Unser Dorf: Die Stormarn-Ausgabe des Abendblattes auf Sommertour. In Bargfeld-Stegen kommen kleine Menschen ganz groß raus
Bargfeld-Stegen. Die kleine Stine Mathilda ist seit elf Wochen Bürgerin von Bargfeld-Stegen. Gerade hat sie ihren Antrittsbesuch in der Gesellschaft des Dorfes hinter sich: Ihr Name steht jetzt auf der Warteliste des evangelischen Kindergartens. Die Plätze sind begehrt - knapp sind sie nicht. Neben zwei Kindergärten gibt es hier sogar eine Grundschule. Nachwuchsprobleme hat die Gemeinde nicht: Jeder Dritte hier ist jünger als 18 Jahre.
Jochen Mißfeldt, Vorsitzender der Seniorenunion, gehört nicht dazu. Doch der 70-Jährige setzt sich nicht nur für die ältesten, sondern auch für die jüngsten Dorfbewohner ein: Seit 21 Jahren führt er den Schulverein an. Unter den 130 Mitglieder seien auch Großeltern, deren Enkel die Grundschule schon hinter sich hätten, erzählt er stolz. "Die Schule ist der Mittelpunkt des Dorfes."
"Das Zusammenleben von Alt und Jung gelingt sehr gut", sagt Maren Kuhlmeier, die seit 40 Jahren Tuba im Jugendorchester spielt. Der Name ist irreführend - in dem Verein singen Dreijährige in der musikalischen Früherziehung, Kinder und Jugendliche proben im Mini-Orchester und im großen Orchester musizieren auch 50-Jährige. "Eigentlich ist es ein Mehrgenerationenorchester", sagt der stellvertretende Bürgermeister Werner Kuhlmeier.
"Bargfeld-Stegen ist ein unglaublich kinderfreundliches Dorf", sagt Britta Timm, die mit ihrer Familie, einem Truthahnpaar, Schafen, Ziegen, Gänsen und Enten im Zentrum wohnt. Wenn die elfjährige Emily zum Sportverein oder zur Probe des Jugendorchesters wolle, brauche sie nur aufs Fahrrad zu steigen. "Kinder können hier ihre Selbstständigkeit leben."
Bei Familie Timm schauen auch andere Dorfbewohner gern mal vorbei - zum Störche Gucken. In den Storchennestern in ihrem Garten haben sich in diesem Jahr zwei Paare niedergelassen. Fünf Storchenjunge klappern nun da oben um die Wette, lassen sich füttern und machen erste Flugversuche. In den vergangenen Jahren wurden die Besucher immer wieder vertrieben. "Ein alteingesessener Storch hat Besitzansprüche auf das Dorf erhoben", sagt Britta Timm. "Aber jetzt duldet er die neuen Nachbarn." Der Konflikt ist untypisch für Bargfeld-Stegen. Neubürger sind hier willkommen, Kontakte entstehen in den vielen Vereinen schnell.
"Wer sich hier einbringen will, wird mit offenen Armen empfangen", sagt Jochen Mißfeldt. Das hat auch Andreas Krallinger so erlebt, als er vor acht Jahren in den Ortsteil Gräberkate zog. "Der dörfliche Zusammenhalt ist einfach toll", sagt der Österreicher, der mit seinem Akzent schnell im ganzen Dorf bekannt war. "Ich habe einen hohen Wiedererkennungswert", sagt der 33-Jährige. Er will auf jeden Fall bleiben. "Das Dorf ist ganz wunderbar."
Das ist an diesem Tag oft zu hören: In Bargfeld-Stegen passt einfach fast alles. Die Menschen hier wohnen gern in ländlicher Umgebung, schätzen den Dorfcharakter. Sie sind aber auch froh, dass im Ort alles Notwendige für den Alltag schnell zu erreichen ist. Zentrum ist der Mittelweg. An der Kopfsteinpflasterstraße gibt es Supermarkt, Bank, Friseur, Bäcker und auch Ärzte. Auch das Bürgerhaus ist hier, nebenan die Feuerwehr und die Polizei. Ihre "kleine Mönckebergstraße" nennen die Bargfelder den Mittelweg. Wer mehr will, hat ohne Auto allerdings ein Problem, Busse fahren nur selten. Und viele Bürger und Gewerbetreibende würden sich über eine schnellere Internetverbindung freuen.
Im Supermarkt gehen auch die Bewohner der Behinderteneinrichtung auf Gut Stegen und Patienten der nahe gelegenen Psychiatrie, dem Heinrich-Sengelmann-Krankenhaus, einkaufen. Berührungsängste gebe es keine, sagt Maren Kuhlmeier. "Hier lernen alle von klein auf, mit Menschen, die anders sind, umzugehen." Das Krankenhaus legt Wert darauf, das Befremdliche der Psychiatrie durch Kooperationen mit dem Dorf zu überwinden. "Der Kontakt ist ganz wichtig", sagt die leitende Oberärztin Hannelore Labensch. Es gibt einen Tag der offenen Tür und Gottesdienste, die auch für Besucher offen sind. Im Festsaal feiert die Freiwillige Feuerwehr ihre Bälle und im Schwimmbad der Klinik lernen auch die Kinder aus dem Ort schwimmen.
Die Kurse organisiert der Familientreff. 230 Familien sind Mitglied in dem Verein, etwa ein Viertel der Dorfbewohner engagieren sich hier. Sie organisieren Kurse für Yoga, Tanzen, Ernährung, Selbstverteidigung, Inlineskaten und es gibt mehrere Kindergruppen. Der Familientreff bietet auch ein Ferienprogramm an, lädt zu Flohmärkten und Sommerfesten ein. Solche Termine stellt Helge Schacht ins Internet. Er betreibt die Dorfseite, auf der alle wichtigen Veranstaltungen angekündigt und dokumentiert werden. Als inoffizieller Dorffotograf ist er oft vor Ort dabei, zum Beispiel hat er bei den Vorbereitungen zum großen Bandfestival tagelang mit angepackt. Auch das war vom Familientreff organisiert. "Jeder kann bei uns mitmachen, das ist ein super Austausch, über den man schnell Kontakte knüpft", sagt Vorstandsmitglied Christin Nickel. Auf ihrem Schoß sitzt ihre jüngste Tochter Marlene.
Das elf Wochen alte Mädchen ist in die Dorfgemeinschaft hineingeboren - genau wie Stine Mathilda. Die gähnt bei der Besichtigung des Kindergartens und entschließt sich zu einem Nickerchen auf dem Arm ihrer Mutter Anke Zielinsky. Alles gut, scheint ihr entspannter Gesichtsausdruck zu bedeuten. Hier wird sie sich wohlfühlen.