"In den 90er-Jahren gab es keinen Grund mehr, in Russland zu bleiben. Die Kolchosen waren kaputt, meine Familie und ich lebten in einem elenden Zustand am Ende der Welt, 400 Kilometer südlich von Novosibirsk. Alle Russlanddeutschen hatten nur ein Ziel: Deutschland. Dreieinhalb Jahre gingen ins Land, bis endlich die Einreisegenehmigung kam.

Am 21. Oktober 1998 war es so weit, das Dorf war schon fast leer, da begann auch für uns die Reise. Ich habe ein halbes Jahr lang in Hamburg einen Sprachkursus belegt, damals sprach ich noch Deutsch mit dem schwäbischen Dialekt meiner Eltern. Meine Frau sprach Plattdeutsch. Inzwischen reden wir zu Hause meistens Hochdeutsch. Mein Leben ist wunderbar verlaufen: Als der Ammersbeker Bauhof einen Mitarbeiter suchte, bewarb ich mich dort. Ich bin den Menschen, die mich eingestellt haben, bis heute dankbar.

Ob ich mich als Deutscher fühle? Zu 90 Prozent, würde ich sagen, immerhin habe ich 36 Jahre lang in Sibirien gelebt, das schmeißt man nicht einfach weg. Ab und zu telefoniere ich mit alten Freunden in Russland, dort ist alles noch schlechter geworden. Ich war seit 1998 kein einziges Mal mehr dort. Warum auch? Um anzuschauen, was ich 36 Jahre lang gesehen habe? Manche Russlanddeutsche sind ja zurückgegangen, für mich kommt das nicht infrage. Ich bin hier zu Hause."

Der Russlanddeutsche Wladimir Nol, 48, lebt mit seiner Familie in Ammersbek.