Bis zum Beginn einer ambulanten Psychotherapie in Stormarn vergehen etwa acht Monate. Besonders in ländlichen Regionen müssen Patienten warten.

Ahrensburg. Die Versorgungssituation für psychisch Kranke wie Burn-out-Patienten ist "furchtbar": Dieses Wort benutzt Heinz-Joachim Laska, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie in Ahrensburg. "Bei Depressionen etwa ist eine Kombination aus Therapie und Antidepressiva am wirkungsvollsten", sagt er. Die Antidepressiva könne er zeitnah verschreiben, aber auf einen Therapieplatz würden die Patienten mehrere Monate warten müssen.

Eine furchtbare Situation also, und sie ist auf dem Land noch furchtbarer als in der Stadt. "Je ländlicher, desto schlechter wird die Versorgung", sagt Prof. Dr. Matthias Lemke. Er ist ärztlicher Direktor des Heinrich-Sengelmann-Krankenhauses in Bargfeld-Stegen, einem Fachkrankenhaus für Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatik. "Es gibt hervorragende niedergelassene Ärzte, aber in Relation zum Bedarf viel zu wenig", sagt Lemke.

Michael Wohlfarth von der Psychotherapeutenkammer Schleswig-Holstein stimmt zu. "In Stormarn kommen 16,1 Psychotherapeuten auf 100 000 Einwohner, in Kiel sind es etwa dreimal so viele" sagt er. Die Vorgabe für den Kreis seien sogar nur 9,9 Therapeuten pro 100 000 Einwohner. Diese Vorgabe stammt vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA), dem höchsten Gremium der gemeinsamen Selbstverwaltung im Gesundheitswesen. Auf dem Papier besteht also eine Überversorgung. "Dabei sind Bedarfszahlen von 1999 Planungsgrundlage für die Zulassungszahlen", sagt Wohlfarth. "Diese müssen aktualisiert werden. Man hat nicht auf den Bedarf geguckt."

Michael Wohlfarth sagt, die Wartezeiten dürften nicht länger sein als drei Wochen. Die Realität ist anders. Laut einer Studie der Bundespsychotherapeutischen Kammer (BPtK) muss man in Stormarn im Durchschnitt 15,2 Wochen auf ein Erstgespräch warten. Erst danach folgt eine ambulante Therapie. Beim Erstgespräch wird unter anderem festgestellt, ob Therapeut und Therapiemethode zum Klienten passen. Bis zum Beginn der Therapie wartet man durchschnittlich 32,6 Wochen.

Zum Vergleich: Die Wartezeit auf ein Erstgespräch beträgt im Bundesdurchschnitt 12,5 Wochen, bis zum Beginn der Therapie 23,4 Wochen. "Die Situation in Stormarn ist katastrophal", sagt Hans Krüger von der Psychosozialen Kontaktstelle der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Ahrensburg. Vor etwa drei Monaten hätten er und sein Team "so ziemlich alle" Therapeuten in Ahrensburg und Umgebung durchtelefoniert. "Wir haben einen Platz für eine Klientin gesucht. Es ging nichts unter einem halben Jahr Wartezeit", sagt er. Die Klientin habe bis heute keinen Therapieplatz bekommen. Die Ablehnung sei für viele sehr schlimm. "Es kostet unendliche Überwindung, anzurufen und um Hilfe zu bitten", sagt Krüger. "Bekommen sie keinen Platz, verlässt viele der Mut, einige resignieren."

Die Folgen kennt Matthias Lemke: "Warten die Patienten sehr lange, werden die Erkrankungen viel zu spät behandelt. Das führt dazu, dass einige dann in die Klinik müssen, weil es ihnen so schlecht geht", sagt er. Und das sei nicht nur für die Patienten schlecht, sondern auch für die Krankenkassen. Denn die Kosten steigen. "Erschöpfungssyndrome und Depressionen haben deutlich zugenommen, aber auch für andere Krankheiten gilt: Werden sie nicht rechtzeitig behandelt, können sie chronisch werden", sagt Lemke. Dadurch käme es zu mehr Arbeitsunfähigkeitstagen. "Die indirekten Krankheitskosten sind enorm hoch."

Das zeigt auch der aktuelle Gesundheitsreport der Allgemeinen Ortskrankenkasse Nordwest (AOK). Die Fehltage wegen psychischer Erkrankungen haben innerhalb eines Jahres um sieben Prozent zugenommen (wir berichteten). Mit 10,5 Prozent waren sie nach Muskel- und Skeletterkrankungen und Verletzungen die dritthäufigste Ursache für die krankheitsbedingten Fehlzeiten der Stormarner. Allein wegen des Burn-out-Syndroms, einem extremen Erschöpfungszustand, haben sich die Fehltage von 2004 bis 2010 um das Neunfache erhöht.

Auf die Bedarfszahlen von 1999 übertragen, hieße das: Mehr Erkrankte als 1999 bräuchten mehr Therapeuten als 1999. Und laut Rainer Richter von der Bundespsychotherapeutenkammer wären schon damals nur zehn Prozent der Behandlungsbedürftigen behandelt worden.