Ältere Einwohner berichten im Erzählcafé des Bürgervereins aus der Dorfgeschichte. Die Premiere findet am kommenden Dienstag statt.

Ammersbek. Wer erinnert sich daran, wie nach dem Krieg ostpreußische Flüchtlingsfamilien in den guten Stuben der Bauern einquartiert wurden? Wer weiß, wie die Dosenschokolade der britischen Soldaten schmeckte - und der schwarzgebrannte Schnaps, den man zu den Tanzveranstaltungen im Gasthaus Clasen mitzubringen pflegte? Und wer kennt eigentlich noch Hans - den Dorfpolizisten, der gegen ein paar Fleischwaren ein Auge zudrückte, wenn er mitbekam, dass in einem Haus verbotenerweise ein Schwein geschlachtet wurde?

Gertrud Neumann und Erika Walter gehören zu den Menschen, die sich an Dinge wie diese noch gut erinnern. Damit ihre Eindrücke nicht verloren gehen, sondern - als spannende, traurige, lustige und kuriose Geschichten - an die kommenden Generationen weitergegeben werden können, hat der Bürgerverein Ammersbek das Erzählcafé ins Leben gerufen. Ältere Einwohner berichten bei diesen Treffen von früher und wollen dabei mit Jüngeren ins Gespräch kommen.

Die Veranstaltungen im Dorfgemeinschaftshaus, dem Pferdestall (Am Gutshof 1), sollen jeweils ein bestimmtes Oberthema haben. Den Anfang macht am Dienstag, 28. Februar, der letzte Hoisbütteler Bürgermeister Ewald Schulz. Er wird ab 16 Uhr davon berichten, wie sich Hoisbüttel und Bünningstedt 1978 zu Ammersbek zusammenschlossen. Und auch davon, warum noch heute der eine oder andere seine ganz spezielle Hoisbütteler oder Bünningstedter Identität pflegt. Bei einem der folgenden Treffen soll dann ein Polizist Erlebnisse aus früheren Dienstjahren schildern.

Peter Weiß hat den Stein ins Rollen gebracht. "Ich habe im hessischen Hanau von so einem Erzählcafé gehört. Da dachte ich, das ist doch auch eine gute Idee für Ammersbek", so Weiß, der auch von 1982 bis 2010 Gemeindevertreter war. Federführend bei der Organisation ist auch Dirk Ibbeken, der die Zeitung des Bürgervereins leitet. Dort erscheinen seit vergangenem Jahr Artikel, in denen Ammersbeker aus der Vergangenheit berichten.

In den Erzählcafés wollen auch Gertrud Neumann und Erika Walter aus vergangenen Zeiten berichten. Beide Rentnerinnen leben seit ihrer Kindheit in der Gemeinde. "Ich bin im September 1932 mit meinen Eltern und meinem Bruder aus Hamburg-Wandsbek nach Hoisbüttel gezogen. Damals war ich acht Jahre alt", sagt Erika Walter. Die Eltern hatten ein Grundstück von einem Bauern gekauft, für zwei Reichsmark pro Quadratmeter. Auf dem Grundstück an der Hamburger Straße, die damals mit Kopfsteinen gepflastert war, lebt Erika Walter noch heute. Doch der Ort um sie herum hat sich stark verändert.

"Hoisbüttel war damals ein reines Bauerndorf mit 25 Höfen. Außerdem gab es noch die Hoisbütteler Mühle, einen Schmied und einen Stellmacher, der zum Beispiel Wagenräder herstellte. Auf dem Hof nebenan habe ich als Kind viel Zeit verbracht. Das war einfach herrlich", sagt die 87-Jährige. Als ehemalige Wandsbekerin ging sie aber nicht in die Dorfschule, die sich damals am Alten Schulweg befand, sondern in die Ohlstedter Schule. Jeden Morgen fuhr sie mit dem Rad durch die Felder. Die Machtergreifung der Nationalsozialisten, ein Jahr nach ihrem Umzug nach Hoisbüttel, veränderte auch den Schulalltag: "Jeden Morgen wurde die Hakenkreuzflagge gehisst. Und der Schuldirektor trug eine SA-Uniform."

Das sogenannte Landjahr wurde für alle Schüler zur Pflicht. Erika Walter konnte das Jahr auf dem Hof nebenan ableisten. An die Zeit hat sie gute Erinnerungen: "Wir haben zu zweit Kühe gemolken, manchmal 25 am Stück. Ich hatte auch eine Lieblingskuh, sie hieß Ulrike." Erika Walters Bruder Günter hingegen musste in den Krieg - er kehrte nicht zurück.

In jener Zeit wuchs das einst 500 Einwohner zählende Hoisbüttel schnell. Der Grund waren die sogenannten "Butenhamburger" - jene Einwohner der Hansestadt, die sich vor den Bombenangriffen der Alliierten in Sicherheit bringen wollten. Zu dieser Gruppe gehörte auch Gertrud Neumann: "Meine Mutter, meine Brüder und ich sind 1943 in Barmbek ausgebombt worden."

Sie war damals vier Jahre alt. Die Familie zog zu den Großeltern, nach Hoisbüttel. Doch Fliegeralarm gab es auch auf dem Land. "Ich erinnere mich, dass wir sehr oft in den Luftschutzkeller mussten. Eigentlich war es nur der Keller des Hauses am Schübargredder, dessen Fenster mit Holzbrettern gesichert waren. Unten standen Regale mit Einmachgläsern", sagt Gertrud Neumann. Die Situation fand sie als Kind nicht bedrohlich - eher im Gegenteil: "Es war urgemütlich, weil wir immer als Familie beisammensaßen."

Detaillierte Erinnerungen an die Kriegsjahre hat sie viele: "Ich weiß noch, wie in den letzten Wochen ein englischer Fallschirmspringer auf einer Wiese landete. Wir Kinder sind sofort hingerannt. Da lag er dann - ein Mann mit weißem Anzug und einer weißen Kappe auf dem Kopf. Er lebte noch. Die Polizei kam, lud ihn in ein großes Auto und nahm den Fallschirm mit, das sehe ich noch wie heute vor mir. Ich habe nie erfahren, was aus dem Mann geworden ist", sagt sie.

Es folgten Jahre, in denen viele Flüchtlinge aus Ostpreußen ins Dorf kamen, die Kinder Kartoffeln auf den Feldern der Bauern ausbuddelten und mit kalten Wintern, in denen man keine Schuhe besaß. Doch schon bald zog der Wohlstand ein. So wurde 1962 das 700-jährige Bestehen des Dorfes mit einem "riesigen" Festumzug gefeiert, wie Gertrud Neumann erzählt. Unter anderem die Krämerläden statteten den Umzug aus - Geschäfte, deren Verschwinden Gertrud Neumann bedauert. 1962 war auch das Jahr, in dem Peter Weiß als 19-Jähriger im Hamburger Stadtteil Berne mit seiner Skiffle-Band übt. Auch im berühmten Star Club auf St.-Pauli schaut er vorbei und bewundert die Verstärker der dort spielenden Gruppen. Hoisbüttel, das ist für ihn damals noch "das Ende der Welt".

21 Jahre später trägt er selbst zur Verschönerung dieses gar nicht mehr so entlegenen Ortes bei. Peter Weiß ist kurz zuvor in den neuen Ort Ammersbek gezogen und frisch gewähltes Mitglied des Gemeinderats. Eine wichtige Entscheidung steht 1983 an: Es geht um die Sanierung as ehemaligen Gutshauses mitsamt eines "völlig verfallenen Pferdestalls", wie Weiß sagt. Die Politiker können sich schließlich zu der kostspieligen Investition durchringen, und so entsteht das neue Gemeindezentrum in den renovierten Räumen.

Der lange Weg zu dessen Fertigstellung wird noch Thema eines eigenen Erzählcafés sein. Und gäbe es einen besseren Ort für dieses Treffen als jenen ehemaligen Stall, in dem einst herrenlose Pflüge und Eggen herumstanden - und der heute das beliebte Dorfgemeinschaftshaus ist?