Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht zum 1. März, fällt auch der Ersatzdienst weg. Soziale Einrichtungen suchen händeringend nach Arbeitskräften.

Ahrensburg. Helfen, betreuen, zuhören - Marvin Lüth kümmert sich täglich um bis zu 17 Menschen mit körperlichen und geistigen Behinderungen in den Stormarner Werkstätten in Ahrensburg. Die Männer und Frauen vertrauen ihm, brauchen ihn. Doch lange wird Lüth nicht mehr bei ihnen sein. Der 20-Jährige ist einer der letzten von 180 Zivildienstleistenden in Stormarn. Mit dem Aussetzen der Wehrpflicht ist zum 1. März auch der Ersatzdienst weggefallen. Viele Hilfsorganisationen und soziale Einrichtungen stellt das vor große Probleme. Torsten Bierbach, Produktionsleiter der Stormarner Werkstätten, bezeichnet die Situation als dramatisch.

Werde nicht bald klar, wie die fehlenden Stellen kompensiert werden sollen, könne das gesamte Hilfesystem zusammenbrechen. Zwölf bis 15 Stellen wurden mit Zivildienstleistenden oder jungen Leuten, die sich für ein Freiwilliges Soziales Jahr entschieden haben, in der Einrichtung der Behindertenhilfe in der Trägerschaft des Diakonie-Hilfswerkes Schleswig-Holstein besetzt. Derzeit gebe es nur noch drei Zivis - und der letzte höre im Mai auf. "Das ist schon jetzt eine schwierige Situation für uns, wenn jemand krank ist oder Urlaub hat. Das wird bald ein noch größeres Loch reißen", weiß Bierbach. Denn die fehlenden Zivis müssen durch Hilfskräfte aufgefangen werden. Das Problem dabei seien die Kosten. "Eine Hilfskraft wird uns etwa 1500 Euro im Monat kosten. Dafür konnten wir fast drei Zivis beschäftigen. Einige Gruppen und Dienste werden so wahrscheinlich unbesetzt bleiben. Für mehr Leute ist einfach kein Geld da", sagt Bierbach.

Richtig teuer wird die Umstellung von 24 Zivildienstleistenden auf 15 feste Hilfskräfte auch für das St. Adolf-Stift in Reinbek - das Krankenhaus beschäftigt die meisten Zivildienstleistenden im Kreis. Der kaufmännische Direktor Lothar Obst rechnet dadurch mit 400 000 Euro zusätzlichen Kosten. Schon kurz nach Bekanntwerden der möglichen Abschaffung des Wehr- und damit auch des Zivildienstes hat das Krankenhaus reagiert und im September vergangenen Jahres eine Arbeitsgruppe eingerichtet. "Uns blieb gar nichts anderes übrig. Wir mussten unsere Personalplanung frühzeitig darauf einstellen, Kosten berechnen. Die Zivis übernehmen hier wichtige Aufgaben. Die können wir nicht einfach streichen", sagt Obst und ärgert sich über die Entscheidung der Politik, die die Veränderung nicht genug durchdacht habe.

Für das Krankenhaus bedeute dies nun Einsparungen. Für eine Einrichtung wie das Krankenhaus mit einem Umsatz von 50 Millionen Euro im Jahr sei dies noch machbar. "Aber wie etwa allein die ambulanten Dienste das auffangen sollen, darüber haben sich die schlauen Köpfe in Berlin keine Gedanken gemacht", kritisiert Obst.

Für die Sozialstationen in Ahrensburg, Ammersbek und Großhansdorf des Deutschen Roten Kreuzes bedeutet dies in Zukunft personelle Einschränkung und Zeitdruck. "Spontane Spaziergänge oder Einkäufe für Pflegebedürftige sind dann nicht mehr ohne Weiteres möglich", sagt Leiterin Karin Heino, die auf mehr ehrenamtliche Helfer hofft. Dem von der Regierung geplanten Bundesfreiwilligendienst, der als Ersatz für den 1961 eingeführten Zivildienst gedacht ist, sieht sie ähnlich kritisch entgegen wie auch Torsten Bierbach von den Stormarner Werkstätten: "Es ist ja auch immer noch nicht klar, wie das genau aussehen soll. Der Freiwilligendienst ist vom Gesetz her noch immer nicht in trockenen Tüchern. Und die Frage bleibt: Wie viele melden sich dafür überhaupt?", sagt Bierbach. Denn schon jetzt sei spürbar, dass sich auch weniger junge Menschen für ein Freiwilliges Soziales Jahr entscheiden. Lagen Bierbach in den vergangenen Jahren im Frühjahr rund 30 Bewerbungen dafür vor, sei 2011 bisher keine einzige eingegangen. Ratlosigkeit herrscht auch bei der Lebenshilfe Stormarn in Ahrensburg. "Wir suchen händeringend FSJler. Wir wissen sonst nicht, wie wir unsere 14 Zivistellen ausgleichen sollen", sagt Almut Gebhardt, Leiterin des Ambulanten Dienstes der Lebenshilfe Stormarn. Auch bei dem Ahrensburger Verein haben sich bisher kaum junge Menschen für ein Freiwilliges Soziales Jahr gemeldet.

Bierbach vermutet, dass mit dem Wegfall des Wehr- und Zivildienstes nun der Druck weg sei, sich für eine soziale Tätigkeit nach der Schule zu entscheiden. Das kann Pascal Simon nur bestätigen. "Wäre es keine Pflicht gewesen, hätte ich mich nach der Schule direkt fürs Studium entschieden", sagt der 19-jährige Zivi der Stormarner Werkstätten. Er fügt aber hinzu: "Ich bin allerdings froh, dass ich diese Erfahrung gesammelt habe. Ich habe viel über den Umgang mit Menschen gelernt. Das hat mir viel gebracht."