Unser Dorf: Die Stormarn-Ausgabe geht mit dem Abendblatt-Smart auf Sommertour. In Nienwohld ersetzen sechs Schafe einen kommunalen Rasenmäher

Nienwohld. "Passen Sie auf, ich erklär' Ihnen mal, wie man Torf sticht", sagt Käte Hüttmann. Ihre lebhafte Schilderung untermalt sie mit ebenso lebhaften Handbewegungen. "Zuerst wird mit einer Schaufel der Weißtorf ausgehoben, dann mit einem Stecheisen der darunter liegende Brauntorf gestochen. Das war harte Arbeit. Früher haben wir damit das Haus geheizt", sagt Nienwohlds älteste Bürgerin.

Im Dezember wird sie 101. Das Haus aus roten Backsteinen und mit dem blühenden Vorgarten, in das sie 1920 mit Mutter und Geschwistern gezogen war, bewohnt sie heute noch. Alleine? "Ja, was denken Sie denn! Meine Tochter wohnt nebenan", sagt die rüstige, humorvolle Dame, die das "h" aus ihrem Vornamen kurzerhand gestrichen hat. "Weil es ohne moderner ist." Eine neun Meter breite und hundert Meter lange Parzelle im Moor gehört ihr bis heute. Für Hauseigentümer wurde einst die "Torfgerechtsame" eingerichtet, die ihnen erlaubte, für den Eigenbedarf Torf abzubauen.

Seit Mitte der 70er-Jahre ist das Geschichte, die in Nienwohld jedoch weiterlebt. Die Wählergemeinschaft veranstaltet Führungen durch das Moor, im Dorfgemeinschaftshaus hängt ein Torfgeschirr, vor dem Gebäude, das ehemals die Schule war, steht ein alter Torfkarren. Vor einigen Jahren im Moor entdeckt, haben ihn die Feuerwehrkameraden restauriert. 34 aktive Männer und eine Frau stellen die Nienwohlder Wehr. Die Einsatzzahlen bewegen sich zwischen null und 20. "Dieses Jahr ist bisher sehr ruhig", sagt Thorge Spitzmacher, der stellvertretende Wehrführer.

Doch Einsätze gibt es für die Ehrenamtlichen genug: Sie sind zur Stelle, wenn es etwas für das Dorf zu organisieren gilt - Osterfeuer, Maifeier oder Laternenumzug - oder freiwillige praktische Hilfe benötigt wird. Sie helfen dem Gemeindearbeiter beim Heckeschneiden, haben einen Geräteschuppen gebaut, der dringend benötigt wurde, und den Löschteich verlegt. Und vor Jahren haben sie in gut 7000 Stunden Eigenleistung die Alte Schule zum Dorfgemeinschaftshaus umgebaut. "Nur die äußere Hülle war stehen geblieben. Das Innere wurde neu gebaut", sagt Bürgermeister Thomas Manke.

In Nienwohld funktioniert vieles auf diese unkomplizierte Art: Dass Menschen sich einbringen. "Davon lebt unser Dorf: Hier sagt nie jemand Nein, wenn man ihn fragt", sagt Thomas Manke. 460 Einwohner zählt die kleinste Gemeinde im Amt Bargteheide-Land, ein Straßendorf im nordwestlichen Zipfel Stormarns, gelegen zwischen Bargfeld-Stegen und Sülfeld, das schon zum Nachbarkreis Segeberg gehört. Ein idyllischer Ort mit ausgeprägtem Gemeinsinn, der besonders auf junge Familien aus den neuen Bundesländern in den letzten Jahren einen großen Reiz ausübte und sich gegen Eingemeindungsbestrebungen bisher stets erfolgreich zur Wehr gesetzt hat. "Nienwohld ist ein Nest in jedem Sinne des Wortes", sagt Anja Manke. Aber keinesfalls rückständig, sondern fortschrittlich und aufgeschlossen.

"Wir haben das schnelle Internet, zwei Megabit, wir haben keine Schulden, aber können auch keine großen Sprünge machen", sagt Thomas Manke. Das will aber auch keiner. Und wenn, nimmt die Gemeinschaft das selbst in die Hand. Ein aktuelles Beispiel: die sechs Schafe, die Manke zusammen mit Rebekka Reiche angeschafft hat und die die Gemeindeflächen abgrasen sollen. "Das ist günstiger, als wöchentlich zu mähen", sagt Manke. Er ist ein waschechter Nienwohlder, lernte hier seine Frau Anja kennen, zog mit ihr Mitte der 80er-Jahre nach Ahrensburg und ein Jahrzehnt später wieder zurück in die ländliche Idylle. "Einmal Dorf, immer Dorf", sagt er lachend. Seit zwei Jahren lenkt er als Bürgermeister die Geschicke seiner "kleinen Sowjetrepublik". Ein Scherz, der auf der Tatsache beruht, dass die Allgemeine Wählergemeinschaft Nienwohld (AWN) bei der letzten Kommunalwahl 100 Prozent der Stimmen bekam. Kein Wunder: "Außer uns trat niemand an." Manke kennt jeden, Anliegen und Sorgen erfährt er auf dem kleinen Dienstweg an der Haustür.

Oder bei Martin Schmidt, Süßmoster in der zweiten Generation und Mankes zweiter Stellvertreter. An dem "Saftladen" auf dem ehemaligen Meiereigelände an der Dorfstraße kommt niemand vorbei. 33 Fruchtsäfte hat Schmidt im Sortiment, selber hergestellt aus heimischen Fruchtsorten: Himbeernektar, Stachelbeersaft oder "Viridia", ein alkoholfreier Saft, der an Campari mit Orangensaft erinnert. "Schmeckt, als ob, und ist ganz ohne", sagt Martin Schmidt. Wegen seines Johannisbeergelees kommt Klaus Jentzsch einmal im Monat sogar aus Hamburg. "Probieren Sie auch mal den Quittensaft, gemischt mit Mineralwasser im Verhältnis ein Fünftel Saft, vier Fünftel Wasser, beides eiskalt", sagt Jentzsch und macht sich wieder auf den Weg.

Schmidt ist ein echter Werbeträger für das Dorf. Nach dem berühmtesten Sohn Nienwohlds natürlich: Schauspieler und Filmemacher Detlev Buck. Sie nennen ihn "unseren Regisseur" und ärgern sich, wenn es in den Medien heißt, er komme aus Bargteheide. "Klar ist er oft hier bei seinen Eltern auf dem Hof", sagt Peter Steinfeld, der Initiator der "Männer-Frühstücksrunde", zu der sich 22 Herren wöchentlich in der Alten Schule treffen. Es ist ihre Antwort auf die Weiberrunde, die sich "die Moorhühner" nennt und ursprünglich von den Frauen der Feuerwehrmänner gegründet wurde. "Wir treffen uns monatlich und machen auch gemeinsame Ausflüge", sagt Jutta Martens. Bei den Herrenvormittagen wird geklönt und ein Kleiner gehoben. "Natürlich, Fisch will schwimmen", sagt Steinfeld.

Den steuert Dittmer Martens bei, der mit seinen Räucherfischen und dem Partyservice über die Dorfgrenzen bekannt ist. "Eigentlich war das ein dusseliger Zufall", sagt der passionierte Angler, der wegen Arbeitsunfähigkeit zwei Jahre Rente auf Probe erhielt, sich dann entschloss, das Hobby zum Beruf zu machen. "Erst habe ich meiner Frau den Vorgarten weggenommen und Parkplätze gebaut, später, als das Geschäft lief, auch das Kaminzimmer", sagt Martens. Die Ehe hat aber gehalten. Die Fischerfeste am ersten Septemberwochenende sind mittlerweile Tradition.

Martens' neues Steckenpferd: T.O.N., die Trecker Oldies Nienwohld, eine Interessengemeinschaft mit 24 Mitgliedern und 18 alten Schleppern. "Wir schrauben allein oder auch mal zu zweit", sagt Benton Roth. "Und zur Not kommen ein Dritter und Vierter zum Klugscheißen", fügt Sven Dahlke lachend hinzu. Sie sind Mitte zwanzig und die Youngster.

Auch das ist typisch Nienwohld: Es gibt keine Vereine, sondern Zusammenschlüsse Gleichgesinnter, die das Leben im Dorf bereichern. Manchmal sind es auch spontane Aktionen Einzelner, wie etwa Martin Dronsfield und Nicole Bäumer, die den letzten Laternenumzug mit einer kleinen Feuershow untermalten. Das Artisten-Paar lebt seit zweieinhalb Jahren im Dorf, fand hier, was es in Hamburg vergeblich suchte: eine Wohngemeinschaft mit Alt und Jung. Jüngstes Mitglied ist die 17 Monate alte Henrietta, die "seute Deern" von Dronsfield und Bäumer, die jeder kennt, weil der Vater täglich mit ihr auf dem Moorweg spazieren ging. Als das Paar mit Henrietta auf Tournee ging, meldeten sie sich ab. "Man hätte uns sonst vermisst", sagt Dronsfield.

Fünf Bauern sind noch am Ort, prägen weiterhin seinen landwirtschaftlichen Charakter. Für Rebekka Reiche ist die Landwirtschaft "der schönste Beruf überhaupt". Die 28 Jahre alte Hauswirtschafterin und Agrarbetriebswirtin übernimmt den im Ortsteil Rögen gelegenen Hof ihrer Eltern Eckhard und Ute Reiche: 60 Milchkühe, 80 Sauen, 60 Mastplätze für die Aufzucht der Ferkel, 115 Hektar Ackerflächen. Ihr Traum: ein Hofladen. Ein Holzhäuschen gibt es bereits. Im Angebot: Sonnenblumen und Eier zur Selbstbedienung. Das Geld kommt in eine Dose. Zum Ausgleich wird Musik gemacht: Der Vater bläst das Tenorhorn, seine vier Töchter spielen Klarinette, Saxofon und Trompete.

Käte Hüttmann ist derweil in Gedanken wieder im Moor. "Es ist von so einer Schönheit, zu jeder Jahreszeit."