Sonnabend-Serie: Das Abendblatt stellt Stormarner und ihre Berufe vor. Wir begleiten Menschen einen Tag lang. Heute: Der Weihnachtsmann

Wohl 1000 Mal hat der Weihnachtsmann alles durchdacht. Schon im Januar, nach einem kurzen Erholungsurlaub in kurzen roten Hosen auf Mallorca, hat er sich erste Notizen gemacht. Der Mantel muss aufgearbeitet werden, das Rutenholz ist vertrocknet, die Wunschzettel werden immer unleserlicher und sollten laut Weihnachtsmann- Runderlass der Christkindbehörde in Zukunft von einem Graphologen begutachtet werden: Tausend kleine Dinge sind zu erledigen. Denn nach Heiligabend ist vor Heiligabend. Sobald der Weihnachtsmann am 24. seinen roten Mantel ab- und das Feierabendbier anlegt, richten sich seine Gedanken auf den nächsten Einsatz in einem Jahr. Der Weihnachtsmann ist folglich Kopfarbeiter - und nicht etwa ein Arbeiter der Faust, wie viele Biografen wegen seiner Rute vermuten. Er entwirft einen Plan - einen Heiligabend-Plan. Der übertrifft an Genauigkeit locker die Ablauforganisation für einen Papstbesuch in den USA. Wie dieser Plan aussieht, blieb der Öffentlichkeit bislang verborgen. Wir wissen nur: Zwischen 17 und 19 Uhr ist Bescherung. Der Stormarn- Ausgabe des Abendblatts ist es nun erstmals gelungen, den Kapuzenzipfel des Weihnachtsmanngeheimnisses zu lüften - wenigstens ein bisschen.

10 Uhr: Der Heiligabend beginnt mit der Rauschebartpflege

"Aber wirklich nur ein ganz klein bisschen", sagt der Weihnachtsmann, als wir ihn um 10 Uhr beim Frisur in Ahrensburg treffen. Beim Friseur? Um 10 Uhr? "Ist das nicht etwas spät? Schließlich ist das für Sie heute doch der wichtigste Tag des Jahres", fragen wir erstaunt. Der Weihnachtsmann macht, was er am besten kann: Er schmunzelt. Fasziniert beobachten wir, wie seine Wangen die berühmte Weihnachtsmannröte annehmen und Behaglichkeit und Freude verströmen. Von den Spiegeln vervielfacht, flutet ein warmes Licht den Salon, und alle Menschen wären beinahe Brüder geworden - hätten wir nicht so beharrlich nachgehakt: "Noch mal: Hätten Sie nicht viel früher aufstehen müssen bei alldem, was Sie heute noch schaffen müssen?"

"Ooch", sagt der Weihnachtsmann, "immer mit der Ruhe." Erstmal müsse jetzt der Bart getrimmt werden. Außerdem sei die Vorarbeit doch schon getan, der Rest sei jetzt eigentlich nur noch Formsache. "Ich habe 364 Tage lang für den 365. Tag geplant. Was soll da schiefgehen?", sagt er ein wenig wichtigtuerisch.

Also der Bart. Schon im Februar hat er den Friseurtermin gebucht. Schließlich erwartet der Kunde an Heiligabend einen erstklassigen Weihnachtsmann mit einem erstklassigen Rauschebart im Gesicht. "Mit dem will ich natürlich nicht das ganze Jahr herumlaufen", sagt der Weihnachtsmann. Essensreste im Barthaar - das ist weder an Heiligabend noch an den anderen 364 Tagen des Jahres ein erfreulicher Anblick. Schon seit längerem bietet das Friseurhandwerk einen praktischen Ausweg aus diesem Dilemma: künstliche Bartverlängerungen, die nach dem Fest problemlos entfernt werden können.

Und deshalb sitzt der Weihnachtsmann nun im Salon Möbius und lässt sich von einer Friseurin die Barthaare schönmachen. Aufgeräumt wirkt der Mann, so gar nicht im Stress. Nur wir sind irgendwie unaufgeräumt - und fragen noch mal nach: "Aber Sie müssen doch heute noch auf der ganzen Welt Geschenke verteilen, oder?!"

10.47 Uhr: Der Weihnachtsmann wird plötzlich zickig

"Das ist doch Aberglaube", sagt der Weihnachtsmann. Natürlich könne er die ganze Arbeit nicht allein machen. "Das sagt ja schon die Logik." Zwar sei Heiligabend auf den Straßen zum Glück nicht viel los, auch gebe es selten Polizeikontrollen, weshalb er schon mal einen kleinen Schluck... "Auf den Straßen?", unterbrechen wir verwirrt. "Wieso auf den Straßen? Sie fliegen doch per Rentierschlitten um die Welt, um dann durch den Schornstein in die Wohnzimmer einzusteigen!"

"Ach was", sagt der Weihnachtsmann, unter dessen Mantel sich ein gemütliches Bäuchlein wölbt. "Schauen Sie mich doch mal an! Wissen Sie, wie eng so ein Kamin ist?" Nein, wissen wir nicht. "Na also", sagt der Weihnachtsmann etwas zickig und mit plötzlich blassen Wangen. "Wusste ich doch, dass Sie das nicht wissen. Schlecht vorbereitet, junger Mann." Das entspricht nicht ganz den Tatsachen, schließlich war durchaus nicht damit zu rechnen, dass es Heiligabend zu einem Fachgespräch über Kamin-Abmessungen kommen würde. Aber wir müssen schweigen, denn der Weihnachtsmann holt jetzt zu einem einführenden Vortrag übers Weihnachtsmannwesen aus. Und den wollen wir nicht verpassen.

11.07 Uhr: Grundsatzvortrag übers Weihnachtsmannwesen

"Wir sind Viele", sagt der Weihnachtsmann, "und nach dem Krieg waren wir auch alle ziemlich schlank. Schlechte Ernährung, Sie wissen schon. Da klappte das gut mit den Schornsteinen. Später, in den Wirtschaftswunderjahren, wurde es allerdings immer schwieriger. Und dann gab es auch Ärger mit den Schornsteinfegerinnungen. Die einen sagten, wir würden bei unserem weihnachtlichen Eindringen die Kamine beschädigen. Die anderen behaupteten, dass die roten Mäntel zu viel Ruß aufnehmen würden, und bezichtigten uns der widerrechtlichen Kaminreinigung. Das muss man sich mal vorstellen: Die haben verlangt, dass wir Weihnachtsmänner in die Schornsteinfegerinnung eintreten sollen!" Der Weihnachtsmannbauch bebt empört.

"Aber das ging natürlich gegen die Berufsehre. Stattdessen haben wir unseren eigenen Verein gegründet", erzählt der Weihnachtsmann. "Seit 1968 gibt es Weihnachtsmanninnungen und Bescherungsbezirke für jedes einzelne Mitglied."

Wie viele Weihnachtsmänner gibt es in Stormarn? "Das darf ich Ihnen nicht sagen, das verbietet mir die Innung", sagt unser Gesprächspartner, dessen Bart langsam Formen annimmt. "Und ich als Bezirksweihnachtsmannmeister muss mich ja wohl erst recht an die Regeln halten."

Mit den Stormarner Schornsteinfegern habe man sich mittlerweile auf eine friedliche Koexistenz geeinigt. "Wir kommen durch die Haustür und gehen durch die Haustür. Kamin ist tabu - basta." Das sei sogar im Weihnachtsmanngesetz (WeihmG) verankert. Die Schornsteinfeger wiederum hätten sich im SchfG verpflichtet, ihre nebenberuflichen Einsätze als Glücksboten auf das Notwendigste zu beschränken. "Fürs Glück sind ausschließlich wir zuständig. Das steht so auch in der Zuständigkeitsanpassungsverordnung von 2003", sagt der Weihnachtsmann und lässt seine Wangen aufglühen. Welch schöner Kontrast zum jetzt vollen schneeweißen Rauschebart! 11.32 Uhr, wir verabschieden uns von der Bartverlängerungsexpertin.

11.58 Uhr: Tankstopp mit dem Weihnachtsmannauto

Um 11.58 Uhr, mit exakt 27 Minuten Rückstand auf den Ablaufplan, nimmt der Weihnachtsmann in flottem Tempo die Einfahrt zur Tankstelle. Nicht mit einem fliegenden Rentierschlitten, nicht einmal mit einer rollenden Rentierkutsche, sondern mit einer Kutsche namens Skoda. Der Innungsmeister spürt unseren fragenden Blick. "In Stormarn gibt's nun mal keine Rentiere, Skodas aber schon", erklärt er. Aber was tanken? E 10? Ultimate 102? Was ist das? Hektisch blättert der Weihnachtsmann in seinem großen Plan. "E 10, wo steht da etwas über E 10?", murmelt er. "Vor einem Jahr gab's das noch nicht. Da hab' ich einfach Super genommen." Bis der Tankwart herausgefunden hat, was das Weihnachtsmannauto schluckt, ist wertvolle Zeit verstrichen.

Zum nächsten Termin im großen Heiligabend-Plan, der traditionellen Feuerwehr-Einweisung, rückt der Innungsmeister mit nun schon 74 Minuten Verspätung an. Feuerwehrmann Jan Haarländer nimmt die ausführlichen Instruktionen des Weihnachtsmanns entgegen. "Erstens", sagt er und hebt oberlehrerhaft den Finger, "müssen Einsätze während der Bescherung möglichst unterbleiben." Haarländer schluckt. "Auch wenn es brennt?" "Wenn es brennt natürlich nicht!" Der Innungsmeister versucht, streng zu wirken: "Möglichst unterbleiben, ich sagte 'möglichst'." Er bittet darum, nicht unterbrochen zu werden. "Das steht nicht in meinem großen Plan, das geht so nicht!"

13.12 Uhr: Die Feuerwehr wird ausführlich instruiert

Zweitens, fährt er fort, sei bei etwaigen Löschangriffen strengstens darauf zu achten, dass die Weihnachtsgeschenke nicht nass würden. Falls der Tannenbaum brenne, müssten zunächst die Gaben gerettet werden, bevor irgendeiner "Wasser marsch" befehle. "Und drittens", fährt der Weihnachtsmann mit Blick auf die Feuerwehrautos fort, "weise ich nun schon zum wiederholten Male darauf hin, dass Heiligabend nur einer Rot tragen darf. Und das bin ich!" Jan Haarländer verspricht Besserung. Der Meister blickt auf die Uhr: "Beim rotznasigen Rentier: Ich hab' ja schon fast zwei Stunden Verspätung."

Jetzt aber dallidalli. Der Weihnachtsmann flitzt in sein Büro, das sich in einem unscheinbaren Gebäude am Ahrensburger Rathausplatz befindet. "WM-Innung" steht auf dem Klingelschild. Schnell noch einmal in den großen Ablaufplan gesehen, die Wunschzettel auswendig gelernt und die Geschenke eingeladen. Eine knappe Minute nach 17 Uhr klingelt er an der ersten Wohnungstür. Wir müssen leider draußen bleiben. "Geht nicht anders, das verbietet die Innungsordnung", sagt der Weihnachtsmann.

19.23 Uhr. Der letzte von 36 Besuchen ist absolviert. Das Auto des Weihnachtsmanns ist leer, und der Weihnachtsmann selbst verspürt eine innere Leere. "Geschafft! Jetzt aber ab nach Hause." Interessant, denken wir. Wie wohnt ein Weihnachtsmann? "Dürfen wir mitkommen?" Wir dürfen. "Aber bitte den Lesern nicht zu viel verraten, meine Nachbarn sollen nicht wissen, dass ich Weihnachtsmann bin." Okay. Also, liebe Leser, der Weihnachtsmann wohnt in einem Haus an einer Straße in einer Stadt. "Das Haus ist abbezahlt" - darauf legt der Innungsmeister Wert. Finanzielle Unabhängigkeit ist wichtig in seiner Branche. "Sonst glauben die Eltern, ich hätte einen Vertrag mit Apple - bei den vielen iPhones, die heute in den Paketen waren."

Im Wohnzimmer des Weihnachtsmanns gibt es nur wenig Weihnachtsschmuck - Tannenzweige auf dem Esstisch. "Ganzjährig", sagt der Meister. Hauptsächlich aber gibt es einen Ohrensessel, ein Sofa, einen Perserteppich und einen sehr großen Fernseher. Der Weihnachtsmann verschwindet in der Küche, kommt mit einem Bier zurück und lässt sich in den Sessel fallen. "Ach ja, so lässt sich Weihnachten aushalten", sagt er und schmunzelt.

20 Uhr: Das Feierabendbier darf als verdient bezeichnet werden

Der Fernseher wird eingeschaltet. Aber er bleibt unbeachtet. Der plötzlich nachdenklich gewordene Weihnachtsmann greift zum großen Buch für das nächste Heiligabend. "Es war nicht gut, wie ich den netten Herrn Haarländer behandelt hab. Nur weil seine Autos rot sind", sinniert er. "Schließlich sitzen wir doch alle in einem Boot. Wenn die Feuerwehr nicht kommt, verbrennen meine Geschenke, und schon ist die schönste Heiligabendkatastrophe da." Mit rotem Filzstift schreibt er deshalb auf die erste Seite seines Ablaufplans 2012: "Feuerwehr beschenken. Kein Vorwurf wg. Farbe!!" Dann nimmt er einen tiefen Zug aus der Bierflasche. Da ist sie wieder, die berühmte Weihnachtsmannwangenröte. "Man sollte sich nicht so wichtig nehmen", findet der Innungsmeister. "Letztlich sind wir Weihnachtsmänner doch nur bessere Spediteure, oder?!"