Südstormarner Therapeutin sieht hohe Dunkelziffer beim Missbrauch von Kindern. Lehrer bräuchten mehr Fortbildung

Reinbek. Sie wirken mental abwesend, zeigen plötzlich eine Aggressivität, die eigentlich nicht zu ihrer Persönlichkeit passt. Kinder und Jugendliche, die Erfahrungen mit sexueller Gewalt und sexuellem Missbrauch gemacht haben, zeigen ihre seelischen Verletzungen häufig durch verändertes Verhalten. Doch nicht immer wird dies auch von Lehrern erkannt oder hinterfragt. Und dies, obwohl laut der Studie "Sexuelle Gewalt gegen Mädchen und Jungen in Institutionen", die das Deutsche Jugendinstitut nun in Berlin veröffentlicht hat, etwa jede zweite Schule in Deutschland in den vergangenen drei Jahren mit Verdachtsfällen konfrontiert wurde.

Die Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeutin Regina Skibowski vom Beratungszentrum Südstormarn geht sogar davon aus, dass es an jeder Schule mindestens ein Kind gibt, das mit dem Thema Erfahrung machen musste. Pro Jahr werde die Beratungsstelle in Südstormarn knapp 20-mal zu Rate gezogen, wenn Verdachtsfälle in Schulen aufkommen. "Wir kümmern uns ja nur um einen kleinen Teil in Stormarn. Dafür ist die Zahl sehr hoch", sagt Skibowski. Kreisweit jedoch werden die Zahlen nicht erfasst. "Zuletzt wurden uns rund 550 Fälle von Kindeswohlgefährdung gemeldet, darunter fallen aber Fälle von Gewalt und Vernachlässigung. In der Statistik wird da kein Unterschied gemacht. Wir nehmen jeden Verdachtsfall jeder Art ernst", sagt Wilhelm Hegermann, Leiter des Fachbereichs Jugend, Schule und Kultur im Kreis Stormarn. Wie viele Verdachtsfälle von sexuellem Missbrauch in einem schulischen Kontext stehen, könne er nicht sagen.

Regina Skibowski, die seit 20 Jahren Betroffene betreut, rechnet jedoch damit, dass die Zahl sehr hoch ist. Man müsse außerdem davon ausgehen, dass die Dunkelziffer groß ist, da viele Betroffene nicht über das Tabuthema sprechen, sondern einen Mantel des Schweigens darüberlegen. "Laut Statistik werden 18 Prozent aller Mädchen und sieben Prozent aller Jungen damit konfrontiert", sagt sie. Bis sich Betroffene Hilfe suchen, vergehe aber oft viel Zeit.

Um Lehrer für das Thema zu sensibilisieren, gibt es in Südstormarn den Arbeitskreis gegen sexuelle Gewalt an Kindern und Jugendlichen, der sich alle sechs Wochen trifft und austauscht. Vertreter des Allgemeinen Sozialdienstes, von Kindergärten und Schulen und die Beratungsstelle Südstormarn nehmen regelmäßig daran teil. Auch die Schulsozialpädagogin Hanna Bartehls von der Gemeinschaftsschule Reinbek ist dabei. Sie selbst werde mit ein bis zwei Verdachtsfällen pro Jahr konfrontiert. "Einige Schüler haben sich selbst an mich gewendet, in manchen Fällen sind aber auch Lehrer an mich herangetreten", sagt die Schulsozialpädagogin. Sie weiß aber auch, dass viele Lehrer mit dem Thema überfordert sind. "Lehrer kommen dabei sehr schnell an ihre Grenzen. Es müsste viel mehr Fortbildungen geben", sagt die 45-Jährige - auch damit Fälle von möglichem sexuellen Missbrauch schneller erkannt werden.

Vor allem aber wüssten viele Pädagogen nicht, wie sie sich weiter verhalten sollen, an welche Stellen sie sich wenden können. Denn häufig wollen Betroffene nicht, dass die Jugendämter eingeschaltet werden. "Es erfordert sehr viel Fingerspitzengefühl, die Kinder und Jugendlichen dahin zu bewegen", sagt Bartehls. Denn es passiere immer wieder, dass sich Betroffene zurückziehen, weil sie in ihren Familien unter Druck gesetzt werden, sie Angst vor Konsequenzen bekommen. "Das sind langwierige Gespräche, die sehr zeitintensiv sind und die Lehrer und Schulsozialpädagogen kaum leisten können", sagt sie. Gerade an weiterführenden Schulen seien die Lehrkräfte kaum auf das Thema vorbereitet.

Das Problem sei nicht, dass es keine Fortbildungen gebe. Die Lehrgänge würden jedoch häufig an Abenden nach dem Unterricht und an den Wochenenden angeboten. "Viele haben dann einfach keine Lust mehr dazu, weil die Arbeit ohnehin schon mehr geworden ist", sagt sie. Persönlich plädiere sie dafür, dass Pädagogen bereits in ihrer Ausbildung stärker für das Thema sensibilisiert werden.

Die Stormarner Schulrätin Karin Thomas meint, dass das Interesse von Lehrern an Fortbildungen vorhanden sei. "Auch in der Ausbildung werden Lehrer im Fach Diagnostik darauf vorbereitet. Aber es gibt auch Grenzen der Fachlichkeit."