Unser Dorf: Die Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn auf Sommertour. In Hoisdorf erinnert sich fast jeder an den denkwürdigen Tag vor genau 22 Jahren, als der Rekordmeister kam

Hoisdorf. An den 24. September 1988 werden sie sich hier ewig erinnern. Etwas wehmütig schaut Wolfgang Strehl in sein Bierglas, wenn er an die alten Zeiten denkt. "Ich war damals der erste, der sich Karten bestellt hatte." Der 68-Jährige sitzt an der Theke des TuS-Treffs. Er erzählt, wie ihn das denkwürdige Pokalspiel des TuS Hoisdorf gegen Bayern München zu einem Fan machte und später zum Funktionär im Sportverein. Mit 26 Bussen machten sich die Hoisdorfer an dem Sonnabend vor genau 22 Jahren auf den Weg nach Lübeck - zur Lohmühle. Dort kickte der Dorfverein gegen die großen Münchener Bayern um Kapitän Klaus Augenthaler. Doch während die Profis aus dem Süden ihren 4:0-Sieg bald wieder vergaßen, schwärmen die Hoisdorfer noch heute von dem Ereignis.

"Die Zeiten kann uns keiner mehr nehmen", sagt Ingrid Axel. Mit ihrem Mann Lothar führt sie seit mehr als 26 Jahren den TuS-Treff. Hinter dem Zapfhahn stehend deutet sie in den Raum. "Für das Spiel gegen Bayern habe ich hier die Karten verkauft. Da war die Hölle los." Bis 22 Uhr sei das gegangen. "Und um 7 Uhr morgens haben sie dann schon wieder bei uns an der Haustür geklingelt und nach Karten gefragt."

Im Jahr darauf kam dann 1860 München zum Pokalspiel nach Hoisdorf. "Da hatten wir hier 5000 Zuschauer; mehr als Hoisdorf Einwohner hat", erinnert sich Lothar Axel. "43 Leute hatten wir an dem Tag beschäftigt." Heute bedienen die beiden die Kundschaft allein. Der TuS spielt mittlerweile in der Kreisliga.

"Wir waren kurz davor, eine Tribüne zu bauen", sagt Bürgermeister Dieter Schippmann, "der Bauantrag war bereits gestellt." Dem mittlerweile pensionierten Bauingenieur seien damals Zweifel gekommen, als er den Zustand der Lübecker Lohmühle sah. "Wie sollten wir in Hoisdorf ein Stadion unterhalten, wenn nicht einmal eine Stadt wie Lübeck das schafft?" Und der 68-Jährige fügt hinzu: "Der große fußballerische Erfolg hat auch Probleme mit sich gebracht. So wurden etwa die anderen Sparten zur Nebensache." Heute habe sich das normalisiert.

Und Dorfchef Schippmann muss sich ohnehin um die Gegenwart kümmern. So habe Hoisdorf in den Ausbau der Grundschule und die angrenzende Kindertagesstätte investiert. "Jede der acht Klassen hat einen Differenzierungsraum, in dem innerhalb der Klasse gesondert unterrichtet werden kann." In der Kita und im Hort betreuen 18 Erzieherinnen bis zu 180 Kinder. "Die Gemeinde lässt sich das jährlich 380 000 Euro kosten", sagt Schippmann.

In diesem Jahr hat sich die Gemeinde zudem einen Kunstrasenplatz geleistet. Mit seinem St.-Pauli-Trikot unter einer dunklen Trainingsjacke und schwarzen Fußballschuhen steht Bernd Mahns auf dem künstlichen Grün. "Mit vier Mitstreitern habe ich Spenden gesammelt. 64 300 Euro sind dabei zusammengekommen." Mit eindringlicher Stimme gibt Mahns Kommandos. Er trainiert vier Nachwuchsteams. Die E-Jugend-Kicker haben alle einen Ball am Fuß - Schusstraining. "Natürlich hoffe ich, dass die Jungs mal an die großen Zeiten anknüpfen können."

Auf den ersten Blick hat Klaus Bustorf mit Fußball nichts am Hut. Der 73-Jährige leitet das Stormarnsche Dorfmuseum im historischen Ortsteil von Hoisdorf und führt Gruppen durch die Ausstellungen des Hauses. "Ich frage die Besucher immer, wie viel Milch eine Kuh am Tag gibt." Heutige Tiere bringen es auf 40 Liter. "Vor 400 Jahren dagegen warf eine Milchkuh nur 0,9 Liter ab." Sein Stellvertreter Wolfgang Knaack hat bei seinen Führungen auch eine Lieblingsfrage: "Wie lang ist eine Elle?" Noch nie habe er eine richtige Antwort erhalten, so der 67-Jährige. Nicht einmal von Lehrern. "Die richtige lautet 60 bis 62 Zentimeter im Schnitt."

Die beiden Museumsleiter und ihre rund 14 Helfer sind gerade dabei, ihre mehr als 10 000 Objekte zu digitalisieren und ins Internet zu stellen. "500 Stücke haben wir schon drin. Damit sind wir besser als so manches große Haus", sagt Knaack. Natürlich erinnern sich die historisch interessierten Männer an den 24. September 1988. "Das war ein Ur-Erlebnis", sagt Bustorf, "ich war zweiter Vorsitzender des Sportvereins und sollte die Bayern begrüßen." Schon an der Körperhaltung der Mannschaft habe er gemerkt, dass für seine Hoisdorfer nichts zu gewinnen sei. "Die Münchener traten sehr diszipliniert und selbstbewusst auf."

Das selbstbewusste Auftreten lernen die Mitglieder des Jungen Theaters Hoisdorf schnell. Bei den Vorführungen sitzen schon mal 250 Zuschauer im Saal. "Im vergangenen Jahr habe ich eine Putzfrau mit russischem Akzent spielen müssen, die auch durch die Zuschauerreihen geht und Leute anpöbelt", erinnert sich Tabea Becker an eine besonders schwierige Rolle. "Und während die Leute lachten, musste ich ganz ernst bleiben." Das sei gar nicht so einfach, meint die 17-Jährige.

Das Gruppengefühl beim Spielen macht auch für Stefan Potenberg den Reiz aus. "Es macht einfach Spaß, auf der Bühne zu stehen und die Leute zum Lachen zu bringen." Nachwuchssorgen hat die 33-köpfige Truppe jedenfalls nicht. "Im Gegenteil", versichert Theaterleiter Michael Görmer. "Wir bekommen laufend Anfragen, sind aber mittlerweile an eine Grenze gestoßen." Denn jeder solle auch seinen Anteil an den Aufführungen haben. An die legendären Fußballzeiten erinnert sich der musikalische Leiter Jens Potenberg noch gut. "Mir kamen damals in einem Waldstück die München-60-Fans entgegen. Denen habe ich den Weg zum Fußballplatz beschrieben." Er selbst war auch mehrmals im Stadion.

Den Boom der Fußballsparte in Hoisdorf hat Unternehmer Günther Bruss mit viel Geld ausgelöst. Heute führt Sohn Oliver die Firma, die Dichtungssysteme für Autos produziert und in alle Welt liefert. Das Engagement des Vaters für den Fußball hat Oliver Bruss nicht im gleichen Maße fortgeführt, nachdem er 2001 die Leitung übernahm. Und die vergangenen Jahre waren durch die Wirtschaftskrise gerade für die Autoindustrie und damit auch die Zulieferer turbulent genug. Bruss: "Das war für uns schon ein einschneidendes Ereignis, nachdem es 25 Jahre eigentlich nur bergauf ging."

Der Chef kommt gerade von einer Geschäftsreise aus Indien zurück. In acht Werken - darunter in den USA, China und Irland - stellt Bruss aus Kautschuk, Stahl und Kunststoffen unter anderem Ölwannen, Getriebeverbundkolben und Wellendichtringe her. Trotz der internationalen Kontakte lebt Bruss mit seiner Familie nach wie vor in Hoisdorf. "Ich sage meinen Geschäftspartnern meist, ich komme aus der Nähe von Hamburg." Einige der ausländischen Gäste haben ihn beim Besuch in Hoisdorf gefragt, ob die rund 500 Mitarbeiter Kurtaxe zahlen müssten. "Ich lebe hier so gerne, weil die Landschaft wunderschön ist", sagt Bruss. Die Anbindung sei auch für international agierende Unternehmen wie seines ideal.

An das Spiel gegen die Bayern vor 22 Jahren kann sich Oliver Bruss natürlich noch erinnern. "Das war damals schon toll", sagt der Firmenlenker. Es scheint, als wisse jeder Hoisdorfer, der alt genug ist, genau, wie dieser 24. September 1988 war. Der Sonnabend an der Lübecker Lohmühle ist im kollektiven Gedächtnis verankert. Und wie sehr die sportliche Vergangenheit noch heute dominiert, zeigte sich beim Jubiläum des TuS vor zwei Jahren. Viele ehemalige Spieler waren gekommen, schnürten noch einmal ihre Fußballschuhe und spielten gegen die aktuelle Mannschaft. Die Alten gewannen mit 3:2.