Die Polizei prüft derzeit, ob der Serientäter aus Henstedt-Ulzburg im Dezember 1970 auch die 13-Jährige in Stemwarde erdrosselt hat.

Barsbüttel. "Geh' nicht mit dem Mann, Mausi. Mutti hat es doch verboten." Es sind die Worte einer besorgten Schwester, die ahnt, dass mit dem Unbekannten etwas nicht stimmt. Doch die 13-jährige Hannelore K. geht mit. Ihre neun Jahre alte Schwester wird sie nie wieder sehen. Am nächsten Tag findet ein Polizist Hannelores Leiche in der Feldmark im Barsbütteler Ortsteil Stemwarde. Die Schülerin wurde vergewaltigt und erwürgt.

Mehr als 40 Jahre sind seit diesem grausigen Verbrechen vergangen. Doch nun könnte der Mord an Hannelore K. doch noch aufgeklärt werden. Die Polizei prüft, ob der heute 64 Jahre alte Serienmörder Hans-Jürgen S. aus Henstedt-Ulzburg (Kreis Segeberg) auch das Mädchen in Stemwarde umgebracht hat.

Ein Mann fragt das Kind, ob es beim Suchen der Brieftasche helfen kann

S. war bereits im April erhaftet worden. Eine DNA-Untersuchung hatte ergeben, dass der Handwerker 1984 eine 18-Jährige entführt, missbraucht und getötet hatte. In der U-Haft gestand der Mann die Morde an vier weiteren Frauen und Mädchen in Hamburg und Norderstedt zwischen 1969 bis 1972 (das Abendblatt berichtete). Eine seinerzeit eingerichtete Sonderkommission der Polizei jagte damals einen Serienmörder. Die Ermittler der Soko gingen davon aus, dass sieben Sexualverbrechen auf das Konto desselben Mannes gehen - darunter die vier jetzt gestandenen Taten und der Mord an Hannelore K.

Es ist Montag, der 21. Dezember 1970. Gustav K., damals 33, schickt drei seiner sechs Kinder von Stemwarde nach Stellau, um an einer Tankstelle Autosicherungen zu kaufen. Sein ältestes Kind, Hannelore, macht sich mit der kleinen Schwester auf den zwei Kilometer langen Weg ins Nachbardorf. In einer Kinderkarre schieben beide ihren zwei Jahre alten Bruder. Um 17.15 Uhr wird es dunkel. Die Kinder sind bereits auf dem Rückweg nach Stemwarde.

Etwa 300 Meter vor dem Elternhaus spricht ein Mann die Geschwister an. "Habt ihr eine Brieftasche gefunden?", fragt der Fremde, der mit einem Fahrrad unterwegs ist. Die Kinder verneinen. "Kannst du mir nicht suchen helfen?", bittet der Mann die 13-Jährige. Ihre kleinere Schwester hat ein ungutes Gefühl. "Geh' nicht mit dem Mann, Mausi", sagt die Neunjährige. Doch Hannelore K. möchte dem Mann offenbar helfen und schickt ihre Geschwister weiter.

Die Neunjährige schiebt die Kinderkarre mit dem kleinen Bruder so schnell sie kann nach Hause. Dort erzählt sie sofort ihrer Mutter, was passiert ist. Die besorgte Frau greift sofort nach ihrem Mantel und sucht ihre Tochter. Sie läuft über die Felder, schreit immer wieder den Namen ihres Kindes. Vergebens. Zwei Stunden später suchen auch ein Dutzend Feuerwehrmänner nach dem Mädchen.

"Ich kann mich noch sehr gut an diesen Tag erinnern. Es war kurz vor Weihnachten, ein bitterkalter Tag, auf den Feldern lag Frost", erinnert sich der heute 79 Jahre alte Werner Schlüter aus Stemwarde: "Mit zehn Kameraden haben ich die Feldwege abgesucht. Jedoch ohne Erfolg."

Einen Tag später startet erneut ein Suchtrupp. Dorfbewohner, Feuerwehrmänner und Polizisten durchkämmen die Felder. Um 12 Uhr dann die traurige Gewissheit: Polizeiobermeister Günther Behnk klettert auf einen Hochstand in der Feldmark bei Stemwarde und entdeckt den leblosen Körper. Das Mädchen liegt in einem Wassergraben in der Nähe eines Radwegs. Es ist ein entsetzliches Bild, das sich ins Gedächtnis der Polizisten brennt. Der Rock des Mädchens ist bis zur Hüfte hochgeschoben. Unter dem dicken Anorak sind der Pullover, die Bluse und das Unterhemd hochgeschoben. Am Hals des Kindes entdecken die Polizisten Strangulationsmerkmale. Der Mörder hat das Kind erdrosselt.

Die Dorfbewohner sammelten Geld für eine Beerdigung mit Grabstein

"Es war furchtbar, als wir die Nachricht erhalten haben. Das gesamte Dorf stand unter Schock", sagt Werner Schlüter. Er kannte Hannelore K. gut. Seine Tochter war mit ihr zusammen in Schönningstedt zur Schule gegangen, die Mädchen waren gut befreundet. "Die Familie K. war sehr arm. Der Vater war Deputatarbeiter", sagt Schlüter.

Um die Familie zu unterstützen, sammelten die Dorfbewohner Geld für die Beerdigung des Mädchens. "Wir wollten, dass das Kind einen Grabstein bekommt", sagt Schlüter, der noch immer bei der Feuerwehr ist. Rund neun Monate nach der grausigen Tat verlässt die Familie den Ort.

Die Polizei prüft nun, ob Hans-Jürgen S., der bis zu seiner Verhaftung mit seiner 90 Jahre alten Mutter in Henstedt-Ulzburg lebte, der Mörder ist. Am Freitag sagten die Beamten, dass sie erst am Anfang der Ermittlungen stehen. Auch weitere ungeklärte Fälle im Umland von Hamburg werden geprüft.