber wer bei uns Mitglied sein und an Eltern vermittelt werden will, muss vier Fortbildungen pro Jahr besuchen.", sagt Petra Niquet. Ein Beispiel für diese Fortbildungen ist der Kursus "Fachkraft für Frühkindpädagogik", den der Verein 2009 ins Leben gerufen hat. "Den besuchen sogar Erzieherinnen. Denn das Thema kommt in ihrer Ausbildung nicht so stark vor", sagt Petra Niquet stolz.

Standards: Die Mitglieder prüfen neue Einrichtungen

Der Verein achtet auch auf die Qualität der Tagespflegeeinrichtungen. So wird jede besucht, bevor die Betreiber in den Kreis der Mitglieder aufgenommen werden. Eine Ergänzung der Arbeit des Jugendamtes, das die offiziellen Berechtigungen erteilt.

Wichtig ist Petra Niquet auch die politische Arbeit, die Vertretung der Interessen der Tageseltern. Denn ihre Rolle werde wichtiger. "Wir haben immer mehr Anfragen für immer kleinere Kinder. Die Gemeinden brauchen uns, um die Betreuungsquote für Kleinkinder zu erfüllen", sagt die Vereinsvorsitzende. Schon ab dem 1. August 2013 greift ein bundesweiter Rechtsanspruch auf einen Betreuungsplatz für Kinder unter drei Jahren. Zu diesem Datum müssen die Gemeinden auch eine Betreuungsquote von 35 Prozent erfüllen. Viele Gemeinden, etwa Hoisdorf, wollen auf Tageseltern setzen, um das Ziel zu erreichen. Petra Niquet ist deshalb der Meinung, dass Eltern auch nicht mehr bezahlen sollten, wenn sie ihre Kinder in einer Tagespflege und nicht in einer Krippe betreuen lassen.

Politik: Verein setzt sich für höhere Kostenerstattung an Eltern ein

"Wir kämpfen dafür, dass Eltern die Differenz zwischen Krippe und Tagespflege erstattet bekommen." Für dieses Ziel setzt sich der Verein immer wieder auf Kreisebene ein, zuletzt im dortigen Jugendhilfe-Ausschuss. Bisher ist das Ansinnen erfolglos, da eine Mehrheit der Politiker die Zuständigkeit nicht auf Kreisebene sieht. Bleibt die Ebene der Städte und Gemeinden. Dort wird das Thema höchst unterschiedlich gehandhabt. "Ahrensburg ist vorbildlich und erstattet die Differenz. Leider folgen längst nicht alle diesem Beispiel", sagt Petra Niquet. In Heilshoop ist es hingegen gelungen: Nico Vergil setzte sich mit Hilfe seines Vereins erfolgreich im Gemeinderat dafür ein, dass die Differenz erstattet wird.

Abgesehen von den vielen Rollen, die der Verein ganz offiziell im Kreis einnimmt, ist er eines: Eine große Gruppe von Menschen, die viel Erfahrung mit Erziehung haben. Die deshalb Rat und praktische Hilfe anbieten - etwa, wenn sich Eltern scheiden lassen, oder wenn ein Krankheitsfall eintritt. Auch in den alltäglichen Erziehungsfragen wissen die Tagesmütter oft Rat, wenn sie gefragt werden. Denn viele von ihnen sind seit Jahrzehnten dabei, haben gesehen, was sich verändert hat - auch zum Negativen. So sagt Petra Niquet, die seit 20 Jahren Tagespflegerin ist: "Schon Kleinkinder sind heutzutage gestresst. Eltern fühlen sich in der Pflicht, ihnen jeden Tag Dinge wie Sport und Musikstunden anzubieten. Sie vergessen, dass Kinder auch Freiraum brauchen, um sich auszuprobieren."

Catherine Raupach, seit Jahren Tagesmutter im Barsbüttel, beobachtet eine andere Tendenz: "Immer mehr Eltern haben Angst, dass ihre Kinder sie nicht lieben, wenn sie ihnen Grenzen setzen. Das fällt mir besonders hier in Deutschland auf", sagt die gebürtige Französin. Sie rät, ein wenig wohlmeinende Strenge walten zu lassen: "Manche Leute sollten ihre Kinder mit etwas mehr Verstand erziehen."

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