Dieter Kohl lehrte 20 Jahre an der Stormarnschule - wohl ohne Wissen von Amt und Kirche. Wie oft er Schüler belästigt hat, ist unklar.

Ahrensburg/Kiel. Die Missbrauchsvorwürfe gegen einen ehemaligen Pastor der Kirchengemeinde Ahrensburg rufen nun auch das Bildungsministerium in Kiel und Justiziare der Stadt auf den Plan. Nachdem eine ehemalige Schülerin der Stormarnschule in der Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn von Übergriffen des Geistlichen während des Religionsunterrichts berichtet hatte, soll nun die Frage geklärt werden, in welchem Arbeitsverhältnis Dieter Kohl während seiner Tätigkeit am Gymnasium bis 2003 stand und wer die Dienstaufsicht hatte.

+++Initiative: Weitere Ahrensburger Schüler Opfer+++

Der stellvertretende Leiter der Schule, Eckhard Gaumnitz, legt Wert auf die Feststellung, "dass dieser Pastor kein Lehrer unserer Schule war". Das Bildungsministerium teilt diese Einschätzung. "Kohl war nie Landesbediensteter", sagt Sprecher Thomas Schunck. Wer also hätte ihn kontrollieren können? Auch die Nordelbische Kirche, ehemaliger Arbeitgeber von Kohl, tappt bei diesen neuen Aspekten des Missbrauchsskandals nach eigenen Angaben im Dunkeln. Vize-Sprecher Mathias Benckert: "Nach unserer Aktenlage liegen keine Hinweise auf die Lehrtätigkeit vor."

Mehr als 20 Jahre lang hat der ehemalige Pastor der Gemeinde Kirchsaal Hagen, der seine Übergriffe auf Schutzbefohlene inzwischen eingestanden hat, am Gymnasium Religion unterrichtet. Wie oft er dabei Schülerinnen und Schüler belästigt hat, wie oft es zu Missbrauch im Unterricht oder im Rahmen von schulischen Veranstaltungen danach kam, ist weitgehend unklar. Eine der entscheidenden Fragen ist, ob die damalige Schulleitung von solchen Dingen Kenntnis hatte oder haben konnte. Ob sie darauf reagierte, oder einen möglichen Skandal unter den Teppich kehren wollte.

+++Noch zu viele Fragen sind offen+++

Wer also hatte die Dienstaufsicht bei Kohl? Wurde kontrolliert, was er im Unterricht macht? Lehrer haben ihn offenbar selten zu Gesicht bekommen, weil sich Kohl am Rande der Schulgemeinschaft bewegte. Liegt in diesem unübersichtlichen Konstrukt der Schlüssel dafür, dass er die Situation hat ausnutzen können? So, wie er es nach Eröffnung des kirchlichen Ermittlungsverfahrens gegen ihn hatte eingestehen müssen? Auszuschließen ist das nicht.

Mit Ute (Name geändert) hatte sich nun erstmals eine ehemalige Schülerin als Opfer zu Wort gemeldet. Kohl habe sie im Unterricht unsittlich berührt, sie im Pastorat sexuell bedrängt. Noch heute leide sie unter den traumatischen Erlebissen. Das Schlimmste sei, wenn ihr nicht geglaubt werde: "Es heißt immer noch: Da war doch nichts. Das kann nicht sein", sagt sie. "Doch, es kann sein. Auch Autoritäten sind fehlbar." Noch heute, rund zwei Jahrzehnte nach den Ereignissen, habe sie die Bilder vor Augen, die sich in ihre Erinnerung eingebrannt haben.

"Wir haben nichts gemerkt. Er war nett. Das wirkte alles harmlos", hatte ein Lehrer der Stormarnschule auf Anfrage dieser Zeitung gesagt, nachdem kurz darauf ein weiterer Fall öffentlich geworden war, der sich in ähnlicher Weise abgespielt haben soll - nur 20 Jahre zuvor, also zu Beginn der Lehrtätigkeit von Kohl. Damals sei es um einen Jungen gegangen. Möglicherweise haben die Übergriffe immer wieder den gleichen Verlauf genommen. Der Klassenraum war der erste Ort der Begegnung. Das Pastorat der zweite - und im Hinblick auf den Missbrauch der gefährlichere. Ute: "Er war immer betrunken, wenn ich ankam. Seine Frau war nie da." Auch in diesem Zusammenhang müssen Fragen geklärt werden. Waren die Kurstreffen im Pastorat schulische Veranstaltungen oder private Zusammenkünfte? Wer wusste davon?

Es gibt eine offizielle Regelung für derartige Dienstverhältnisse. Eine Verwaltungsvereinbarung von 1987 zwischen Land und Kirche besagt, "dass sich die Kirche bemüht, persönlich und fachlich geeignete Lehrkräfte zur Verfügung zu stellen, wenn die Erteilung des Religionsunterrichts durch Kräfte im Landesdienst nicht sichergestellt werden kann", sagt Beate Hinse, Vize-Sprecherin des Kieler Bildungsministeriums. Die Pastoren unterstünden dabei der kirchlichen Dienstaufsicht.

"Im Rahmen ihres Lehrauftrages unterstehen sie jedoch der staatlichen Schulaufsicht", so Hinse weiter. "In jedem Fall ist es die Schulaufsichtsbehörde, also das Ministerium, die den Lehrauftrag erteilt. In Abstimmung mit der Kirche." So wisse das Ministerium, wer an den Schulen unterrichtet. Und die Kirche wisse, welchen Stundenanteil der Pastor habe. Also: Die Kirche entsendet, das Ministerium genehmigt.

Im Fall Kohl trifft beides nicht zu. Nicht nur, dass die Kirche über das Beschäftigungsverhältnis nicht informiert war und "das Kirchenamt (...) erst mit Aufnahme der Ermittlungen im Jahr 2010 von seiner Tätigkeit an der Schule erfahren" hat, wie Mathias Benckert bestätigt. Auch in der Schulaufsicht fehlen Papiere. Nach "derzeitigen Recherchen (...) liegt dem Bildungsministerium ein (...) Lehrauftrag von Herrn Kohl" nicht vor, bestätigt Sprecherin Beate Hinse.

Eine Mutter, deren drei Kinder die Stormarnschule besucht haben, erinnert sich: "Kohl war immer außen vor. Aber dass niemand etwas bemerkt hat, stimmt nicht. Es gab immer Gerüchte. Umso erstaunter war ich, dass Kohl nach seiner Versetzung wieder an der Schule auftauchte."

1999 war Kohl an die Justizvollzugsanstalt Neumünster versetzt worden. Ein halbes Jahr später tauchte er nach Angabe der Mutter wieder auf. "Das wurde bei einer Schulkonferenz oder einer Sitzung des Schulelternbeirats verkündet", sagt die Ahrensburgerin. "Der damalige Schulleiter Frahm sprach im Zusammenhang mit Kohl von einer geringfügigen Nebenbeschäftigung. Es fiel das Wort Mini-Job." Hat Kohl also ohne Wissen von Kirche und Schulaufsicht unterrichtet und dafür auch noch Geld bekommen? Beate Hinse vom Bildungsministerium: "Grundsätzlich erhalten kirchlich gestellte Lehrkräfte keine Extra-Bezahlung für ihren Lehrauftrag."

Kirchen-Sprecher Mathias Benckert sagt: "Es steht zu vermuten, dass es ein informelles Abkommen zwischen Kohl und der Stormarnschule gab." Beate Hinse vom Ministerium sieht es ähnlich: "Das ist nicht auszuschließen: ein informelles Abkommen zwischen Kohl, Stormarnschule und eventuell auch Funktionsträgern der Kirche."

Klarheit in dieses dunkle Kapitel könnte der ehemalige Schulleiter Hans-Christian Frahm bringen, der von 1988 bis 2004 Leiter der Schule war. Er hat auf Anfragen dieser Zeitung bisher nicht reagiert. Das Ministerium will der Sache nun auf den Grund gehen. Beate Hinse: "Ich werde bei der Stormarnschule recherchieren." Ihr Kollege Thomas Schunck sagt: "Es hat sich jetzt erstmals ein potenzielles Opfer gemeldet. Ich gehe davon aus, dass die Stormarnschule die neue Lage zur Kenntnis nimmt und versucht, mit Zeugen und Opfern ins Gespräch zu kommen."

Die Stadt als Schulträger hat sich nach der Berichterstattung dieser Zeitung mit der Leitung der Schule zusammengesetzt. "Wir haben den Eindruck, dass die Schulleitung ihre Verantwortung sehr ernst nimmt", sagt Stadtjustiziar Thomas Reich. Die Verantwortung liege auch eindeutig beim Gymnasium. Ähnlich äußert sich Bürgermeister Michael Sarach: "Wir sind als Schulträger in unserer Handlungsfreiheit begrenzt. Ich habe auch nicht die Absicht, diese Grenzen zu überschreiten." Allerdings gehe es jetzt nicht um Kompetenzgerangel, sondern darum, den Opfern zu helfen und präventiv tätig zu werden.