Rolf-Werner Baak erforscht seit Jahren den Untergang des Luxusliners vor 100 Jahren. Zum Jubiläum präsentiert er neue Erkenntnisse.

Ammersbek. Er ist sich zu 99,9 Prozent sicher, den Übeltäter gefunden zu haben. Anhand von Wetterdaten und einem zufällig wieder aufgetauchten Foto glaubt Rolf-Werner Baak, mit dem Forscherkollegen Henning Pfeiffer einem der berühmtesten Eisberge der Geschichte auf die Spur gekommen zu sein: jenem, mit dem einst das Passagierschiff "Titanic" kollidierte. Das damals größte Schiff der Welt versank keine drei Stunden später im Nordatlantik und rund 1500 Menschen mit ihr.

Wohl um kein Schiffsunglück ranken sich so viele Mythen wie um dieses in der sternenklaren, eiskalten Nacht des 14. April 1912. Verschwörungstheorien, widersprüchliche Zeugenaussagen oder reine Fiktion - noch 100 Jahre nach dem Unglück beschäftigt die Tragödie die Fantasie und die Wissbegierde vieler Menschen.

Einer von ihnen ist Rolf-Werner Baak aus Ammersbek. "Bei einem Bekannten habe ich Anfang der 90er-Jahre den Bericht des Überlebenden Lawrence Beesley in die Hände bekommen", erinnert sich der 63-Jährige. "Es war die amerikanische Erstausgabe vom Juni 1912." Baak leiht sich das Buch aus. Zwar hatte sich der Wetterdiensttechniker und Sohn eines Schiffbauers schon vorher für das Schicksal der "Titanic" interessiert, doch als er den Bericht Beesleys liest, ist es um ihn geschehen. Für Baak ist es der Türöffner ins sagenumwobene Reich des verunglückten Ozeanriesen. "Da schreibt ein gut beobachtender Augenzeuge. Beesley ist kritisch, aber nicht polemisch. Allerdings ist sein Schreibstil für heutige Leser nur schwer verständlich", so Baak. Zu antiquierten Formulierungen des englischen Lehrers kämen noch Bandwurmsätze und die häufig verwendete englische Verlaufsform, so der Ammersbeker.

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Er macht sich daran, die Schilderungen des Überlebenden neu zu übersetzen und zu kommentieren. Dabei hilft ihm, dass er als Wetterdiensttechniker des Hamburger Seewetteramtes auch beruflich regelmäßig mit Englisch zu tun hat. 1995 erscheint die erste Auflage im Köhler-Verlag. Titel: "Tragödie der Titanic". Offenbar findet es in Fachkreisen Beachtung. Denn Günter Bäbler schreibt Baak wenig später einen Brief. Bäbler hatte 1992 den "Titanic"-Verein Schweiz gegründet und lädt Baak nach der Lektüre des Buches ein, dem Klub der Experten beizutreten. Seitdem ist der Ammersbeker bei den Schweizern dabei. "Sie sind in der Forschung sehr präsent und aktiv. Das Leben der Schweizer an Bord der ,Titanic' ist sehr gut erforscht", erläutert Baak. Das liege auch daran, dass das Archivmaterial anders als etwa in Deutschland vollständig erhalten geblieben sei, weil die Schweiz sich nicht an den Weltkriegen beteiligt hat. An der Heckscheibe von Baaks Auto macht ein Aufkleber deutlich, dass der Fahrer Mitglied des Schweizer "Titanic"-Vereins ist.

1997 gibt es einen "Titanic"-Erinnerungsboom. James Cameron verfilmt das Unglück opulent mit Kate Winslet und Leonardo DiCaprio in den Hauptrollen. In der Hamburger Speicherstadt öffnet zudem eine Ausstellung, die Fundstücke vom Wrack zeigt. Eine zweite Auflage von Baaks Buch wird gedruckt. Seit 2010 arbeitet er dann an einer dritten Auflage zum Jubiläum. Dazu will der "Titanic"-Experte den rund 120 Seiten starken Bericht Beesleys um eine umfassende Erläuterung ergänzen. Er wälzt dazu alte Wetteraufzeichnungen aus dem Archiv des Seewetteramtes in Hamburg, liest erneut die Funkprotokolle der "Titanic" mit anderen Schiffen am Tag des Unglückes und zeichnet Reiserouten deutscher Schiffe nach, die zu der Zeit auf dem Atlantik schipperten. "So habe ich die Positionen des Dampfers ,Alster' oder der ,Paula' an den Tagen des Unglücks verfolgt. Sie lagen nur wenige Seemeilen vor der ,Titanic' auf gleichem Kurs", erläutert Baak.

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Er trägt viele Einzelheiten zusammen, die ein schlüssiges Gesamtbild des Unglücks ergeben und ungeklärte Fragen beantworten sollen. "Man kommt dabei schnell vom Hundertsten zum Zehntausendsten", sagt Baak. "Mein Ergänzungsteil wurde mit der Zeit länger und länger", sagt Baak. "Ich bin dann einfach zu spät dran gewesen, als ich Mitte 2011 anfing, mit dem Verlag zu verhandeln." Das habe ihn sehr geärgert, denn der Verlag teilt ihm schließlich mit, dass er das Buch nicht neu auflegen wird. "Meine Frau sagte mir dann, dass es schade wäre, wenn meine ganze Arbeit nicht auch in ein Buch münden würde", sagt Baak. Er findet einen anderen Weg und veröffentlicht den überarbeiteten Bericht Beesleys im Selbstverlag. 2500 Euro kostet ihn das. Baak: "Es ist so kalkuliert, dass ich mehr als 1000 Bücher verkaufen muss, um einen Gewinn zu erwirtschaften." Er ist zuversichtlich, das zu schaffen. Seine eigenen Forschungsergebnisse druckt er selbst auf einem Laserdrucker. Sie können bei Baak über die E-Mail-Adresse 100.titanic@web.de bestellt werden.

Zwar ist seit dem Unglück viel geforscht worden, und seit Millvina Deans Tod 2009 sind sämtliche Überlebenden verstorben, doch ist das Kapitel "Titanic" für Baak und seine Mitstreiter noch lange nicht geschlossen. Baak: "Auch nach 100 Jahren kann man noch Neues ausgraben. Wer weiß, ob nicht auf irgendeinem Dachboden noch alte Aufzeichnungen liegen."

Und was sagt der Experte zu der Cameron-Verfilmung, die jetzt technisch verfeinert in die Kinos kommt? " Der Regisseur hat sich bemüht und vieles gut umgesetzt", urteilt der Ammersbeker. Und dann weist Baak noch auf ein Defizit hin: "Die Szene mit den Seenotraketen ist natürlich unrealistisch. Die sehen da aus wie Silvesterfeuerwerk."