Stapelfelder wohnen zum Teil seit Jahrzehnten im Gewerbegebiet am Stormarnring. Das ist eigentlich verboten. Jetzt sollen sie ausziehen.

Stapelfeld. Sie leben mitunter seit mehr als 20 Jahren in einem Mehrfamilienhaus in Stapelfeld. Doch jetzt sollen die Anwohner des Stormarnrings aus ihren Eigentumswohnungen auszuziehen, weil sich diese mitten im Gewerbegebiet zwischen Motorradhändler und anderen Firmen befinden. Wohnen ist dort nicht erlaubt. "Wohnungen sind in einem Gewerbegebiet grundsätzlich nicht zulässig", heißt es in einem Schreiben der Stormarner Bauaufsicht, das Herbert Guth Mitte Juli erhalten hat. Der 63-Jährige hat seine 70 Quadratmeter große Eigentumswohnung vor sechs Jahren von einem privaten Anbieter gekauft.

Guth hatte damals einen mobilen Imbisswagen. "Anfangs habe ich sie als Betriebsleiterwohnung genutzt", sagt er. Das ist laut Bebauungsplan auch im Gewerbegebiet gestattet. Doch kurze Zeit nach dem Kauf verlor Herbert Guth sein Augenlicht. Er ist fast blind und zudem auch gehbehindert. Den Imbiss musste er aufgeben. "Die Wohnung habe ich behindertengerecht umgebaut", sagt Guth, der im Alltag auf Unterstützung angewiesen ist. "Erst vor sechs Wochen hat mir die Gemeinde einen Behindertenparkplatz vor dem Haus eingerichtet."

+++ Zu lange weggeschaut +++

Doch Herbert Guths Erblindung ändert laut Bauaufsicht nichts an der Situation. In einem zweiten Schreiben steht, die Behinderung des Rentners könne zu "keiner anderen Beurteilung der Sachlage" führen.

Acht Parteien wohnen in dem Haus am Stormarnring 28. Alle haben die Räume von Anfang an zum Wohnen genutzt. Peter Wenzel lebt schon seit den 90er-Jahren in dem Block. Einen Tag, nachdem er aus seinem Urlaub zurückgekehrt war, ging der Brief bei ihm ein. "Ich habe nichts geahnt. Die Räume wurden mir damals explizit als Wohnung verkauft", sagt der Rentner. Und tatsächlich: Von einer Küche, Schlaf- und Wohnzimmer in einem "Vierfamilienhaus" ist in den Exposés der Immobilienmakler, die die Anwohner aufgehoben haben, die Rede. "Ein Büro hätte ich niemals gekauft. Das brauche ich ja gar nicht", sagt Wenzel.

Ein als Büro ausgeschriebenes Objekt hätten sich auch Birgit und Timo Wesemann sowie Kirsten und Dennis Fürstenberg niemals gekauft. Auch sie erwarben laut Anzeige eine "ruhig gelegene Eigentumswohnung mit großem Schlafzimmer". "Acht Existenzen stehen auf dem Spiel", sagt Timo Wesemann. Denn sollten die Eigentümer tatsächlich ausziehen müssen, dürften sie ihre Wohnungen nur als Büroräume weiterverkaufen - was immensen finanziellen Verlusten gleichkäme. "Hier gibt es doch gar keinen Bedarf an Büros", sagt Wesemann.

Eine 84-Jährige wohnt seit rund einem Vierteljahrhundert in dem Haus, Anfang des Jahres ist eine Familie mit drei Kindern in die Dachgeschosswohnung neu eingezogen. "Und jetzt auf einmal merkt die Behörde, dass das alles verboten ist", sagt Herbert Guth kopfschüttelnd.

In der Kreisverwaltung ist der Fall durchaus bekannt. "Seit 1991 haben wir Hinweise darauf erhalten, dass eine Fremdnutzung besteht", sagt Klaus Kucinski, Bereichsleiter für Bau, Umwelt und Verkehr beim Kreis. "Bei der damaligen Ortsbesichtigung waren wir aber großzügig."

Jetzt jedoch habe sich die Lage geändert. "Die Verwaltungsgesellschaft hat bei uns angefragt, ob eine Nutzungsänderung von Büro- zu Wohnräumen möglich sei", sagt Kucinski. Offensichtlich habe die Gesellschaft gemerkt, dass der jetzige Zustand illegal sei und habe dieses Problem aus der Welt schaffen wollen. Doch damit wurde genau das Gegenteil bewirkt. "Durch die offizielle Anfrage sind wir gezwungen, uns der Sache anzunehmen", sagt Kucinski. Der Bebauungsplan sei "wie ein Gesetz". Der Chef der Bauverwaltung betont, dass zunächst der Sachverhalt geklärt werden müsse. "Wir sind ja keine Unmenschen, sondern an einer vernünftigen Lösung interessiert." Diese könne zum Beispiel so aussehen, dass ein Teil des Gewerbegebiets "abgetrennt" werde, sodass Wohnen erlaubt wäre.

An einer Einigung ist auch die Stapelfelder Gemeindevertretung interessiert. "Wir werden das Thema in unserer nächsten Sitzung behandeln", sagt Bürgermeister Jürgen Westphal (WGS). Der Termin ist am 1. Oktober. "Ich hoffe, dass wir eine neue Regelung finden und den B-Plan ändern können."

Die Hausbewohner haben sich unterdessen einen Anwalt genommen. Dieser erhält morgen Einsicht in die Akten. Bis zum 28. September haben die Betroffenen Zeit für eine Stellungnahme. "Das hier ist unsere Existenz", sagt Timo Wesemann. "Wir lassen uns nicht vertreiben."