Unser Dorf: Die Stormarn-Ausgabe geht mit dem Abendblatt-Smart auf Sommertour. Barnitz verbindet Vogelschießen und Vernissagen

Barnitz. Wieder hat er eine der lästigen Fliegen mit seiner weißen Klatsche erwischt. "Jetzt sind es schon zwei", sagt Thomas Helbing. Er bereitet gerade seine Werkstatt für seinen Abendkursus in Bildhauerei vor. Heute wird es um das Aktmodellieren gehen. "Das dient nur dazu, das Modell zu schützen", entschuldigt der Künstler sein Vorgehen.

An der Wand stehen Modellböcke aus Holz, sie sehen aus wie zu kurz geratene Barhocker mit drei Beinen. Helbing deutet auf die Skulptur eines männlichen Torsos: "Die hat eine Zahntechnikerin gerade fertiggestellt. Das hat schon eine hohe Qualität." An vier Tagen in der Woche arbeitet Helbing an einer Skulptur aus Carrara-Marmor. Noch ist auf dem mannshohen Block nur ein Knie am Rand zu erkennen. Fein gemalte gelbe Linien deuten die Proportionen an. Das Werk soll einmal einen Schwimmer beim Start darstellen. "Mir ist der Moment wichtig, in dem der Athlet auf dem Startblock steht." Ein Moment enormer Anspannung sei das, physisch wie psychisch. "Dieser Augenblick lässt sich übertragen auf jede Aufgabe, vor der ein Mensch steht."

Seit 2001 wohnt Helbing mit Frau und Tochter auf einem Resthof in Lokfeld, einem der vier Ortsteile von Barnitz. Inspiration aus der idyllischen Umgebung ziehe er für seine künstlerische Arbeit zwar nicht direkt. "Aber die relative Ruhe bedeutet mir Entspannung. In Hamburg wäre ich nach einem halben Tag kaputt von den Eindrücken." Spricht er über die Dorfgemeinschaft, so gerät der Bildhauer ins Schwärmen. "Wir wurden hier so gut aufgenommen, haben viele nette Menschen kennengelernt." Die Gemeinschaft zeige sich etwa beim Vogelschießen oder in der Jugendfeuerwehr.

Auf den Nachwuchs ist auch der Barnitzer Wehrführer Hans-Friedrich Hoffmann stolz: "Wir haben 29 Aktive. Damit ist die Jugendwehr die größte im Amt." Das Maskottchen ist der Stoffeber Willy. Dessen Revier ist momentan der provisorische Aufenthaltsraum der Feuerwehr. In der kommenden Woche soll die Sanierung des Gerätehauses beginnen. Daher stehen das Löschfahrzeug und andere Utensilien bei Hoffmann in einem alten Stall. Der 60-Jährige, der wie seine drei Vorväter in Barnitz geboren wurde, schwärmt vom Dorf: "Es ist die Perle an der Trave." Beim Wort "Künstlerdorf" runzelt Hoffmann die Stirn. "Ich halte das für übertrieben." Dennoch lobt er die Künstler: "Sie haben sich sehr gut eingepasst." Und auch die anfänglichen Probleme durch parkende Autos während des Kunsthandfestes, das seit 2004 jedes Jahr zu Himmelfahrt Tausende Besucher anlockt, seien überwunden.

Für Hoffmann ist die Feuerwehr der zentrale Anlaufpunkt. "Wir organisieren das Grillfest, das Vogelschießen und ein Laternelaufen." Hans-Friedrich Hoffmann führt die Wehr seit 25 Jahren, sein Sohn Johann-Friedrich leitet die Jugendwehr. Auch die anderen Söhne Christian und Hinrich sind aktiv.

Bürgermeister Hans-Joachim Schütt betont ebenfalls die Bedeutung der Feuerwehr: "Wir haben zwei Ortswehren. Die in Barnitz und die in Benstaben." Die Bezeichnung "Künstlerdorf" nimmt der 51-Jährige "als Marketing" gerne mit. "Doch der Eckpunkt im Kalender unserer Einwohner ist das Vogelschießen." Stolz ist der Bürgermeister auf die Rad- und Wanderwege, die nach 30 Jahren des Wartens die vier Ortsteile verbinden.

"Seitdem trifft man viel mehr Dörfler", sagt Sabine Reichle. Die Biologin wohnt in Klein-Barnitz und betreut das Projekt "Wilde Weiden" der Stiftung Naturschutz in Schleswig-Holstein in Zusammenarbeit mit dem Naturschutzbund. Ab und zu führt sie auch Besucher über die Wiesen. Auf 50 Hektar leben 19 Aubrac-Rinder mit ihren Kälbern. "Sie managen sich hier selbst", sagt Reichle. Vor zwei Jahren begannen die Naturschützer damit, Teiche anzulegen. "Sobald sich Amphibien ansiedeln hoffe ich, dass es auch unserem Storch wieder besser geht. Die Barnitzer machen sich Sorgen, weil er seit zwei Jahren keinen Nachwuchs hat."

Im Dorf führt Hans-Ulrich Wetzel mit seinem Bruder Conrad einen Partyservice. Der Betrieb stellt auch selbst Fleischwaren her. "Wir wollen bald eine ganz neue Produktpalette aus Saucen, Dips und Pestos im Einzelhandel anbieten", sagt Hans-Ulrich Wetzel. Der 44-Jährige ist im Stress, weil ein kompletter Um- und Ausbau seiner Firma bevorsteht. "Wir bekommen einen hochmodernen Maschinenpark", sagt er und verdreht die Augen. "Bis Ende Oktober soll der Umbau fertig sein." Zur Beruhigung zieht er an seiner Pfeife. Seine Firma ist der größte Arbeitgeber im Dorf. Barnitz habe die drohende Überalterung gestoppt. "In den letzten Jahren hat es sich sehr verjüngt", so Wetzel.

Einen maßgeblichen Anteil am Künstlerdorf-Image hat Uwe Kollschegg. Der 68-jährige Antiquitätenhändler lebt seit zwölf Jahren in Barnitz. Er hat einen alten Gasthof mit einem großen Saal samt kleiner Theaterbühne gekauft und renoviert. "Der Saal ist der Hit", sagt Irmgard Adler. Sie kommt aus Steinhorst in Lauenburg und erkundigt sich bei Kollschegg nach Veranstaltungen. "Es ist toll, wenn man so ein Kleinod entdeckt", sagt sie. Eine schmale Tür im Saal führt in den Garten, der an der Trave liegt. In der Mitte der Rasenfläche steht ein Kirschbaum. "Den habe ich gleich als erstes gepflanzt", sagt Kollschegg und geht auf eine Scheune zu, die er als Werkstatt nutzt. "Die Scheune war schrott. Da war ein 40 Quadratmeter großes Loch drin." Jetzt schützt das Dach vor dem einsetzenden Regen. Auch Haus- und Hofhund Anton flüchtet ins Trockene.

Ute Elisabeth Herwig hat mit ihrem Mann vor acht Jahren die alte Dorfschule in Lokfeld gekauft. Sie sagt: "Indem wir Künstler hier arbeiten, machen wir eigentlich das, was früher die Landwirte gemacht haben: tagsüber für eine Belebung des Dorfes zu sorgen." Nicht nur zu den jährlichen Kunsthandfesten stünde die Haustür für alle offen, auch zu Hauskonzerten oder Malkursen kämen ständig Leute ins große Haus. Ab und zu stehen im ehemaligen Klassenzimmer sogar Fremde. Herwig: "Neulich haben mein Mann und ich ein Geräusch gehört. Als ich hinging, schaute sich ein älteres Ehepaar um." Ehemalige Schüler würden ihr zeigen, wo sie zu ihren Schulzeiten gesessen hätten. Sie weiß um den Zwiespalt, wenn vom "Künstlerdorf" gesprochen wird. Wenn es um Zuschüsse gehe, werde im Gemeinderat kontrovers diskutiert. "Dabei ist Kunst nicht das Sahnehäubchen, sondern das Salz in der Suppe."