Der ehemalige Generalstaatsanwalt Erhard Rex fordert in Reinbek konsequenteres Durchgreifen bei jugendlichen Intensivtätern.

Reinbek. Kommt ein Patient mit Bauchschmerzen zum Arzt. Der aber schickt den Kranken wieder nach Hause, ein wenig Ruhe sollte reichen. Vier Jahre später steht der Patient wieder in der Praxis, seine chronische Nierenbeckenentzündung muss nun aufwendig und teuer behandelt werden. Ähnlich wie dieser Arzt gehe die deutsche Justiz mit jugendlichen Intensivtätern um, sagt Erhard Rex. Der ehemalige Generalstaatsanwalt des Landes Schleswig-Holstein fordert: "Wir brauchen mehr Konsequenz und Härte."

Beim Kamingespräch im Reinbeker Schloss sprach Rex auf Einladung des Vereins Kontakt über die Reaktionen der Justiz auf Jugendliche, die immer wieder durch schwere Gewaltverbrechen auffallen. Dafür warf er zunächst einen Blick auf die Täter. Deren Zahl sei während seiner Amtszeit in den Jahren von 1997 bis 2010 um 100 Prozent gestiegen. "Eine dramatische Negativentwicklung", sagte Rex. Seit etwa drei Jahren stagniere die Zahl jedoch, er sehe "Licht am Ende des Tunnels". Bemerkenswert sei, dass die Zahl der Straftaten im selben Zeitraum nur um etwa 30 bis 40 Prozent gestiegen sei. Rex: "Es gibt immer mehr Täter, die in Gruppen gewaltsam vorgehen."

Der überwiegende Teil der Intensivtäter kommt laut Rex aus dem Migrationsbereich. "Davor dürfen wir nicht die Augen verschließen", sagte er und bemühte wieder den Arztvergleich. "Wer die Diagnose nicht stellt, kann die Therapie nicht machen." Und eine Therapie, also eine Reaktion, müsse auch bei kleineren Verbrechen unbedingt erfolgen, sagt der Jurist. "Es muss eine sofortige Reaktion durch die Polizei geben. Sie hat die Möglichkeit erzieherisch einzuwirken, zum Beispiel durch ein normverdeutlichendes Gespräch."

Bei größeren Gewaltdelikten müssten alle Verfahren eines Täters bei einer Staatsanwaltschaft zusammengeführt werden. "Es muss eine einheitliche Richterentscheidung für jeden Intensivtäter geben. Noch ist es so, dass jeder seine Akten abarbeiten will, diese Widerstände müssen wir durchbrechen." Dazu habe er in seiner Zeit als Generalstaatsanwalt einige Projekte angeschoben, darunter die Erstellung einer Liste, auf der die schlimmsten jungen Straftäter aufgeführt sind, und die der Reihe nach abgearbeitet wird.

"Dabei geht es nicht nur darum, Härte zu zeigen, sondern auch Verantwortung. Zu viel Milde kann auch falsch sein. Das ist eine Gratwanderung." Schärfere Gesetze seien allerdings nicht notwendig. "Die Strafmaße sind hoch genug, der Staat verfolgt sie nur nicht konsequent genug." Nur rechtzeitiges Eingreifen könne Schlimmeres verhindern - und spare zudem Geld, so Rex. Prävention müsse in den Kitas beginnen. "Früherkennung kostet wenig, Späterkennung wird teuer."

Ein großes Problem sei allerdings die Finanzierung von Jugendhilfemaßnahmen. Viele Kommungen sparten zum Beispiel an der Jugendgerichtshilfe, sagte Rex. "Teilweise sind Maßnahmen, die ein Richter anordnen will, wie Drogenhilfe oder ein Anti-Aggressions-Kurse nicht möglich, weil sie nicht finanziert werden." Momentan habe die Justiz bloß eine "Feuerwehrfunktion". Rex: "Sie löscht die Brände, ist nicht mehr als ein Kitt." Gesteuert werde die Kriminalität von vielen verschiedenen Faktoren. Deshalb müssten Eltern, Schulen, Polizei, Politik und Justiz gemeinsam Verantwortung übernehmen. Rex: "Alle sind aufgerufen, vor der eigenen Haustür zu kehren."

Der Reinbeker Familienrichter Bernd Wrobel, der die anschließende Diskussionsrunde moderierte, sagte, es gebe auch hier "dissoziale Jugendliche", die in Kriminalität und Drogensucht abrutschten. "Aber ansonsten haben wir in Reinbek noch weitgehend intakte Verhältnisse." In Stormarn gab es laut polizeilicher Kriminalitätsstatistik im vergangenen Jahr 369 Fälle von Gewaltkriminalität und 186 Körperverletzungen, begangen von Tätern unter 21 Jahren, die Zahl nimmt seit vier Jahren leicht ab.

Die Landesregierung hat im vergangenen Jahr eine "Jugend-Taskforce" eingesetzt, die die Zusammenarbeit zwischen Sozialarbeit, Schule, Polizei und Justiz verbessern soll. Justizminister Emil Schmalfuß forderte gegenüber der Regionalausgabe Stormarn zudem: "Reaktionen bei jugendlichen Straftätern sollten stets zeitnah erfolgen." Ob es sinnvoll sei, Sozialarbeiter an Schulen einzusetzen, fragte ein Besucher. Auf jeden Fall, meint Rex. "Die Sozialarbeiter sind unserer wichtigsten Ansprechpartner. Aber wenn die Schulen keine Mittel zur Verfügung hat, können Sozialarbeiter nichts bewirken."

Ein großes Problem sei zudem, dass Lehrer, die sich gewalttätigen Schülern entgegen stellten, allein gelassen würden. "Einzelkämpfer reiben sich auf. Die Richterin Kirsten Heisig hat das in Berlin versucht, sie ist gescheitert. Auch Lehrer haben keine Macht mehr." Lehrerinnen hätten teilweise Angst vor Jugendgruppen, die ihnen mehr oder weniger offen drohten. "Dann kommt es zu einem Ausweichverhalten, weil sie das sichere Gefühl haben, dass ihnen keiner helfen wird."

Um das Problem der jugendlichen Intensivtäter in den Griff zu bekommen, müssten alle gesellschaftlichen Institutionen zusammenarbeiten, sagte Erhard Rex. "Die Gesellschaft muss eine Kehrtwendung machen."