Selbstständige Ärzte in Erklärungsnot: Von Honorarsteigerungen ist nichts zu spüren, sagen Stormarner Mediziner mehrerer Fachrichtungen.

Ahrensburg. Steigende Honorare einfahren und streiken? Die selbstständigen Ärzte in Deutschland sind in Erklärungsnot. Der Spitzenverband GKV als zentrale Interessenvertretung der gesetzlichen Kranken- und Pflegekassen hatte jüngst Statistiken herausgegeben, nach denen sich die Ärzte in den vergangenen drei Jahren über deutlich steigende Honorare und Einkommen freuen konnten. Und das, während die Gehälter im Zuge der Wirtschaftskrise überwiegend sanken. Dennoch streikten Mitte September bundesweit Ärzte gegen die Gesundheitsreform. Zwar beteiligten sich die Stormarner Ärzte nicht an der Aktion, doch große Honorarzuwächse haben sie nach eigenen Angaben nicht zu verzeichnen.

"Ich praktiziere seit 1996. Und seitdem hat sich mein Umsatz halbiert", sagt Dr. Christoph Gewiß aus Ahrensburg. "Besonders im Kassenbereich sind die Umsätze brutal eingebrochen." Im Privatsektor seien sie dagegen weitgehend stabil. Pro Quartal verdiene der Hals-Nasen-Ohrenarzt im Normalfall 23 Euro pro Kassenpatient. "Und es wird auch nicht mehr, wenn er in diesem Zeitraum viermal kommt." Bei diesen Voraussetzungen könne er streikende Kollegen verstehen. Dennoch beteilige er sich nicht an solchen Aktionen, weil es ihm "zuwider" sei, stets über Geld zu reden. "Ich bin kein Kaufmann, sondern Arzt." Doch zeigten sich Konsequenzen aus der Gesundheitspolitik der vergangenen Jahre. "Kassenpatienten zu behandeln, ist fast ein Hobby geworden", sagt Gewiß.

Der HNO-Arzt sieht im demografischen Wandel ein zentrales Problem für das Gesundheitssystem. "Alle Versuche, im System zu sparen, gehen am Thema vorbei. Die demografische Entwicklung treibt nun einmal die Kosten."

Großen Honorarsprünge verzeichnet nach eigenen Angaben auch der Ahrensburger Allgemeinmediziner Dr. Hans Irmer nicht. In den vergangenen zwei Jahren habe er nur minimale Zuwächse von rund 0,3 Prozent gehabt. "Aber dafür kommen Tausende von Auflagen hinzu. Der bürokratische Aufwand wächst immer weiter." Die Schuld an der völlig undurchsichtigen Lage sieht er bei der Politik. "Eigentlich hatte sie geplant, die Hausärzte zu stärken." Doch angedachte Verträge zur sogenannten hausarztzentrierten Versorgung (HZV), die die Hausärzte besser stellen sollten, würden zurückgezogen. "Gesundheitsminister Rösler kann sich nicht durchsetzen, und so werden gute Ansätze verheizt."

Irmer schätzt, dass etwa 30 Prozent seiner Leistungen nicht vergütet werden. "Die letzten drei Wochen im Quartal arbeiten wir Hausärzte eigentlich für lau", erläutert er. Das liege an dem Honorarsystem. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) errechnet anhand der Patientenzahlen des Vorjahrs, was der Arzt verdienen darf. Pro Kassenpatient und Quartal seien das momentan 30 bis 33 Euro - egal, ob er in dem Zeitraum einmal oder zehnmal kommt. "Impfungen und Vorsorgeuntersuchungen werden extra vergütet", sagt Irmer. So sei die Gebührenordnung bei Kassenpatienten völlig undurchsichtig geworden.

Die pauschale Abrechnung zeige den Kassenpatienten nicht, welche Behandlungen der Arzt im einzelnen gemacht hat. "Bei Privatpatienten kann ich dagegen alles genau berechnen. Das ist auch für den Patienten viel besser nachvollziehbar."

Es sei frustrierend, wie wenig Gestaltungsmöglichkeiten eine Institution wie die KV tatsächlich habe. Es werde an so vielen Stellschrauben gedreht, und die Vergütung ändere sich laufend. "Ich kann einen Trend abschätzen, doch gezielt planen kann ich so nicht."

Nach den Statistiken der GKV gehören die Radiologen zu den Topverdienern unter den Ärzten - für Dr. Gerd Schreiter aus Reinbek nicht nachvollziehbar. Er arbeitet in der Röntgenpraxis von Dr. Ulrike Bona. "Ganz konkret: Im letzten Quartal hatten wir einen Rückgang der Honorare um 20 Prozent", sagt der Radiologe. Eine Kernspintomografie werde mittlerweile nur noch mit 90 Euro vergütet, früher seien es noch 180 Euro gewesen. "Mit diesem Betrag können wir nicht mehr kostendeckend arbeiten." Die Abrechnung der KV sei schleierhaft und unfair, meint Schreiter. "Dabei werden auch grobe Fehler gemacht, die zu unseren Ungunsten gehen." Besonders ärgere er sich über wenig kompetente Gesprächspartner bei der KV. "Wenn Leistungen gekürzt werden, höre ich dann oft den Satz: ,Das ist halt so'."

Da er nicht wisse, welche Leistungen ihm auch tatsächlich erstattet würden, sei eine Planungssicherheit überhaupt nicht möglich. Streiche die KV Leistungen oder vergüte sie nicht, muss Streiter umgehend Widerspruch einlegen. "Das muss eigentlich sofort gemacht werden, weil die KV den Widerspruch sonst gar nicht erst prüft." Bei Privatpatienten und bei Überweisungen aus dem Krankenhaus wisse er dagegen, dass er die Beträge auch erhalte. Im Falle der Kernspintomografie seien das rund 400 Euro. Streiter sagt: "Für Privatpatienten ist die Gebührenordnung stabil geblieben."

Johann-Magnus von Stackelberg, stellvertretende Vorstandsvorsitzender des GKV, beklagt ein "Verteilungsproblem, welches gelöst werden muss". Die Arzthonorare stiegen seit Jahren von Rekordniveau zu Rekordniveau. "Auch für 2011 soll es nach dem Willen der Politik und der Ärzte schon wieder mehr geben. Finanzieren müssen dies die Beitragszahler durch höhere Beiträge", so Funktionär von Stackelberg und fügt hinzu: "Es gibt in Deutschland weder zu wenig Ärzte noch zu geringe Arzthonorare."