Für 210 000 Euro lässt die Stadt Bargteheide das historische Utspann-Gebäude an der Hamburger Straße sanieren

Bargteheide. Die Sonne knallt aufs Utspann-Dach. "Heute ist es besonders heftig", sagt Vorarbeiter Henning Jens. "Halb so schlimm", murmelt Lutz Gullaume und sticht mit einer handgroßen gekrümmten Nadel zu. Hunderte, Tausende solcher Stiche werden folgen. Seine tiefbraune Haut verrät, dass er nicht nur heute unter freiem Himmel arbeitet. Auch die Kollegen arbeiten mit professioneller Ruhe gegen die Hitze an. Mit vier Mann sind sie aus Wankendorf bei Plön nach Bargteheide angereist: eine Kolonne für einen Spezialauftrag. 390 Quadratmeter Reetdach gilt es, neu zu decken.

Ein Bündel nach dem anderen holen sich die Handwerker nach oben, legen sie auf die Dachlatten und den dort befestigten Spanndraht, drücken die Halme auseinander, stechen mit der Spezialnadel hinein und ziehen mit einem Bindedraht das Reet fest. "Alle 20 Zentimeter ein Stich. Pro Quadratmeter 15, die gesamten Dachlatten längs. Sie können sich selbst ausrechnen, wie viele das sind", sagt Vorarbeiter Jens. Heute könnten sich Lehrling nach dem zweiten Ausbildungsjahr auf das Reetdecken spezialisieren. "Zu unserer Zeit gab es das noch nicht", sagt der 46 Jahre alte Vorarbeiter, "wir haben das während der Arbeit gelernt und unsere Erfahrungen gesammelt." Und das klappt. Jeder Handgriff sitzt.

Am 10. August soll die zur Hamburger Straße liegende Dachseite des historischen Utspann-Gebäudes wieder wetterfest und hübsch sein. Für den Zeitplan ist die Wärme ideal. "Der Wirt würde sich auch schön bedanken, wenn der Regen unten in die Weingläser tropft", sagt Marco Obertop. Er ist der Vorarbeiter für die Zimmerleute. Auch die sind dabei, das unter Denkmalschutz stehende Gebäude wieder auf Vordermann zu bringen. Je nachdem, wie schlimm es um das Jahrhunderte alte Fachwerk bestellt ist, werden Teile der Eichenbalken abgestemmt, abgefräst oder nur abgeschleift. Mit einem Spezialkleber wird anschließend neues Holz reingesetzt. "Es ist vorgetrocknet. Und altes Holz arbeitet auch immer noch. Das geht schon. Zum Schluss imprägnieren wir alles", sagt Obertop, der mit seinen Leuten ebenfalls in drei Wochen alles unter Dach und Fach haben möchte. Es sei denn, es kommen noch weitere unangenehme Überraschungen zutage.

"Wir hatten im vergangenen Jahr ein Gutachten in Auftrag gegeben. Danach standen für die Stadt Sanierungskosten von 170 000 Euro an", sagt die zuständige Rathausmitarbeiterin Astrid Bumann. Aber das reicht nun nicht. Als die Handwerker Verblendbretter vom Dach nahmen, wurde klar: Die Holzzapfen sind morsch und müssen ebenfalls ausgebessert werden. Und dann wurden auch noch Ameisen festgestellt. Sie hatten sich im Giebel eingenistet, der zum Marktplatz liegt, und das Holz angefressen. Der Vorsitzende des Umweltausschusses, Frieder Westerworth, wollte es kaum glauben: "Ameisen fressen doch kein Holz!" Astrid Bumann, Sachbearbeiterin in der städtischen Finanz- und Gebäudewirtschaft: "Doch, diese Sorte leider doch."

Über den Nachtragshaushalt wurden weitere 30 000 Euro genehmigt. 210 000 Euro kostet die Stadt nun die längst überfällige Schönheitskur. Die hintere Dachhälfte ist noch in Ordnung. Aber nach vorne zur Straße war das Reet nur noch zehn Zentimeter dick, die Gefahr, dass es reinregnet entsprechend groß. Sind die Spezialisten aus Wankendorf fertig, wird sich das Utspann unter einer 30 Zentimeter dicken Reethaube ducken, Wind und Wetter trotzen und dem Ortseingang aufpolierten ländlichen Charme geben.

Vorher müssen aber noch die freigelegten Balken wieder zugemauert werden. Und ganz zum Schluss sind die Maler an der Reihe. Sind die letzten Fenster gestrichen, können wieder beide Fahrbahnen vor dem Utspann benutzt werden. Am 21. August soll der Verkehr wie gewohnt fließen. "Der Gaststättenbetrieb läuft aber während der gesamten Bauzeit weiter", sagt Pächter Matthias Wullbrand.

Die fahrenden Handwerker in Sachen Reet sind dann schon längst nach Kiel-Molfsee weitergezogen. Dort warten weitere Häuser des Freilichtmuseums darauf, dass die vier Herren mit dem Nähgeschirr neues Reet festzurren und zum Schluss mit dem Klopfbrett die letzten Stäubchen vom Dach holen.