Bewegender Vortrag über sexuelle Gewalt und die Folgen. Ahrensburger Opferverein: Es ist noch nicht alles zur Sprache gekommen.

Ahrensburg. Die Anspannung vieler Zuhörer ist förmlich zu spüren, als Pastorin Susanne Jensen im Schulzentrum am Heimgarten ans Rednerpult tritt. Vor rund 100 Menschen schildert die Frau, die als Kind selbst Missbrauchsopfer geworden war, bei der zweiten Infoveranstaltung der Evangelisch-Lutherischen Kirchengemeinde sexuelle Gewalt und die Folgen für die Opfer. Einige Anwesende falten ihre Hände wie zum Gebet. Das Entsetzen über die Schilderungen steht vielen in die Gesichter geschrieben.

Zuvor hatte Birgit Maschke von der Fachstelle Kinderschutz des Kreises Herzogtum Lauenburg gesagt, jeder fünfte bis siebte Mensch erlebe im Verlauf seines Lebens sexuelle Gewalt. 60 Prozent der überwiegend männlichen Täter stammten aus dem nahen Bezugsraum des Opfers. Der Täter wähle sein Opfer gezielt aus. Er teste die Eltern, baue ein Vertrauensverhältnis auf und streue langsam "wie zufällig" Berührungen ein. Die Pädosexualität eines Täters gleiche einer Sucht. Bei jugendlichen Tätern sei die Heilungsprognose relativ gut, "doch je länger das läuft, desto schwieriger wird es".

Auftritt Susanne Jensen. Die 47-Jährige arbeitet im Kirchenkreis Rendsburg-Eckernförde. Sie sei jahrelang vom Vater missbraucht worden. Die schwarz gewandete, kleine Frau mit tätowiertem Arm hat ein martialisches Äußeres. Susanne Jensen ist eine Kämpferin. Ihre Waffe ist das Wort. Schnell zieht sie die Menschen in ihren Bann. Sie leide an chronischer posttraumatischer Belastungsstörung, sei trockene Alkoholikerin und Borderliner. Ihr "Kinderhöllenlabyrinth", wie sie die Zeit ihres Missbrauchs bezeichnet, habe sie geprägt. Noch heute leide sie unter Albträumen, einem schwierigen Verhältnis zu ihrem Körper. "Ich war lange tot, ein Bedürfnisbefriedigungskörper für meinen Peiniger." Der habe seinen Rollenwechsel vom ehrbaren Bürger zum gewissenlosen Täter perfekt beherrscht. Zum Schluss appelliert die Pastorin an ihre Kirche, sie möge die schweren Vorwürfe gegen zwei Ahrensburger Ruhestandsgeistliche sehr ernst nehmen. "Die Kirche hat eine Bringschuld, weil sie eine Nachlässigkeit begangen hat." Es gibt Applaus für diese Worte, viele Menschen erheben sich, zollen der Pastorin Respekt.

Udo Zingelmann ist aus Bargteheide hierher gekommen. Er zeigt sich berührt durch den Vortrag seiner Kollegin, sagt: "Kirche gehört auf die Seite der Opfer. Wenn so weiter gemacht würde wie bisher, beschädigt das alle." Wiebke Pinkowsky, Ahrensburger Gemeindemitglied, übt Kritik an der Kirchenleitung: "Ich bin erschüttert, wie wenig Unterstützung die Pastoren vor Ort bekommen." Für sie sei der Einsatz von Mediatoren wünschenswert, um einer Spaltung der Gemeinde vorzubeugen. Kurt Falkenberg, Kirchenvorsteher aus Siek, sagt: "Die Kirche mauert noch immer, verbohrt in ihrer Überheblichkeit." Anselm Kohn, Vorsitzender der Opferinitiative "Missbrauch in Ahrensburg", mahnt: "Es ist noch längst nicht alles zur Sprache gekommen."