Kirsten Fehrs und Gerhard Ulrich predigen in Ahrensburg zum Thema Missbrauch. Sie sprechen von Fehlern der Kirche und stellen sich der Diskussion.

Ahrensburg. Mit einem beispiellosen Schritt sind die Bischöfe Kirsten Fehrs und Gerhard Ulrich in Ahrensburg auf die Opfer sexuellen Missbrauches zugegangen. In der bis auf den letzten Platz gefüllten Schlosskirche hielten sie am Sonntag eine Predigt zum Thema Missbrauch, in der sie die Opfer um Vergebung baten und Fehler der Kirche einräumten. Es war der erste Besuch einer Bischöfin oder eines Bischofs in Ahrensburg seit Bekanntwerden der Missbrauchsfälle vor zwei Jahren. Eine gemeinsame Predigt von zwei Bischöfen hatte es bisher in Ahrensburg noch gar nicht gegeben.

Gerhard Ulrich, Bischof der Sprengel Schleswig und Holstein, ging bereits vor Beginn der Predigt auf den Anlass des Besuchs ein und fand klare Worte. "Hier und heute geht es um unfassbare menschliche Abgründe. Für das Unrecht, das den Opfern widerfahren ist, bitte ich vor Gott und der Gemeinde um Vergebung."

In ihrer Predigt, die die beiden Geistlichen im Dialog hielten, sprachen sie vom Palmsonntag - jenem Tag, an dem Jesus Christus auf einem Esel nach Jerusalem geritten sein soll. Es ging um das Verstehen der Botschaft des Evangeliums - und dann immer wieder um Verständnis im ganz konkreten Sinne: "Ich verstehe euch, auch wenn ich der Institution angehöre, die so schwerfällig aufklärt", sagte Kirsten Fehrs zu den Menschen, die in den 80er-Jahren Opfer sexueller Gewalt geworden sind und mit denen sie seit einiger Zeit persönliche Gespräche führt.

Dass die Aufklärung dieser Fälle nicht nur schwerfällig abläuft, sondern dass es auch konkrete Fehler und Versäumnisse gegeben hat, sagte Gerhard Ulrich in dem Gemeindegespräch, das sich an die Predigt anschloss: "Es gab nicht zu entschuldigende Versäumnisse, die 1999 in unserer Kirche passiert sind." Er bezog sich damit offenbar auf die Tatsache, dass Mitglieder der Kirchenleitung damals von den Taten des Pastors Dieter Kohl Kenntnis bekommen hatten, die dieser in den 80er-Jahren begangen hatte. Die damalige Pröpstin Heide Emse hatte Kohl aber nur als Gefängnisseelsorger nach Neumünster versetzt. Bis zum Jahr 2003 konnte Kohl noch Religion an der Ahrensburger Stormarnschule unterrichten. Über die damalige Versetzung gibt es zwar einen Eintrag in Kohls kircheninterner Personalakte, allerdings stehe dort nichts über die Umstände der Versetzung, wie Ulrich sagte.

Das Tempo und die Art der Aufklärung der Missbrauchsfälle durch die Kirchenleitung hatte in der Vergangenheit immer wieder für Kritik gesorgt. Der Ahrensburger Pastor Helgo Matthias Haak, der auch am Sonntag auf der Kirchenbank saß, hatte erst vor einer Woche in einer Predigt zuletzt von einem "nordelbischen Aufklärungsskandal" gesprochen. Nun unternimmt die Kirchenleitung offenbar Schritte, um Vertrauen zurückzugewinnen. Darum ging es zum Beginn des Gemeindegespräches, das nicht wie üblich im Gemeindesaal, sondern in der Schlosskirche stattfand.

+++ Bischöfin Fehrs sucht Gespräche und Versöhnung +++

Wie Kirsten Fehrs sagte, soll sich jetzt eine kirchenunabhängige Expertenkommission mit der weiteren Aufarbeitung des Themas beschäftigen. Diese Kommission soll voraussichtlich aus drei Personen, Juristen und Psychologen bestehen. Damit ging die Kirchenleitung auf eine zentrale Forderung des Vereins "Missbrauch in Ahrensburg" ein. Zudem soll es eine neue, kircheninterne Anlaufstelle für Missbrauchsopfer geben, die zusätzlich zu den Ombudsfrauen eingerichtet wird. Weiterhin, so Fehrs, werde es Entschädigungen für die Missbrauchsopfer geben, die individuell und nicht pauschal gestaltet werden sollen.

Dass es trotz dieser Schritte und der klaren Worte, die die Bischöfe jetzt fanden, noch Misstrauen gibt, wurde in der Aussprache deutlich, die der Psychologe Horst Kämpfer moderierte. So etwa Wolfgang Meißner: "Bei mir ist die Tür, an der das Wort Vertrauen steht, ein klein bisschen wieder aufgegangen. Aber ich verstehe es nicht, dass im Falle Kohl Akten verschwunden sind."

Gerhard Ulrich stellte klar, dass diese Akten nicht verschwunden, sondern nie angelegt worden seien. Kirsten Fehrs warb um Verständnis dafür, dass auch die Kirchenleitung nicht zu allem Stellung nehmen könne, da sie schlicht nicht über alles Kenntnis habe. "Wir haben nicht in allen Fällen Akteneinsicht", sagte sie und bezog sich damit offenbar auf die Tatsache, dass der Fall des ehemaligen Pastors Friedrich Hasselmann derzeit vor einem Kirchengericht verhandelt wird. Hasselmann wusste damals von Verfehlungen seines Kollegen Dieter Kohl, ihm droht nun ein Verlust seiner Versorgungsansprüche. Pastor Hasselmann saß während der teils sehr emotionalen Aussprache in der Kirche, ergriff aber nicht das Wort.

Wer wusste wann was? Auch darum ging es immer wieder, in der teils sehr emotional geführten Debatte. "Hätte sich Herr Hasselmann rechtzeitig zu Wort gemeldet, wäre unseren Kindern viel Leid erspart worden", sagte eine Teilnehmerin der Debatte. Von anderer Seite hieß es, es sei "mutig" von Hasselmann, dass er überhaupt erschienen sei. Aber nicht nur Hasselmann, sondern auch noch ganz andere Geistliche hätten von den Missbrauchsfällen wissen müssen, sagte Gemeindemitglied Helga Heidemeier. "Die Witwe des ehemaligen Pastors Feige hat mir gesagt, hinter vorgehaltener Hand habe jeder davon gewusst." Eine Schilderung, der der ehemalige Pastor Host Klingspor vehement entgegen trat. Mit Hans-Peter Hansen meldete sich schließlich der Vater eines Missbrauchsopfer zu Wort. "Ich habe selbst nichts gewusst. Wir, die Gemeinde als Ganzes, sind missbraucht worden", sagte Hansen.

Letztlich, so betonte es auch der Psychologe Horst Kämpfer, steht die Gemeinde noch immer am Anfang eines schwierigen Gesprächs-Prozesses. Kirsten Fehrs und Gerhard Ulrich konnten dafür zumindest einen wichtigen Impuls setzen. "Manchen Missbrauchsopfern haben die Predigt und das Gespräch Kraft gegeben", sagte Anselm Kohn, Vorsitzender des Vereins "Missbrauch in Ahrensburg". Gegenüber dem Abendblatt nahm auch Friedrich Hasselmann Stellung. "Heute war ein Anfang, der tausend Möglichkeiten der Entwicklung in sich hat. Positive und negative." Er selbst sei gesprächsbereit, habe aber während der Aussprache bewusst nicht das Wort ergriffen. "Die Bereitschaft, mich zu hören, ist noch sehr gedrosselt".