Die Kirche setzt eine unabhängige Kommission ein, die den Ahrensburger Skandal aufarbeiten soll. Pastor verging sich an Jugendlichen.

Hamburg. Die Leitung der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Norddeutschland hat eine unabhängige Expertenkommission berufen, um den Missbrauchsskandal in der Ahrensburger Gemeinde aufzuarbeiten. "Die Kirche ist hier schuldig geworden. Sie kann als traumatisierte Institution jedoch eines nicht leisten - und das ist, sich selbst zu analysieren. Dafür muss eine unabhängige Kommission eingesetzt werden", sagte Kirsten Fehrs, Bischöfin für den Sprengel Hamburg und Lübeck, und Nachfolgerin von Maria Jepsen, am Freitag bei der Vorstellung des Konzepts.

Die Expertengruppe soll weiteres Licht ins Dunkel der Vorgänge aus den 70er- und 80er-Jahren bringen, als sich Pastor Dieter K. in der Gemeinde Kirchsaal Hagen an Jugendlichen verging. Außerdem erhofft sich die Kirche von der Kommission Empfehlungen, wie sie in Zukunft mit Fällen sexueller Gewalt umgehen soll.

Wegen des Ahrensburger Falls war die damalige Bischöfin Maria Jepsen 2010 zurückgetreten. Derzeit laufen gegen sie und den Altbischof Karl Ludwig Kohlwage Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Lübeck wegen Strafvereitelung in dem Ahrensburger Fall (wir berichteten). Anselm Kohn, selbst Opfer von Pastor Dieter K. und Vorsitzender des Vereins Missbrauch in Ahrensburg, begrüßt den Schritt der Kirchenleitung. "Wir unterstützen die Kommission, deren Qualität anerkannt ist", sagte er. Dennoch würden auch die Experten an ihre Grenzen stoßen. "Nie wird man alle Wahrheiten zu dem Fall ans Licht bringen", sagt Kohn. Er hoffe aber, dass es der Kommission gelinge aufzuarbeiten, wie es zu dem Missbrauch kommen konnte.

Die Expertengruppe wird geleitet von Ursula Enders, der Mitbegründerin und langjährigen Leiterin des Vereins Zartbitter, einer Kontakt- und Informationsstelle für Mädchen und Jungen, die sexuell missbraucht wurden. Enders berief außerdem die Zivil- und Sozialrechtsprofessorin Julia Zinsmeister von der Fachhochschule Köln, die Rechtsanwältinnen Petra Ladenburger und Martina Loersch sowie den Erziehungswissenschaftler Dirk Bange in die Expertengruppe. "Wir wollen Interviews führen mit Opfern, aber auch mit Verantwortlichen. Wir wollen aber auch Vorschläge für die Organisationsentwicklung machen", sagte Ursula Enders. Sie habe die Aufgabe übernommen, weil sie in Gesprächen mit Kirchenvertretern die Bereitschaft erkannt habe, dass man die Dinge konstruktiv aufarbeiten wolle.

+++ Opferverein kritisiert Ermittlungsverfahren +++

"Wir unterstützen die Kommission, deren Qualität anerkannt ist" - Anselm Kohn, Vorsitzender eines Opfervereins

Enders sieht die zentrale Fragestellung der Kommission nicht darin zu klären, was sich ereignet habe. "Es geht vor allem um die Frage: Welche Auswirkungen hat die Gewalt auf die Gemeinde? Was brauchen Gemeinden überhaupt, um solche Fälle aufarbeiten zu können?" Es gehe somit nicht allein um die Taten in Ahrensburg. Es gehe auch um mögliche Einzelfälle in anderen Gemeinden des Kirchenkreises. Die Kommissionsleiterin und Buchautorin Enders befasse sich seit den 70er-Jahren mit dem Thema. "In den 90er-Jahren war ich in einer Kinderschutzorganisation tätig. Dort beutete mein Lieblingskollege Kinder aus." Das habe sie noch stärker über das Thema nachdenken lassen, sagt Enders.

Neben der Expertenkommission führt die Nordkirche zudem ein Verfahren ein, um Missbrauchsopfer individuell zu unterstützen, sei es finanziell oder durch Sachleistungen wie eine Therapie. "Dieses juristisch völlig neuartige Verfahren soll zeigen, dass wir als Kirche die Opfer immer wieder um Verzeihung bitten müssen", sagte Fehrs.

Da es überhaupt nicht möglich sei, die Opfer für das lebenslange Leid zu entschädigen, spreche man nicht über konkrete Summen, so die Bischöfin. Opfern wird eine Beratung von sogenannten Lotsen angeboten. Jedem Opfer steht also eine Vertrauensperson zur Seite. Dabei soll über mögliche Unterstützungsleistungen gesprochen werden.

In einer zweiten Stufe wird dann eine vierköpfige Kommission unter Leitung der Bischöfin die individuellen Leistungen mit den Opfern vereinbaren. "Es war ein langer Weg bis hierher. Jetzt hat sich die Kirche endlich dieses Themas angenommen", sagte Anselm Kohn.

Derweil äußerte sich Karl Ludwig Kohlwage zum Vorwurf der Strafvereitelung gegen ihn. Gegenüber der Nachrichtenagentur dpa sagte er: "Ich bin erschüttert. Die Vorwürfe gegen mich sind ohne jede Substanz und aus den Fingern gesogen. Ich habe von den Vorgängen in der Gemeinde nichts gewusst."