Ob er ein strenger Richter sei? “Was ich bin, müssen andere beurteilen.“ Ulf Thiele lächelt.

"Vernünftig", sagt er, "ich will vernünftig sein. Vernünftig und konsequent, das wären meine richterlichen Handlungsziele." Geduldig, wenn es ihm angemessen erscheint. Und strikt, wo Geduld nicht weiterführt.

Ulf Thiele, 51, ist Jugendrichter mit Leib und Seele. "Das mache ich, seit ich meine Tätigkeit betreffend Wünsche äußern kann", sagt der stellvertretende Direktor des Amtsgerichts Ahrensburg. "Ich erlebe Menschen, die noch sehr offen sind und die sich nicht taktisch verhalten. Ich bekomme Einblicke in schwierige und in ungewöhnliche Lebenssituationen."

Knapp 300 solcher Menschen trifft er jedes Jahr, sie gewähren ihm etwa 300 Einblicke in ihre Leben. So viele Akten landen binnen zwölf Monaten auf seinem Schreibtisch, und in jeder von ihnen ist ein anderes Schicksal aufgeschrieben und abgeheftet. Es sind jene Fälle, die im Amtsgerichtsbezirk Ahrensburg von der Staatsanwaltschaft zur Anklage gebracht werden. Der erstreckt sich seit der Auflösung des Amtsgerichts Bad Oldesloe bis weit in den Norden des Kreises. Thiele: "In ungefähr 40 dieser Fälle geht es um ernsthaftere Taten, die über Sachbeschädigungen, Ladendiebstähle, Beleidigungen oder leichte körperliche Auseinandersetzungen hinausgehen." Das sind jene Fälle, die vor dem Jugendschöffengericht verhandelt werden. Aber nur fünf Täter, schätzt der Richter, wandern nach der Verhandlung ins Gefängnis.

Das sind die nackten Zahlen. Sie sind vor allem ein Abbild der Größe des Amtsgerichtsbezirks. "Die Menschen sagen immer, dass alles viel schlimmer wird. Das kann ich so aber nicht bestätigen", sagt Ulf Thiele. Das eine sei die gefühlte Realität, das andere die echte. "Mit jeder Tat, die bekannt wird, steigt in der Bevölkerung die Angst vor Kriminalität." Wird in Hamburg jemand in der U-Bahn zusammengeschlagen, bekommen es auch Menschen in Stormarn mit der Angst zu tun, die niemals U-Bahn fahren. Thiele: "Angst ist irrational." Er ist kein Mensch, der sich von Gefühlen leiten lässt. Für ihn zählen nur Fakten. Und die sprächen eine deutliche Sprache. "Die Welt hier in Stormarn ist nicht in Unordnung." Insofern - Ulf Thiele klappt den Buchdeckel von "Das Ende der Geduld" zu - spiegelten die von der Berliner Kollegin Kirsten Heisig niedergeschriebenen Erfahrungen seinen Alltag nicht wider.

Dennoch gibt es Kriminalität auch hier. Und diejenigen, die immer wieder vor ihm im Gerichtssaal sitzen, seien die, die schwerere Straftaten verübt haben. Wer sind die Täter? Haben sie einen Migrationshintergrund? Ulf Thiele tut sich schwer mit Antworten auf derlei Fragen. Er mag keine Etikettierung. "Das sind alles Stormarner Menschen. Was sie kennzeichnet, sind Bildungsdefizite", sagt er. Sozial Schwächere seien anfälliger für Kriminalität. Und: "Kriminalität ist männlich. Auch wenn zwei oder drei Mädchen mal meinen, dass sie ihre Meinungsverschiedenheiten mit Fäusten austragen müssen."

Wenn Ulf Thiele nach den Ursachen für Straftaten sucht, dann trifft er auf eine spezielle immer wieder: "Alkohol spielt eine elementare Rolle. Es gibt fast keine Gewaltkriminalität, ohne dass nicht Alkohol im Spiel gewesen wäre." Und dann fragt er sich, warum das möglich ist, warum sich junge Menschen so abfüllen müssen.

Überhaupt beschäftigt ihn, wieso junge Menschen überhaupt vor ihm im Gerichtssaal sitzen. Thiele: "Ich frage mich manchmal: Warum konnten andere das nicht vor mir regeln? Ich möchte behaupten, dass viele Probleme durch eine bessere Begleitung schon im Kindergarten- und Grundschulalter gelindert werden könnten." Auch durch die Jugendgerichtshilfe, die Jugendhilfe und den allgemeinen sozialen Dienst könnte bei einer besseren Ausstattung mehr erreicht werden. "In diesem Bereich könnte noch mehr investiert werden", meint er, "denn in Stormarn sind die Jugendlichen noch erreichbar. Die Frage ist allein, ob sie auch immer erreicht werden."

Und wenn sie dann vor ihm sitzen, versucht Amtsgerichts-Vize Thiele, die jungen Menschen mit seinen Mitteln zu erreichen: Arbeitsauflagen, Jugendarrest, ganz selten Jugendhaft. Aber bis es so weit komme, dauere es zurzeit viel zu lange, bemängelt er: "Ich würde mir wünschen, ein Verfahren drei Monate nach der Tat abzuschließen. Zurzeit sind eher sechs Monate normal. Das ist schon eine sehr lange Zeit." Denn Sanktionen müssten prompt folgen, um wirksam zu sein. Insofern teilt Ulf Thiele die Meinung seiner Berliner Kollegin Heisig. In manchen Fällen allerdings sei in diesem halben Jahr dann auch im positiven Sinne viel geschehen. "Dann haben die Jugendlichen plötzlich eine nette Freundin oder einen guten Job. In solchen Momenten beruhigt sich die kriminelle Phase."

Es sind die subjektiven Eindrücke eines Richters, der natürlich - im wahrsten Sinne des Wortes - nur über das urteilen kann, was er selbst sieht. Voraussetzung dafür ist, dass Opfer eine Strafanzeige stellen. Trauen sich alle? Haben nicht insbesondere jugendliche Opfer Angst davor, ihre Peiniger könnten Rache nehmen? "Es gibt viele Leute, die Angst haben, zur Polizei zu gehen. Insbesondere Eltern sind besorgt, dass ihre Kinder von den Tätern bestraft werden", sagt Ulf Thiele, "und diese Ängste sind durchaus nachvollziehbar." Begründet seien sie aber nicht. "In solchen Fällen reagieren Polizei und Staatsanwaltschaft knallhart. Wenn ein begründeter Verdacht besteht, wandern die Täter wegen Verdunkelungsgefahr sofort in Haft."