Unser Dorf: Die Abendblatt-Regionalausgabe auf Sommertour durch Stormarn. In Witzhave wird das Wir-Gefühl groß geschrieben

Witzhave. Es ist ein eher beschauliches Dorf bei Trittau, aber hier war schon einiges los: Vor gut 30 Jahren fahndete ein "Tatort"-Hauptkommissar nach TV-Verbrechern. Und einige Jahre später jagten echte Polizeibeamte echte Terrorverdächtige bei Witzhave. Es war im Februar 1996, als Fahnder Bernhard F. und Michael S. schnappten, die wegen fünffachen Mordversuchs gesucht und am Sachsenwald gefasst wurden. Ansonsten ist die 1400-Seelen-Gemeinde ein ruhiges Dörfchen, in dem jeder jeden kennt und Gemeinschaft groß geschrieben wird. "Wie gut wir hier zusammenhalten, sieht man zum Beispiel daran, dass wir es geschafft haben, den Bau der Transrapidstrecke zwischen Hamburg und Berlin zu verhindern", sagt Birgit Weingrau-Müller. " Da haben alle an einem Strang gezogen." Die 52-Jährige ist leidenschaftliche Laienschauspielerin und gehört zum festen Kern der Witzhaver Theatergruppe. "Wir haben vor 19 Jahren mit kleinen Sketchen angefangen. Mittlerweile führen wir jedes Jahr schwungvolle Komödien im Gemeindezentrum auf", sagt sie. " Und die kommen gut an. Der Saal ist immer voll." Das einzige, was der Gruppe fehle, sei der Nachwuchs. Weingrau-Müller: "Den jungen Liebhaber und seine Dirne können wir meist nur schwer besetzen."

Ansonsten hat die Gemeinde keine Nachwuchsprobleme. Im Kindergarten wurde erst kürzlich eine dritte Gruppe gegründet. "Die Nachfrage war einfach so groß", sagt Lutz Friedrich Kischkat von der Wählergemeinschaft Witzhave. " Wenn nicht gerade Ferien sind, toben hier 36 kleine Witzhaver herum." Der ehemalige Hamburger zog mit seiner Familie vor fünf Jahren aufs Land und hat diesen Schritt nicht bereut. Kischkat: "Die Lebensqualität hier ist sehr hoch. Wir sind sofort im Grünen, die Kinder können hier einfach umherlaufen und spielen, und dennoch sind wir in 20 Minuten in der Stadt."

Dass die Witzhaver sehr bemüht um ihre jüngsten Dorfbewohner sind, zeigt auch das Engagement des Sportvereins. Jeden Donnerstag ist in der Halle am Gemeindezentrum Kinderturntag. Es gibt sogar eine Gruppe für Anderthalb- bis Dreijährige. "Turnen kann man das eigentlich noch nicht so recht nennen", sagt Gesa Mähl, Leiterin der Kinderturngruppen, "Wir versuchen, die Koordination und Wahrnehmung der Kleinen zu fördern." Der WSV ist mit seinen 470 Mitgliedern der größte Verein im Dorf. "Wir wollen, dass jedes Familienmitglied bei uns auf seine Kosten kommt", sagt Sportvereinsvorsitzender Walter Sandig. "Das Alter spielt keine Rolle. Unser ältester Fußballspieler ist über 70." Vor allem im Sport merke man, dass sich alle einbringen, wo sie können. Sandig: "Ohne ehrenamtliches Engagement gäbe es den Verein so nicht."

Von viel Engagement lebt auch die Freiwillige Feuerwehr in Witzhave, die vor 120 Jahren gegründet wurde. "Wir sehen uns als einer der Kulturträger im Dorf", sagt Ortswehrführer Martin Grenz, der schon seit 23 Jahren aktiv ist. " Wichtig sind uns vor allem Kameradschaft und Zusammenhalt." Für ihre Mitbewohner organisieren die Männer und Frauen der Freiwilligen Feuerwehr jährlich unter anderem das Osterfeuer und den Laternenumzug. Sie sind aber auch als kulturelle Botschafter unterwegs. "Seit Mitte der 70er- Jahre sind wir mit einer Wehr aus Finnland befreundet", sagt der 35-Jährige. "Alle zwei Jahre besuchen wir uns gegenseitig. Insbesondere im Löschwesen können wir von den Finnen lernen." Die könnten im Gegenzug im technischen Bereich von den Witzhavern profitieren. Begeistert von der Feuerwehr ist auch der zehnjährige Lukas. Obwohl erst seit kurzem dabei, erscheint er für das Abendblatt-Foto in voller Montur.

Sein Freund Johannes möchte am liebsten Landwirt werden und den Hof seiner Eltern Holger und Marietta Sparr übernehmen. Der Bauernhof ist seit 180 Jahren im Familienbesitz und der letzte im Dorf, der noch Milchkühe hat. "Wir haben den Hof in vierter Generation", sagt Marietta Sparr. "Leider können wir bei den heutigen Milchpreisen nicht sicher sein, wie lange wir uns halten können." Deshalb vermietet die Familie auch Ferienwohnungen.

In den Ferien zu sein, der Gedanke kommt einem hin und wieder, wenn man durch den Ort streift. "Wir sind umgeben von Wäldern, Feldern und Gewässern. Ein richtiges Naturdorf eben", sagt Bürgermeister Jens Feldhusen und schlendert über die "Lange Brücke". Sie verbindet die Kreise Stormarn und Herzogtum Lauenburg, die im Sachsenwald durch die Bille getrennt werden.

Die Ruhe am Waldesrand schätzt auch die Familie Beer. Sie wohnt im ehemaligen "Waldlokal" an der südwestlichsten Spitze des Dorfes. "Mein Mann und ich sind beide Jäger", sagt Birgit Beer. "In Witzhave sind wir genau richtig."

Hannelore Eckermann hingegen liebt den Trubel im Gemeindezentrum. "Das ist unser Treffpunkt. Hier ist immer was los", sagt die 61 Jahre alte Gemeindevertreterin. Sie leitet die Seniorenvereinigung, die Bastelgruppe und die Walking-Crew. "Ich werde oft gefragt, ob ich noch den einen oder anderen Posten übernehmen will", sagt sie. "Aber irgendwann muss mal gut sein." So ist das, wenn jeder jeden kennt.