Unser Dorf: Stormarn-Ausgabe des Abendblattes auf Sommertour. Klein Wesenberg bietet Landleben pur und liegt am weltberühmten Pilgerpfad

Klein Wesenberg. "Wir haben uns hier ein kleines bisschen heile Welt erhalten können", sagt Ulrich von Papen und schaut seine Brigitte an, der er vor 36 Jahren in das 800-Einwohner-Dorf im Norden Stormarns gefolgt ist. Die gebürtige Klein Wesenbergerin nickt, es ist ein zustimmendes Nicken: "Unser Dorf ist eine große Familie", sagt sie. "Hier ist alles so behütet."

15 Jahre lang war die heute 64-Jährige Posthalterin im Ort. Neben der Garage ihres Hauses hatte sie eine kleine Annahmestelle. Nachmittags fuhr sie mit ihrem Fahrrad durchs Dorf, um die Post zu verteilen. "Damals kannte ich hier alle Leute", sagt Brigitte von Papen. "Ich war für sie eine Vertrauensperson, schließlich kam ich jeden Tag bei ihnen vorbei." Die Menschen sprachen mit ihr über Krankheiten und Sorgen. Gemeinsam wurden neue Möbel begutachtet.

"Früher gab es hier alles", sagt ihr Mann, "Handwerker, Stellmacher, Tischler, Friseure, Sattler und Landwirte." Die Poststelle wurde 1995 geschlossen. Nach und nach verschwanden auch alle Einkaufsmöglichkeiten im Ort. Das letzte Geschäft, eine Bäckerei, schloss im vergangenen Jahr. Auch von den ursprünglich mehr als 20 Landwirtschaftsbetrieben sind nur noch fünf übrig geblieben.

Einen von ihnen betreibt Familie Hochstein. Auf ihrem Hof halten Petra und Henning Hochstein etwa 50 Milchkühe und 900 Mastschweine. Seit drei Jahren beteiligen sie sich am Projekt "Schulklassen auf dem Bauernhof" der Landwirtschaftskammer Schleswig-Holstein.

Seitdem kommen jedes Jahr drei Schulklassen zu ihnen auf den Hof, um einen Vormittag lang zu erleben, wie das Leben auf dem Bauernhof funktioniert. "Viele Schüler sehen uns sonst nur auf einem Trecker sitzen und den Weg versperren", sagt Petra Hochstein. "Den meisten ist aber nicht bewusst, dass wir die Grundnahrungsmittel liefern. Einige fragen sogar, welche unserer Kühe die Schokoladenkühe sind. Sie wissen nicht, dass Milch immer weiß ist."

Nach Klein Wesenberg kommen aber nicht nur Schulklassen, sondern auch viele Pilger. Denn der Jakobsweg führt direkt durch das Dorf. "Jeden Tag sehe ich ein bis zwei Leute hier über den Kirchberg pilgern", sagt Pastor Erhard Graf. Einige von ihnen übernachten sogar in Klein Wesenberg. Denn in der oberen Etage des Gemeindehauses gibt es vier Gästezimmer mit insgesamt zwölf Betten. Graf: "Jede Woche haben wir zwei bis drei Übernachtungen."

Einige Häuser vom Pastorat entfernt arbeitet Udo Janßen in der alten Mühle, die seit 1894 im Besitz seiner Familie ist. Den Mühlenbetrieb hat er bereits 1993 eingestellt, seitdem verkauft er dort Tierfutter. "Eigentlich müsste ich längst im Ruhestand sein, aber man kann das ja einfach nicht lassen", sagt der 81-Jährige und wiegt einen Sack Tierfutter ab.

Ein "echter" Klein Wesenberger ist auch Herbert David, seit 1996 Bürgermeister der Gemeinde. Er wurde 1933 in dem Dorf geboren, ging dort zur Schule. 2006 wurde er zum ersten Ehrenbürger der Gemeinde ernannt. Besonders stolz ist der 76-Jährige darauf, dass Klein Wesenberg seit 2001 an den Lübecker Stadtverkehr angeschlossen ist. "Dafür habe ich 28 Jahre lang gekämpft", sagt David, der sich noch gut an die erste Verbindung des Ortes nach Lübeck erinnern kann: "Seit 1946 konnten wir über die Trave zwei Mal täglich mit dem Schiff in die Hansestadt fahren."

Eine Entwicklung bereitet ihm jedoch Sorgen: "Wir sind sehr zur Schlafstadt von Lübeck geworden. Viele ziehen nur noch zu uns, um hier zu wohnen und zu schlafen. Sie bringen sich aber nicht mehr ins Gemeindeleben ein, indem sie etwa Ehrenämter übernähmen." Dabei hätten seine Bürger in der Vergangenheit mit ihrem Engagement vieles auf die Beine gestellt. Die Bürgersteige im Heideweg seien zum Beispiel in Eigeninitiative entstanden. "Da haben die Bürger mit angepackt. Wir haben dadurch viel Geld gespart", sagt Herbert David.

Seine Tochter Doris ist mit ihrem Sohn wieder nach Klein Wesenberg zurückgekehrt, nachdem sie mehrere Jahre in Lübeck gelebt hatte. Besonders gern erinnert sich die 49-Jährige an ihre Schulzeit in der Dorfschule zurück. "Damals wurden vier Altersjahrgänge in einem Raum unterrichtet. Das war toll." Viele ihrer ehemaligen Klassenkameraden leben immer noch oder wieder in Klein Wesenberg.

So auch ihre Lehrerin Brigitta Rothfuß. Nachdem die Dorfschule 1971 geschlossen worden war, verließ sie die Gemeinde nicht. "Ich hatte inzwischen geheiratet", sagt die 66-Jährige. Kurze Zeit später gründete sie mit anderen Frauen die Turngruppe Ringel, die sich jeden Mittwoch zum Sport trifft - seit 34 Jahren. "Anfangs war es gar nicht so selbstverständlich, dass die Frauen abends weg durften", sagt sie. "Da haben die Leute gesagt, ich mache die Weiber verrückt."

Oliver Schirk ist nach seiner Bundeswehrzeit wieder in sein Heimatdorf zurückgekehrt. Eigentlich wollte er sich damals mit seiner Frau eine Wohnung in Lübeck suchen. "Aber wenn man auf dem Land groß geworden ist, fällt es schwer, eine Wohnung zu nehmen, von der man auf einen asphaltierten Parkplatz guckt", sagt der 48-Jährige.

Er kaufte ein altes Haus in Klein Wesenberg. In seinem Garten realisiert er jetzt all seine Träume - und die seiner Familie. Einen Rasen-Tennisplatz und einen Schwimmteich mit Sprungbrett gibt es bereits. Derzeit arbeiten sein Sohn Christopher und er an einer großen Gartenhütte. "Darin können wir Partys feiern und übernachten", sagt der 13-Jährige.

"Hier haben wir den Platz, um solche Späßchen zu machen", sagt Oliver Schirk. Die Natur, die Ruhe, der große Wohnraum, der Garten und dennoch die Stadt Lübeck in unmittelbarer Nähe - der Familienvater kann sich keinen schöneren Wohnort vorstellen. "Wir sind hier nicht am Ende der Welt, aber haben trotzdem unsere Oase in der Wüste der Zivilisation", sagt er, "ich muss nur aus der Tür treten und kann sofort joggen, Rad fahren oder Inline-Skaten."