Lütjenseer kritisieren Geheimhaltung des Kinderporno-Urteils gegen Kirchenmusiker

Lütjensee. Die Lütjenseer Tymmokirche war so voll, wie sonst nur zum Erntedank und zu Weihnachten. Der Anlass, der mehr als 100 Eltern zur öffentlichen Kirchenvorstandssitzung in das Gotteshaus trieb: das Verhalten des Kirchenvorstands im Fall des entlassenen Kirchenmusikers. Warum wurde die Gemeinde nicht sofort informiert, nachdem das Gremium erfahren hatte, dass der Kantor wegen Besitzes kinderpornografischer Bilder verurteilt worden war? Seit Wochen treibt diese Frage die erbosten Eltern um. "Wenn Sie von ehrlicher Aufklärung sprechen, geben Sie uns jetzt ehrliche Antworten", rief Zuhörer Gerhard Lerch.

Pastorin Britta Sandler eröffnete die Veranstaltung mit einem chronologischen Abriss der Ereignisse. Wiederholte Zwischenrufe aus dem Publikum wurden zunächst von der Hamburger Psychotherapeutin Isabell Tiede unterbunden. "Sie haben gleich Gelegenheit, Ihre Fragen zu stellen", sagte sie. Dass der Kirchenvorstand eine externe Moderation zu Hilfe geholt hatte, kam beim Publikum nicht gut an. "Wir hatten geahnt, dass hier alles aufgefahren würde, um sich zu verteidigen. Ein Zeichen von Hilflosigkeit", sagte die Lütjenseerin Manon Sobina. Ebenfalls anwesend: der Rechtsbeistand des Vorstands, Anwalt Einar von Harten, sowie Propst Matthias Bohl.

Zur Chronologie: 14 Bewerber hatten sich auf die Stelle des Kirchenmusikers beworben. Der Findungsausschuss entschied sich für einen Mann aus Düsseldorf. "Er hatte ausgezeichnete Zeugnisse und einen lückenlosen Lebenslauf", sagte Pastorin Sandler. Es habe keinen Grund gegeben, ein Führungszeugnis zu fordern. Das sei für den Bereich nicht notwendig gewesen. Bei dem vorherigen Arbeitgeber habe man sich nicht erkundigt. "Hätten Sie damals ordentlich recherchiert, hätten wir gewusst, mit wem wir es zu tun haben", rief Lerch. "Ja, das war ein Fehler", räumte Sandler ein. "Aber wir haben daraus gelernt. Heute müssen alle Mitarbeiter ein Führungszeugnis vorlegen, auch die, die 20 Jahre hier arbeiten."

Im März 2009 erfuhr Sandler aus Düsseldorf, dass der Kantor wegen Besitzes kinderpornografischer Bilder zu einer sechsmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt worden war. Der Mann wurde sofort entlassen, die Öffentlichkeit jedoch nicht informiert. Der Fall war erst vor wenigen Wochen publik geworden. "Wir hatten uns als Team entschieden, Stillschweigen zu bewahren", sagte Kirchenvorstandsmitglied Leif Glanert. Fassungslos rief eine Mutter dazwischen: "Wie konnten Sie das mit Ihrem Gewissen vereinbaren? Sie haben uns keine Möglichkeit gegeben, unsere Kinder aktiv vor diesem Mann zu schützen. Was macht Sie so sicher, dass wir in Lütjensee keinen Fall von Missbrauch haben?"

Niemand könne sich sicher sein, antwortete Pastorin Sandler. "Glauben Sie mir, das war keine leichte Entscheidung." Man habe auf den Rat der Polizei und der Jugendbehörden vertraut und alles getan, damit die Kinder geschützt sind. Sandler: "Wir haben auch umgehend die Kindergartenleitung informiert." In der Kita war der Mann auch tätig. Die Zusammenarbeit habe jedoch nicht gut funktioniert, so Kita-Leiterin Katja Lindemann. Man hatte sich deshalb bereits Anfang 2009 getrennt. Rechtsanwalt von Harten betonte, dass die Pastorin und das Gremium zur Verschwiegenheit verpflichtet gewesen seien. Eine Verletzung hätte rechtliche Konsequenzen gehabt. "Frau Sandler hätte ein Disziplinarverfahren riskiert, die Mitglieder des Kirchenvorstands ihren Rausschmiss aus dem Gremium."

Fassungslosigkeit beim Publikum, wütende Zwischenrufe: "Bitte den wahren Grund." "Sagen Sie doch einfach, dass Sie einen Fehler gemacht haben und Angst hatten, den einzugestehen."

Einwohnerin Manon Sobina rief Pastorin Sandler zu: "Die Gemeinde hätte geschlossen hinter Ihnen gestanden, wenn Sie den Mut aufgebracht hätten, sich über ein Verbot hinwegzusetzen. Zum Wohle unserer Gemeinschaft." Acht der neun Kirchenvorstandsmitglieder sagten: "Wir dachten, damals alles richtig zu machen. Wir würden heute anders handeln."