Jahrelang pflegte die Großhansdorferin Karin David ihren an Alzheimer erkrankten Mann. Der NDR zeigt eine Dokumentation über ihren Alltag.

Großhansdorf. Karin David erzählt sofort los. Es muss raus. Offen und ehrlich. "Ich hätte ihn umbringen können. Er hat überhaupt nichts mehr begriffen. Es war furchtbar. Die Liebe ist in Hass umgeschlagen", sagt sie. "Und dann hat er mich wieder so angesehen, dass ich ihn trösten musste."

Die Geschichte von ihr und ihrem Dieter ist am Sonntag im Fernsehen zu sehen. Es ist die traurige und doch versöhnliche Geschichte vom Ende einer Partnerschaft. Der Film gibt Einblick in einen Alltag, von dem die Nachbarn nichts wissen sollten und von dem viele Freunde nichts wissen wollten. "Die meisten haben sich verabschiedet. Das war das Schlimmste."

2006 fing es an. Karin David war auf Kur. Ihr Mann Dieter rief an. Er stand am Ahrensburger Schloss und wusste nicht, warum. "Es war schon merkwürdig, dass er sich zuvor geweigert hatte, mich zur Kur nach Bad Pyrmont zu fahren", sagt die Großhansdorferin. Später sei ihr Mann dreimal in den Gegenverkehr gefahren. "Unsere Enkelkinder saßen mit im Auto. Wir hätten alle weg sein können." Sie nahm ihrem Dieter den Autoschlüssel ab und ging mit ihm zum Arzt. Die Diagnose: Alzheimer.

***Alzheimer-Ursache entdeckt?***

"Es war eindeutig. Dieter sollte eine Uhr zeichnen. Das war aber ein Ei. Und die Zeiger waren daneben", sagt die 75-Jährige. Sie hat keine Scheu, über ihre ganz privaten Erlebnisse zu sprechen. Sie weiß, dass es Tausenden Stormarnern ähnlich ergeht. "Es wird zwar über Alzheimer geredet, aber die Problematik für Angehörige kommt oft zu kurz."

So sagte Karin David auch sofort zu, als der NDR fragte, ob ein Fernsehteam sie ein halbes Jahr lang begleiten dürfe. Der Film ist für die Großhansdorferin jetzt ein kostbares Dokument. Er zeigt sie an der Seite des Mannes, mit dem sie 28 Jahre ihres Lebens geteilt hat. Er starb wenige Wochen nach dem Ende der Dreharbeiten - zu Hause, in den Armen seiner Frau.

"Ich bin so froh, dass ich bei ihm war, als er starb", sagt sie und schluckt trocken. Sie will nichts verklären. Es war nicht nur Trauer, die sie spürte. "Es war auch ein Glück. Es war eine Befreiung für uns alle."

Mit einer schweren Gehirnblutung war ihr Mann Ostern dieses Jahres in ein Hamburger Krankenhaus eingeliefert worden. "Das hatte nichts mit Alzheimer zu tun. An Alzheimer stirbt man nicht. Das ist es ja", sagt Karin David. Fünf Jahre hat sie den geistigen Verfall miterlebt. "Ich war nie so allein wie in dieser Zeit. Und ich habe nie so viel um einen Menschen geweint wie um Dieter." Nachts konnte ihr Mann nicht schlafen. Morgens stand er früh auf der Matte und wollte los. "Zu seiner Mutter. Das ging jeden Tag so. Wir saßen stumm am Frühstückstisch. Es war unvorstellbar. Ich hatte keinen Partner mehr. Es ging alles weg." Er war ihr fremd.

Karin David versuchte, gegenzusteuern. Sie ging mit ihrem Mann spazieren. "Ich wollte, dass er Sauerstoff bekommt und sein Gehirn besser durchblutet wird." Es hat nichts genützt. Ihr einstiger Traummann war nicht mehr er selbst. "Dieter hat stundenlang im Garten gefegt. Gefegt und gefegt. Aber dann ließ er alles liegen. Und anstatt die Abfälle in einen Sack zu tun, ging er um den Sack rum und warf alles daneben. Es ging überhaupt nichts mehr." Er wollte sich auch nicht mehr duschen. "Wasser hatte etwas Erschreckendes für ihn. Und bloß nichts über den Kopf. Wie oft hat er in der Dusche gestanden und gebettelt: Bitte, bitte nicht waschen. Und ich habe im Wohnzimmer gesessen und geheult."

Karin David erzählt schnell, fast druckreif. So eindrücklich sind die Erinnerungen, so intensiv hat sie alles durchlebt, durchlitten. Sie jammert aber nicht. Kein Vorwurf ist zu hören. "Er konnte ja nichts dafür", sagt sie. In wenigen lichten Momenten erkannte ihr Mann die Situation.

"Einmal versuchte er, eine Strickjacke anzuziehen. Das klappte nicht. Er hatte den Rücken nach vorne genommen und suchte die Knöpfe. Das sah so komisch aus. Ich hab' mich totgelacht, und dann musste er mitlachen. Oder auch als er im Wohnzimmer erschien, mit beiden Beinen in einem Bein des Schlafanzugs. Das waren entspannte Augenblicke." Viele davon gab es nicht. Je weiter die Demenz voranschritt, desto aggressiver wurde Dieter. "Er hat mich manchmal so stark geschubst, dass die Kinder Angst um mich bekamen", sagt Karin David. "Was ist, wenn du hinfällst, haben sie mich gefragt." Ihr Mann hätte keine Hilfe holen können. "Er wusste nicht mehr, wie man ein Telefon bedient."

In dieser Zeit, es war im Herbst 2010, fiel die Entscheidung: Ihr Mann sollte ins Heim. "Es ging nicht mehr. Trotzdem hatte ich natürlich ein schlechtes Gewissen. Und Dieter hat es nicht verstanden. Ich bin doch nicht krank, hat er gesagt."

Ein Millionenpublikum darf am Sonntag in ihr Wohnzimmer, in ihre Seelenlandschaft schauen. "Am Anfang habe ich alles unter dem Deckel gehalten. Die Nachbarn sollten nichts mitbekommen", sagt Karin David. Sie ließ ihren Mann nicht von zu Hause abholen, wenn er zu den Alzheimergruppen fuhr. "Ich habe ihn nach Ahrensfelde gebracht. Dort wurde eine andere Frau abgeholt, und da ist Dieter zugestiegen."

Mittwochs fuhr er nach Bad Oldesloe, freitags nach Jersbek. Mittags war er wieder da. "Ich konnte gerade mal zum Einkaufen oder zum Arzt. Mir wurde das alles zu viel." Von Freunden kam bis auf zwei Ausnahmen keine Hilfe.

"Ruf uns an, wenn du uns brauchst", hieß es. "Aber wenn ich erst anrufen muss, ist es schon zu spät. Was mir wirklich geholfen hätte, wäre das Angebot gewesen, zu mir zu kommen und eine Weile bei Dieter zu bleiben. Dann hätte ich mal ins Theater oder in Ruhe zum Friseur gehen können." Aber das Angebot kam nicht.

"Vielleicht war es ja die Angst vor der Situation. Die Angst, mit Dieter allein im Wohnzimmer nicht fertig zu werden." Ihre Nichte kam öfter, mit ihrem Hund Fanny. Der Labrador legte sich vor die Füße des demenzkranken Mannes und machte ihn ganz ruhig. "Tiere spüren das, wenn einer Hilfe braucht. Die beiden haben zusammen ferngesehen. Dieter war total auf mich fixiert. Aber da hat er nicht mehr ständig nach mir gefragt."

Auch ihre Enkelin kam. Sie war dabei, als ihr Mann starb. "Als klar war, dass er nicht mehr lange leben würde, habe ich ihn nach Hause geholt. Am 5. Mai um 10 Uhr wurde er gebracht. Um 19 Uhr ist er friedlich eingeschlafen. Neun Stunden war er noch bei mir", sagt Karin David ganz leise. Hat er sie in all der Zeit immer noch erkannt? "Ich glaube ja. An meinem Geburtstag im März hatte er mich in den Arm genommen und gesagt: Ich liebe dich doch."

"Mein Mann ist dement: Wenn die Liebe an ihre Grenzen kommt": Sonntag, 30. Oktober, 15.15 Uhr, NDR-Fernsehen