Ein Tag im Lehrerzimmer: Die Gespräche in der Glinder Gemeinschaftsschule drehen sich um Platznot, steigende Belastung und den Kaffeenachschub

Glinde. Joachim Süßenguth umfasst seinen Kaffeebecher mit beiden Händen und stützt die Ellenbogen auf die helle Holzplatte. Sein Blick wandert zum Fenster, gerade ist es hell geworden. Drinnen im Lehrerzimmer der Glinder Gemeinschaftsschule Wiesenfeld lehnt sich Süßenguth auf seinem Stuhl zurück. Er kommt morgens gern ein bisschen früher her. "Ich brauch erst mal einen Kaffee, dann kann es losgehen." Im Kopierraum ein paar Türen weiter stehen kurz nach sieben Uhr schon drei Kolleginnen. Morgens wird es dort oft eng, erzählen sie. Summend spucken die zwei Geräte Papierseiten aus. Viele der 70 Kollegen müssen vor dem Unterricht noch Material kopieren. Lehrbücher im Klassensatz gibt es nur für wenige Fächer.

Dann wird es plötzlich voll im Lehrerzimmer. Immer wieder klingt ein "Guten Morgen" durch den Raum. Unterrichtsunterlagen werden über die Gruppentische gereicht, Neuigkeiten ausgetauscht. Die erste Kaffeekanne ist schnell geleert. Mehrere Lehrer werfen einen Blick auf ein blaues Din-A4-Blatt an einer der großen Pinnwände - können sie Unterricht vorbereiten oder müssen sie irgendwo aushelfen? Es klingelt. Erste Stunde. Die Kollegen sammeln Übungshefte, Bücher und Arbeitsblätter zusammen und strömen zum Ausgang. Hinter ihnen fällt die blau lackierte Metalltür ins Schloss.

Hier wird auch mal gelacht - trotz steigender Arbeitsbelastung

Anke Grothe geht zu ihrem Platz in einer Ecke des Raums. Vorbei an den Gruppentischen, auf denen sich Ablagekästen, Ordner und Bücher stapeln, dazwischen rot-weiße Zettelblocks der Gewerkschaft, Stifte, Wasserflaschen, Äpfel, Keksdosen, Kaffeebecher. Die Mathelehrerin unterrichtet seit 19 Jahren an der Schule. Acht Jahre hat sie noch vor sich - so hatte sie immer gerechnet. "Ich fühle mich sehr wohl hier. Es ist nicht alles bierernst, es wird auch mal gelacht", sagt Anke Grothe und schaut von den Lösungsbogen auf, an denen sie gerade arbeitet. "Aber die Arbeitsbelastung hat stark zugenommen. Ich weiß nicht, ob ich wirklich bis 65 durchhalte." Denn so hoch wie sich das Papiergebirge auf den Tischen im Lehrerzimmer auftürmt, so tief ist die Kluft zwischen dem Anspruch der Pädagogen und den Sparvorgaben des Kieler Bildungsministeriums.

Ihren Unterricht bereitet Anke Grothe normalerweise zu Hause vor. "Hier fehlt die Ruhe und der Platz", sagt sie. Oft bleibe nicht einmal die Zeit für einen Kaffee. Dabei sorgt sie seit Jahren dafür, dass der Vorrat fürs Kollegium nicht ausgeht. Ein Paket pro Tag. Ein handgeschriebener Zettel an der Maschine erinnert alle: "Kaffee leer? Neu kochen!" Heute setzt Anke Grothe eine neue Kanne auf. Der letzte Schluck landet in der Tasse von Manfred Hamm. Er begutachtet mit einem Kollegen ein Arbeitsblatt, das schon zu oft vom Kopierer abgelichtet wurde. "Da kann man bestimmt noch am PC was mit dem Kontrast machen", sagt Hamm fachmännisch. So schnell gibt der Mann im roten Pullover, der sich als "Überzeugungstäter" der Gesamtschule bezeichnet, nicht auf. Zu Beginn des Schuljahrs ist jedoch von der ehemaligen IGS Glinde auch der Name verschwunden.

Diese Systemänderung ist nur eine von vielen, die den Lehrern an der Gemeinschaftsschule Wiesenfeld, wie ihr Arbeitsort jetzt heißt, und in ganz Schleswig-Holstein zu schaffen macht. Allein zwei Oberstufenreformen hatten sie in den vergangenen Jahren zu meistern. Zum ständigen Hin und Her in der Bildungspolitik kommt immer mehr organisatorische Arbeit. "Gerade mussten wir wieder eine Statistik für das Ministerium ausfüllen, wie viele unserer Schüler fremdsprachige Eltern haben", sagt Kai Rickertsen, Lehrer für Naturwissenschaften, und bückt sich nach einer Papierkugel neben dem Mülleimer. Knapp verpasst. Er lässt die Kugel in den Plastikeimer fallen und nimmt einen Schluck aus seiner Tasse. Karamelltee. "Der Kaffee geht langsam auf den Magen."

Die Zeit, die für Organisation und Verwaltung nötig sei, fehle für die eigentliche pädagogische Arbeit, sagt Rickertsen. "Die Mehrarbeit nimmt schleichend zu." Sportlehrer Manfred Hamm nickt zustimmend. Die Belastungen sähe er mit Sorge, sagt er. In seinem Fach seien auch Stunden gekürzt worden. "Das ärgert mich."

Ein Drittel des Kollegiums beteiligte sich am Streik

Als die Lehrergewerkschaft GEW im vergangenen Schuljahr zum Streik aufrief, gingen zahlreiche Lehrer auf die Straße. Etwa ein Drittel des Wiesenfeld-Kollegiums schloss sich dem Protest an - trotz Streikverbots. Den blauen Brief des Ministeriums, der wenig später in ihre Briefkästen flatterte, nahmen sie in Kauf.

"Aus Sorge um mein Land", ruft Lehrer Klaus Roim vom anderen Ende des Raums. "Wer an Bildung spart, spart an der Zukunft des Landes." Er sei "ein alter 68er", sagt Roim und wedelt mit der Faust durch die Luft. "Wir sind ans Kämpfen gewöhnt." Und sobald Kiel rot-grün sei, würden die Lehrer auch wieder Weihnachtsgeld bekommen. Da sei er sich sicher, ruft Klaus Roim noch, bevor er seine Lederjacke um die Schultern wirft und durch die blaue Tür verschwindet. Manfred Hamm guckt ihm mit einem schiefen Lächeln hinterher und murmelt: "Ist das hier eine Märchenstunde?" Vier Monate sind seit dem Streik vergangen. Lehrer Hamm hat die leise Hoffnung, dass der Protest zumindest weitere Streichungen verhindern wird. "Wir Lehrer haben gezeigt, dass wir rebellisch sind."

Nach einer Doppelstunde klingelt es zur ersten Pause. Zehn Minuten für eine kurze Stippvisite im Lehrerzimmer. Vor den Toiletten - Baujahr 1966, eine für Frauen, eine für Männer - bildet sich eine Schlange. Über die Tische fliegen Wortfetzen hin und her: Stunde vertreten, englische Grammatik, Theater mitmachen, Bundesjugendspiele, Personalrat. Die Klingel drängt die meisten wieder raus auf den Flur, vorbei an der Pinnwand, an der ein "Stimmcoaching für Sprechberufe" angeboten wird.

"Das anstrengende an unserem Beruf ist die ständige Kommunikation", sagt Oberstufenleiter Tilmann Eysholdt. Ob mit Schülern, Kollegen, Eltern - immer müsse viel besprochen werden, oft unter Zeitdruck. Auch zu Hause klingele bei vielen Lehrern häufig das Telefon. "Der preußische Beamte ist eben immer im Dienst", sagt Eysholdt, der im Gegensatz zu seinen Kollegen ein eigenes Büro hat. "Im Lehrerzimmer werde ich nur geduldet." Doch er weiß, welcher Druck herrscht. "An manchen Tagen fehlt sogar die Zeit, zur Toilette zu gehen."

Wer in Ruhe arbeiten will, kann seit kurzem in ein neu eingerichtetes Lehrerarbeitszimmer im Hauptgebäude ausweichen. Dort gilt ein striktes Ruhegebot. Katrin Kobrock, die den Raum manchmal zum Korrigieren nutzt, sagt, dass er als Rückzugsort für einige Kollegen enorm wichtig sei. Der Sportlehrerin blieb früher nur der Umkleideraum, wenn sie mal kurz Ruhe brauchte. "Im Lehrerzimmer höre ich ja alles mit, Berufliches und Privates, egal ob ich das wissen will oder nicht."

Jeweils zwei Kollegen teilen sich einen Tisch, an jedem der sieben Gruppentische haben acht bis zehn Lehrer Platz. "Als das hier noch eine Grundschule war, gab es 30 Lehrer", sagt Schulleiter Volker Wurr. Jetzt sind es 70 Kollegen. Jeder hat ungefähr einen Quadratmeter Arbeitsfläche. Wer Glück hat, findet zudem seinen Namen an einem der Schließfächer, die wie eine große Schrankwand den Raum an einer Seite begrenzen.

Zur Unterrichtsvorbereitung kommt immer mehr Verwaltungsarbeit

"Die Arbeitsplatzfläche ist eine Frechheit", sagt Christian Witt. Auf seinem Platz am Fenster ragt ein Turm aus zehn verschiedenfarbigen Ablagekästen in die Höhe. Auf den Kästen kleben Zettel: SV, LIV, Klasse oder Vertretungsunterricht. "Jeder übernimmt Extra-Aufgaben", sagt der Musiklehrer und nimmt im Vorbeigehen einen Schluck Kaffee aus seiner FC-St.-Pauli-Tasse. Zu seinen Aufgaben zählen: Verbindungslehrer sein, Veranstaltungen organisieren und Verwaltungscomputer betreuen. "Das kostet mehr Zeit als die Unterrichtsplanung." Aber es kann auch ein wichtiger Ausgleich sein. Zwei Tische weiter bereitet Joachim Süßenguth seine Sprechstunde zur Berufsorientierung vor. Er unterstützt Schüler bei der Praktikumssuche und bietet Bewerbungstraining für Lehrer an. "Es ist wichtig, dass man nicht nur unterrichtet", sagt der Deutschlehrer.

Es klingelt zur Mittagspause. In den Gesichtern zeigt sich langsam Erschöpfung. Katrin Kobrock bespricht ein Sexualkundeprojekt mit einer Kollegin. Die hat ihr einen dicken braunen Umschlag mit Unterrichtsmaterial zum Thema mitgebracht. Gegenseitige Unterstützung sei an ihrer Schule selbstverständlich, sagt Kobrock. "Nur so geht es noch, sonst wäre die volle Stundenzahl nicht zu leisten", sagt die 38-Jährige, die in Teilzeit arbeitet. "Ich arbeite gern. Wir versuchen alle, dass Beste daraus zu machen. Aber manche Kollegen sind am Rande ihrer Belastung." Die Burn-Out-Rate sei auch deshalb so hoch, weil viele an ihren Ansprüchen scheiterten. "Die Diskrepanz ist groß zwischen dem, was ich als Lehrer schaffen will, und dem, was ich tatsächlich erreiche." Würden die Bedingungen nicht verbessert, werde die Belastung an die Schüler weitergegeben. "Damit muss die Politik dann leben." Schon muss sie wieder in den Unterricht. Nach der siebten Stunde fährt Katrin Kobrock nach Hause. Ihr Arbeitstag ist nicht zu Ende. Doch er wird etwas ruhiger - das Radio bleibt in ihrem Auto aus.

Klaus Roim kommt noch einmal zurück ins Lehrerzimmer. Er zieht die Lederjacke aus, lehnt sich gegen eine Tischkante und verschränkt die Arme. In den vergangenen Jahren habe sich in der Schule viel verändert und nichts verbessert, sagt der 64-Jährige. Deshalb habe er gestreikt. "Aber das hat überhaupt nichts bewirkt." 16 Monate habe er noch vor sich, sagt Klaus Roim. "Ich war immer sehr gern Lehrer. Aber jetzt freue ich mich auf die Rente."

An diesem Tag stehen viele Elternabende an. Wer weiter weg wohnt, bleibt am Nachmittag zum Arbeiten. Einige Lehrer hieven Klassenarbeiten auf ihre halben Tische, eine Referendarin klebt eine Arbeitscollage, eine Philosophielehrerin nummeriert die Zeilen eines Textes. Anke Grothe fährt zwischendurch nach Hause. Dort warten Korrekturen. Auf dem Weg wird sie einen Zwischenstopp einlegen. Kaffee für die Kollegen kaufen.