“Ich bin schuldig geworden“, bekennt der Ahrensburger Pastor Dieter Kohl öffentlich

Ahrensburg. Sieben Monate nach Bekanntwerden seiner Taten, die den bisher größten Missbrauchsskandal der evangelischen Kirche auslösten, hat sich der Ruhestandsgeistliche Dieter Kohl erstmals öffentlich zu seiner Schuld bekannt. Ein Bekenntnis, das Opfer und Kirchengemeinde immer wieder eingefordert hatten. "Ich bin schuldig geworden damals. Jugendliche und junge Erwachsene habe ich zu Opfern meiner sexuellen Übergriffe gemacht", heißt es in einer Erklärung, die der Anwalt Kohls dieser Redaktion übermittelte. Weiter heißt es: "Vergebung kann ich von den Betroffenen nicht erwarten. Ich lebe mit der Schuld." (siehe Wortlaut rechts).

Zuvor hatte Kohl handgeschriebene Briefe an einige Opfer gesandt - die erste und von vielen Betroffenen lange erwartete Äußerung Kohls ihnen gegenüber. Der Inhalt: ein Schuldeingeständnis, verbunden mit einer Entschuldigung und dem Angebot eines vertraulichen Gesprächs. Ein Kollege soll das Gespräch vermitteln. In einem der Briefe, der dieser Zeitung vorliegt, findet der 72-Jährige noch deutlichere Worte als in seiner offiziellen Erklärung: "Es tut mir alles so leid. Ich schäme mich. Ich kann nur von Herzen hoffen und beten, dass Sie einen persönlichen Weg finden, der Ihnen hilft, von der zerstörerischen Macht meiner vergangenen Taten freizukommen."

Kohl, der von 1973 bis 1999 Pastor im Kirchsaal Hagen war, wurde seit März 2010 der Missbrauch mehrerer Jungen und Mädchen Ende der 70er- bis Mitte der 80er-Jahre vorgeworfen. Im März hatte die Nordelbische Kirche ein Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet. Seitdem war die Ahrensburger Kirchengemeinde in ihren Grundfesten erschüttert. Mit Entsetzen, Empörung, Hilflosigkeit und Wut reagierten amtierende Pastoren und Gemeindeglieder auf die ans Licht gekommenen Details.

Wer 1999 in Kirchenkreisen Bescheid wusste, bleibt bis heute unklar

Bereits 1999 hatte sich eine Frau an die damals zuständige Pröpstin Heide Emse gewandt. Berichtet, dass sie 15 Jahre zuvor selbst Opfer geworden sei und auf weitere, männliche Opfer verwiesen. Emse stellte Kohl im Beisein des Opfers zur Rede. Bei diesem Gespräch soll der Geistliche die Taten zugegeben haben. Ein Geständnis, das die Kirche unter Verschluss hielt.

Dieter Kohl wurde Ende 1999 nach Neumünster versetzt. Er sollte ein Konzept für die Gefängnisseelsorge in den Strafanstalten in Neumünster und Schleswig erstellen. Eigentlich ein Schreibtischjob. Praktisch waren Geistliche und Anstaltsleitung über den Grund für Kohls Versetzung nicht informiert worden - und setzten ihn als Seelsorger im Jugendstrafvollzug ein. Die Nordelbische Kirche erstattete weder Anzeige gegen Kohl, noch leitete sie ein Disziplinarverfahren ein. Bis 2003 unterrichtetet der Mann außerdem Religion am Ahrensburger Gymnasium Stormarnschule.

Erst, als sich die Zeugin von 1999 im März 2010 mit einem Brief an die damalige Hamburger Bischöfin Maria Jepsen wendet, nimmt die Kirche Ermittlungen auf. Dieter Kohl ist zu diesem Zeitpunkt seit neun Jahren im Ruhestand. Opfer werden vom Kirchenamt befragt, die Staatsanwaltschaft Lübeck prüft Vorwürfe und Verjährungsfristen. Alle Straftaten sind verjährt. Ende Mai bekennt ein damaliger Kollege Kohls gegenüber dieser Zeitung, seit Ende der 80er-Jahre von dem Missbrauch Schutzbefohlener gewusst, aber nicht gehandelt zu haben. Wer darüber hinaus in Kirchenkreisen etwas wusste, ist bis heute ungeklärt. Mitte Juli tritt Bischöfin Maria Jepsen zurück. Wegen des Vorwurfs, sie sei bereits 1999 über Kohls Taten informiert gewesen.

"Frieden in der Gemeinde? Dafür gibt es zu viele offene Fragen"

Das Disziplinarverfahren gegen Kohl, das Licht ins Dunkel bringen sollte, endete vor drei Wochen abrupt. Statt auszusagen, bat der Ruhestandsgeistliche um Entfernung aus dem Dienst. Zum Jahresende legt Kohl seinen Talar für immer ab. Das Verfahren gegen ihn wurde eingestellt. Ruhe kehrt in der Gemeinde dennoch nicht ein. "Das Bekanntwerden der Taten hat alles grundlegend verändert", sagt Pastorin Anja Botta, die heute den Kirchsaal Hagen betreut. "Wir müssen weiter gucken, wie das geschehen konnte. Frieden? Dafür gibt es zu viele offene Fragen."

Viele Opfer reagierten mit Empörung auf Kohls Brief, sagt Anselm Kohn, Vorsitzender der Opferinitiative "Missbrauch in Ahrensburg". "Der Brief ist nicht wirklich persönlich, er benennt eine dritte Person als Kontakt", sagt Kohn. "Seine Entschuldigung ist sehr global und wird von uns so nicht angenommen. Ich habe das Gefühl, ihm hat jemand zu dem Brief geraten." Einige Opfer seien bereit zu einem Gespräch, andere hingegen nicht.

Nordelbien zollte dem Ruhestandsgeistlichen indes Respekt für seinen Schritt. "Dieter Kohl stellt sich der eigenen Schuld. Damit übernimmt er zwar spät, aber eindeutig Verantwortung", sagt Propst Jürgen F. Bollmann, ständiger bischöflicher Vertreter der Nordelbischen Kirche Hamburg und Lübeck. "Dieser Schritt verdient Respekt, zumal er benennt, wie verwerflich und zerstörerisch sein Tun war. Dennoch hinterlässt sein Handeln für uns einen sehr bitteren Nachgeschmack." Kohl habe als Mann der Kirche agiert. "Auch wir als Kirche bekennen uns zur eigenen Schuld." Die Kirche unternehme alle Anstrengungen, damit Missbrauch künftig keine Chance mehr habe und konsequent verfolgt werde. Ein Disziplinarverfahren gegen Kohls Kollegen wegen sexueller Übergriffe auf eine 17- und eine 18-Jährige Mitte der 80er-Jahre läuft noch.