Stormarns Polizei, für eine alles andere als offensive Informationspolitik bekannt, beansprucht für sich die Lizenz zum Schweigen: Wenn es - jedenfalls nach gesundem Menschenverstand zu urteilen - etwas zu vermelden geben müsste, sprechen allzu oft "ermittlungstaktische Gründe" dagegen.

Das ist ein Totschlagargument, das allerdings dem wahrsten Wortsinn nach eines zwingend voraussetzt: Ermittlungen, die diese Taktik gebieten. Also erfuhren Frauen in Reinbek im Mai 2010 erst mit dreimonatiger Verzögerung, was für sie von großem Interesse sein musste: Am Bahnhof war erhöhte Vorsicht angebracht, denn dort trieb ein Vergewaltiger sein Unwesen. Womöglich hätten die Frauen niemals davon erfahren, wäre da nicht dieses Phantombild gewesen, mit dem die Polizei an die Öffentlichkeit gehen musste.

Das an sich ist schon unglaublich. Aber es lässt sich durchaus toppen. Im Mai dieses Jahres ließ sich die Polizei für die Festnahme des mutmaßlichen Vergewaltigers Stephan H. feiern. Frauen in Reinbek und Umgebung atmeten erleichtert auf. Heute müssen sie erfahren: Die Gefahr ist für sie mitnichten gebannt und war es auch niemals, weil ein Vergewaltiger immer noch auf freiem Fuß ist. Dass die Polizei diese schon aus Präventionsgründen eminent wichtige Information nicht aus "ermittlungstaktischen Gründen" zurückgehalten haben kann, ist einfach erklärt: Nach Auskunft der Staatsanwaltschaft werden gar keine Ermittlungen mehr geführt.

So entsteht der Eindruck, die Polizei verfolge mit ihrer Desinformation der Bevölkerung eine andere Taktik: Den Erwartungsdruck der Öffentlichkeit gering zu halten und eigenes Unvermögen zu verschleiern.

Aufgehen kann diese Taktik nicht, das beweist einmal mehr der Strafprozess gegen Stephan H. Vor Gericht geht es zwar in erster Linie um den Angeklagten, aber auch die Begleitumstände der Tat und die polizeilichen Ermittlungen sind Gegenstand der Verhandlungen. Da wird dann eben bekannt, dass es noch einen zweiten Vergewaltiger geben muss. Da ist - ein Detail am Rande - davon die Rede, dass die Mitarbeiter der offiziell so hoch gelobten neuen Einsatzleitstelle in Lübeck nicht in der Lage waren, einen Streifenwagen zum Einsatzort zu dirigieren. Da sieht die Polizei plötzlich ganz schön alt aus. Und die Verantwortlichen, die schweigen - diesmal nicht der Ermittlungstaktik halber, sondern einfach so, ohne Begründung.