Unabhängige Expertenkommission legt nach zweieinhalb Jahren ihren Zwischenbericht vor. Sie geht von mindestens 100 Betroffenen aus.

Ahrensburg. Es ist ein Zwischenbericht. Eine Erfolgsbilanz ist es nicht. "Ich habe verstanden, dass es ein System Missbrauch gibt. Aber das ist dann leider auch schon die Antwort auf fast alle Fragen", sagt Pastorin Angelika Weißmann. Konkrete Antworten auf Fragen nach dem Wie oder Warum habe es bisher nicht gegeben. Denn das System Missbrauch sei schwer zu durchbrechen und wirke in der evangelischen Kirchengemeinde Ahrensburg nach wie vor. Wer nachhake, stoße auf Schweigen. Wer sich äußere, habe Angst und wolle anonym bleiben.

Seit zweieinhalb Jahren versucht die vom damaligen Kirchenvorstand eingesetzte Krisen-AG Licht ins Dunkel zu bringen. In den 70er- und 80er-Jahren hatte sich Pastor Dieter K. in der Gemeinde Kirchsaal Hagen an Jugendlichen vergangen und nach Aufdecken der Taten im Frühjahr 2010 den bislang größten Missbrauchsskandal in der Evangelischen Kirche Deutschlands ausgelöst. Seitdem versucht die Krisen-AG die Vorgänge aufzuarbeiten. Das Ergebnis ist ernüchternd und für die Mitglieder der Arbeitsgruppe, die ihren Bericht jetzt vorlegen, frustrierend.

"Wir sind ein Stück in die Thematik eingedrungen. Aber wir sind eben auch Teil der Struktur", sagt Pastorin Weißmann und meint damit die Grenzen, an die Sie und ihre insgesamt zehn Mitstreiter gestoßen seien. Sie hätten das System Missbrauch selbst "erfahren". Was es ausmacht? Angst, Schweigen, Vertuschung, Lügen, Scham und die Furcht, das Ansehen zu verlieren? "Ja, all das", bekräftigt Pastorin Anja Botta. Angelika Weißmann ergänzt: "Deswegen bekommen wir die Menschen auch nicht alle an einen Tisch. Alle die, die gelitten, vertuscht, nix gesagt haben oder nichts wissen wollten."

Dennoch seien die Menschen in der Gemeinde sensibilisiert. Die Enttabuisierung habe Wirkung gezeigt, sagt Pastor Detlev Paschen, Vorsitzender des Kirchengemeinderats. Paschen: "Es ist auch eine größere Offenheit da. Das erlebe ich auch in der Seelsorge. Es kommen plötzlich Menschen zu mir und erzählen mir von ihren Missbrauchserlebnissen, die zum Teil bis zum Krieg zurückreichen. Ich werte das als Vertrauensbeweis." Dieses Vertrauen sei wichtig, angesichts der Vorfälle aber vielleicht verwunderlich. "Warum wenden sich die Menschen ausgerechnet an diese Kirchengemeinde, könnte man fragen", sagt Paschen, der mit dieser Erfahrung nicht allein ist. "Aber vielleicht wenden sie sich gerade an uns."

Auch die anderen Mitglieder der Krisen-AG haben solche Gespräche geführt. Auch Opfer des Missbrauchsskandals an der Ahrensburger Kirchengemeinde selbst hätten sich gemeldet. Die meisten wollten anonym bleiben. "Das respektieren wir natürlich. Trotzdem versuchen wir, Hinweisen nachzugehen", sagt Pastorin Anja Botta.

Ohne großen Erfolg. Das System Missbrauch wirke nach wie vor. "Die Geschehnisse sind damals passiert, weil sich die Menschen in einer bestimmten Weise verhalten. Wenn sie sich jetzt weiter so verhalten und sich nicht äußern wollen, könnte wieder genau das gleiche passieren. Wir können hier den Schalter nicht einfach umlegen", sagt Pastor Holger Weißmann, der deshalb auf Unterstützung von außen hofft - damit Transparenz reinkomme. Bis jetzt habe sich die unabhängige Expertenkommission der Kirche aber noch nicht gemeldet.

Die Krisen-AG wird weiter arbeiten. Sie geht von mindestens 100 Betroffenen aus. Im Mai 2010 war sie vom damaligen Kirchenvorstand eingesetzt worden. Mitglieder des Kirchenvorstands, ehrenamtliche Mitarbeiter, eine Traumatherapeutin und der Betroffene Sebastian Isert arbeiten mit. Zu Beginn war auch Anselm Kohn von der Initiative "Missbrauch in Ahrensburg" dabei.

Meistens wurde nicht öffentlich getagt. Anja Botta: "Am Anfang haben wir uns einmal in der Woche getroffen. Jetzt treffen wir uns alle 14 Tage." Der Aufwand ist hoch, das Ergebnis eher mager. Ob sie sich hilflos fühlen? Statt Antwort ein stummes Kopfnicken.

Dennoch seien die vielen Gespräche, die durch die Gründung der Krisen-AG ausgelöst worden seien, ein positives Signal. "Und wir setzen stärker auf Prävention", sagt Klaus Fuhrmann, der in der Gemeinde für die Jugendarbeit zuständig ist. So seien in Zusammenarbeit mit dem Kirchenkreis Hamburg-Ost Präventionsmodelle entwickelt worden. Fuhrmann: "Die Jugendgruppenleiter besuchen einmal im Jahr eine Schulung. Und das sind nicht nur Jugendliche, sondern auch Erwachsene. Sie lernen, wie sie mit einem Verdacht auf Missbrauch umgehen, wen sie informieren und wie die Rechtslage ist." Die Rückmeldungen seien positiv gewesen. Auch vier Veranstaltungen, wenngleich nicht alle geglückt, hätten als Gesprächsforen beigetragen, die Sprachlosigkeit ein Stück zu überwinden.

Eine wirkliche Veränderung der Lage ist das nicht. Gibt es konkrete Ergebnisse? Hat die Arbeit der Krisen-AG Konsequenzen? "Nein, bislang nicht. Aber wir machen weiter", sagt Angelika Weißmann. "Es ist ein Zwischenbericht und bestimmt kein Endergebnis. Es längst nicht alles geklärt. Ganz im Gegenteil." Ihr Mann Holger ergänzt: "Selbst wenn wir das System Missbrauch in unserer Gemeinde überwinden sollten: für die Opfer wirkt es lebenslang. Sie heißen nicht umsonst Missbrauchsüberlebende."

Im Vorwort des Berichtes steht: "Es geht uns zu allererst darum, als Kirche und für Kirche diejenigen, die Opfer geworden sind, um Verzeihung zu bitten. Wir sind uns bewusst, dass eine rückhaltlose Aufklärung die mindeste Voraussetzung dafür ist und werden unseren Teil konsequent beitragen."