Serie: Das Abendblatt stellt Stormarner und ihre Berufe vor. Wir begleiten die Menschen einen Tag oder eine Schicht lang, beobachten sie und lassen sie erzählen. Heute: Maren Thams, Hebamme aus Ahrensburg

Für miesepetrige Menschen ist dieser Job nichts, so viel ist sicher. Aber Maren Thams hat ohnehin nicht oft schlechte Laune, sagt sie, insofern passt die Arbeit als Hebamme ganz gut zu ihr. Denn den ganzen Tag von Menschen umgeben zu sein, die sich freuen, dass sie bald Mütter oder Väter sind, oder die sich freuen, dass sie gerade Mütter oder Väter geworden sind, ist schon ganz schön viel Freude.

Um sich darauf vorzubereiten, frühstückt Maren Thams morgens in Ruhe, es gibt Müsli und Obst, keinen Kaffee, der schmeckt ihr nicht. Ihr Mann muss früher zur Arbeit als sie, deshalb sitzt sie allein am Tisch und liest E-Mails oder kontrolliert die Bankeingänge. Dann fährt sie los, mit dem Auto von Lübeck nach Ahrensburg, denn in Lübeck haben sie und ihr Mann sich vor drei Jahren ein Haus gekauft und in Ahrensburg ist die Hebammenpraxis, in der sie und zwei weitere Kolleginnen unter anderem Geburtsvorbereitung, Schwangeren-Yoga und Rückbildungsgymnastik anbieten. Hier arbeitet sie bereits seit fünfeinhalb Jahren. "Am besten gefällt mir, wie abwechslungsreich der Job ist", sagt sie. "Jeder Tag ist anders." Manche sind so:

9.30 Uhr: Arbeitsbeginn

Wenn Maren Thams in die Praxis kommt, zieht sie erst mal die Schuhe aus. An der Treppe, die nach oben in den Raum führt, wo Thams heute Kurse gibt, hängt ein Schild, das jeden Besucher darauf hinweist, dass er das bitte auch zu tun hat. Immerhin liegen dort später Babys auf Matten in Fußbodennähe. Vorher muss der Raum aber noch behaglich gemacht werden. Dafür zündet Maren Thams Kerzen an, platziert eine Orchidee im Blumentopf in der Mitte und legt Matten und Kissen bereit. Wenn, wie an diesem Tag, Babys zur Massage kommen, stellt sie auch Mandelöl und ätherische Öle hin, zum Beispiel mit Vanille- und Mandarinenduft. Für die Mütter soll es Tee geben, heute Roiboos, außerdem wird eine CD aufgelegt, die auf dem Klappentext wie folgt beschrieben wird: Sanfte Instrumentalmusik zum Ruhigwerden, Einschlafen und Träumen.

10 Uhr: Massagekurs, erster Akt

Drei Mütter erscheinen, wie die meisten Mütter erscheinen: Mit viel Zubehör, verpackt in große Taschen. Und mit Babys natürlich. Sie wollen die Körperwahrnehmung ihrer Kinder stärken, dafür ist eine solche Massage gedacht, nebenbei ist sie gut für die Entwicklung und entspannt. Ob so kleine Kinder wirklich schon Entspannung brauchen, kann wahrscheinlich nur fragen, wer keine Kinder hat.

Diese hier sind erst ein paar Wochen alt, Marie, Emma und Johanna. Marie kommt in hellblau, Emma in rosa und Johanna hat eine türkisfarbene Strumpfhose mit Streifen. Wird aber ohnehin alles ausgezogen. Als die Mütter zur Ruhe gekommen und die Kinder nackt sind, wird umgesetzt, was sie in den vergangenen Kursstunden gelernt haben: die Harfe am Rücken, die Brennnessel am Bein, die Perlen am Fuß, und Klatsch-dreh-weg. Die Reihenfolge hier im Text ist zufällig und unvollständig, im Kursus ist sie festgelegt. Und ja, der eine Griff heißt wirklich Klatsch-dreh-weg, man umfasst den Fuß des Babys mit der einen Hand, klatscht mit der anderen flach auf die Sohle, dreht die Handfläche darauf nach innen und - genau - nimmt die Hand wieder weg.

Neu in dieser Woche: die Ohrmassage. "Hier ist ein Embryo abgebildet", sagt Maren Thams, als sie an dem Ohr von Johannas Mutter demonstriert, wie massiert werden soll. Das Ohrläppchen entspricht dabei dem Kopf, die innere Ohrmuschel den Organen. Man arbeitet sich von unten nach oben. "Die Massage stabilisiert Rücken und Po, die Wirbelsäule und die Organe", sagt Thams.

Und dann zeigt sie an einer Puppe, wie "das zerbrochene Ei" funktioniert. Man streicht dabei über den Kopf. "Der Griff stimuliert die Zirkulation der Gewebsflüssigkeit im Kopf", sagt Thams. Inzwischen riecht es nach Mandarinen. Es scheint, dass sich die Mehrheit der Mütter gegen das Vanilleöl entschieden haben. Da sie ja schon wissen, wie sie die Mandel-Mandarinen-Kombination auf die Haut ihrer Kinder bringen sollen, massieren sie alle in ihrem eigenen Tempo vor sich hin und reden mit ihren Babys. "Guck mal, Johanna, noch eine Mandarine", sagt Johannas Mama, als ihr Kind nach rechts guckt, zu Mandarine Marie. Man könne übrigens auch ältere Kinder massieren, wenn die das noch mögen. "Man kann auf dem Rücken Pizza backen, mit Teig kneten und Tomatensoße verstreichen", sagt sie.

Maren Thams sitzt mit dem Rücken gegen ein Kissen gelehnt auf ihrer Matte und beobachtet, ob die Griffe richtig angewendet werden. Ab und zu steht sie auf, um einen Massagegriff noch einmal zu erklären. "Du musst vom Körper weg brennnesseln, das leitet die Energie weg. Die Massage soll ja beruhigen", sagt sie. Tut sie auch. So lange, bis Emma, Marie und Johanna wieder angezogen werden. "Dabei gibt es oft Geweine", sagt Maren Thams. "Die finden das nackig ganz nett, anziehen mögen die meisten nicht." Tatsächlich: Emma, Johanna und Marie beschweren sich so laut, dass man die sanfte Instrumentalmusik zum Ruhigwerden, Einschlafen und Träumen kaum noch hört.

11.30 Uhr: Massagekurs, zweiter Akt

Maren Thams hat neuen Tee gekocht, die Tassen abgespült und neue Schälchen für das Öl gebracht. Nun sind fünf Babys anwesend, zwei davon Jungs, Thies und Till, die passen nicht nur wegen ihrer Namen gut zueinander, sie scheinen sich auch zu mögen. Gut, dass die Mamis nebeneinander sitzen, da kann man sich viel besser anlächeln.

Bis auf die Jungs-Präsenz ähnelt diese Stunde sehr der vorherigen, Ei, Brennnessel, Perlen und so. "Bis hierhin konnte ich mir das alles merken, aber jetzt wird es schwierig", sagt eine Mutter. Die Zettel, auf dem die Übungen stehen, gibt es trotzdem erst in der letzten Stunde, also in zwei Wochen. "Wir wiederholen das ja alles heute, dadurch prägt sich das ein", sagt Maren Thams. Die Mütter massieren vor sich hin, auf dem Dach gegenüber zerteilt eine Krähe eine Nuss, ab und zu bekommt ein Kind Muttermilch. Maren Thams wird nach dem Kursus kurz in ein Pausenbrot beißen. Dann werden die Mütter schon nach Hause gegangen sein, ein paar mit nassem Fleck auf der Hose, weil so ein nacktes Baby nicht unbedingt Bescheid sagt, bevor es mal muss.

Insgesamt hat Maren Thams in den 16 Jahren, in denen sie nun als Hebamme arbeitet, etwa 1500 Mütter betreut. Einige davon die ganze Schwangerschaft hindurch. "Es ist sehr schön, zu sehen, wie glücklich sie sind", sagt Thams. Bei rund 500 Geburten war sie dabei, bei einer fuhr sie auf dem Weg dorthin in den Graben, wegen der glatten Straße. Es war Winter, irgendwo in Dithmarschen. Maren Thams stieg aus, suchte sich einen Bauern mit Trecker, ließ ihr Auto aus dem Graben fischen und kam trotzdem rechtzeitig. Patent muss man als Hebamme schon sein.

Inzwischen betreut sie keine Geburten mehr, wegen der Rufbereitschaft. Inzwischen arbeitet sie etwa 30 bis 50 Stunden in der Woche. Die Arbeit sei schon anstrengend, sagt sie, und nicht besonders gut bezahlt. Aber trotzdem wollte sie seit einem Schulpraktikum im Krankenhaus keinen anderen Beruf. "Ich habe eine Geburt gesehen, das hat mich fasziniert", sagt sie. Um an einer Hebammenschule zu lernen, zog sie 1992 von ihrer Heimatstadt Flensburg nach Heidelberg. Ganz einfach ist es nicht, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. "Es kamen damals etwa 600 Bewerbungen auf 15 Plätze", sagt sie. Zu der drei Jahre dauernden Ausbildung gehörten 3000 Praxis- und 1500 Theoriestunden. Wie man akupunktiert, lernte sie in einer Zusatzausbildung.

13 Uhr: Akupunktur

"Die Akupunktur hilft, den Muttermund weicher zu machen. Die Geburt geht dadurch schneller", sagt Thams. Außerdem soll die Mutter gestärkt werden. "Ein bisschen so, wie Hühnersuppe", sagt Thams. Sie setzt drei sterile Nadeln in jedes Bein. In der nächsten Sitzung werden noch zwei Nadeln hinzukommen, eine pro Fuß. "Du musst die Beine ruhig halten, Birte." Vorher hatte sie gefragt, wie es Birte denn geht in der Schwangerschaft, gut geht es, das ist schön. Während Birte entspannt, trinkt Thams im Büro nebenan einen Schluck Wasser und hört den Anrufbeantworter ab. Es gibt auch ein Handy, auf dem die Mütter anrufen dürfen. "Das kommt täglich schon ein paar Mal vor", sagt sie. "Am häufigsten gibt es Probleme mit dem Stillen." Manchmal verweigert das Baby die Brust, außerdem kann es zu Milchstau, Milchüberschuss und schmerzenden Brustwarzen kommen.

13.45 Uhr: Hausbesuch

Auch mit Lisa gibt es ein Problem. Sie will ständig an der Brust nuckeln, auch wenn sie gar keinen Hunger hat. Außerdem schläft sie nicht richtig, drei Wochen ist sie nun auf der Welt und ihre Mutter Jasmin hat in dieser Zeit kaum geschlafen. Maren Thams ist schon vor drei Tagen zu Besuch gekommen, nun fährt sie noch einmal hin. "Mal gucken, wie es den beiden heute geht", sagt sie. Ihre Hebammentasche steht schon bereit, Thams hat sie von ihren Eltern zum Examen bekommen. Darin sind unter anderem Gummihandschuhe und eine Babywaage.

Lisas Eltern wohnen sieben Autominuten entfernt, weil es in der Straße keine Parkplätze gibt, darf sich Maren Thams auf den privaten Platz der Familie stellen. Hier füllt sie kurz ihr Fahrtenbuch aus. "Für die Steuer. Damit ich nachweisen kann, dass ich meinen Wagen überwiegend beruflich nutze", sagt sie. Lisas Mama Jasmin öffnet die Tür, sie sieht sehr müde aus. "Sonst geht es mir gut, aber der Schlafmangel...", sagt sie. "Vorgestern ging es, aber gestern Abend fing es wieder an. Sie will jede Stunde ein bisschen nippen und dann nur schreien." Wer jetzt denkt: Klare Sache, Schnuller hilft: Schnuller mag Lisa gar nicht, das hat ihre Mutter schon versucht. In einer Dose auf dem Wickeltisch liegen verschiedene Arten, keine davon gefällt Lisa. Maren Thams zeigt Lisas Mutter, wie sie die Milchpumpe bedient, außerdem will Jasmin versuchen, am Abend mit Säuglingsnahrung zuzufüttern, damit Lisa gesättigter ist. "Ich glaube, sie hat auch Bauchschmerzen, weil sie so hastig trinkt und dabei Luft schluckt", sagt Jasmin. Thams tastet zur Sicherheit den Bauch des Babys ab, er fühlt sich normal an. Dann wird Lisa noch mit der Babywaage gewogen, einer Tuch-Seil-Kombination, die ein bisschen aussieht wie die Bündel, in denen der Storch die Babys bringt. 4960 Kilogramm, sie hat gut zugenommen in den drei Wochen.

Nachdem Maren Thams die Mutter noch ein wenig beruhigt hat, verabschiedet sie sich. Normalerweise würde sie jetzt ins Büro fahren, um Unterlagen zu sortieren und Termine zu koordinieren. Am Abend würde sie dann vielleicht Pilates machen und einen Thriller oder einen Liebesroman lesen Aber heute hat sie Bettzeug dabei, denn sie fährt für ein verlängertes Wochenende zu ihren Eltern. Manchmal brauchen eben auch Hebammen eine Babypause.

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