Der Ahrensburger Maler Soner Bulut zeigt mit seinen 30 Jahren schon eine Retrospektive. “2001 - 2011“ heißt die Ausstellung im Marstall.

Ahrensburg. Er kann's. Ein paar Pinselstriche im Stile eines jungen Ahrensburger Picassos. Und fertig ist das Angesicht. Überall in Ahrensburg ist diese aus Tusche geschaffene Schöne zu sehen und verspricht mit Sphinx-Blick und kaum merklichem Lächeln ein Rendezvous im Marstall. Unverkennbar eine Zeichnung von Soner Bulut. Sie hat was. Und ihr Schöpfer hat noch mehr zu bieten. Wer der Einladung der Tusche-Frau folgt und heute um 19 Uhr zur Vernissage in den Ahrensburger Marstall kommt, könnte ein Lied anstimmen: Girls, Girls, Girls.

Sexy sind sie nicht. Sie flirten auch nicht mit dem Betrachter. Sie sind von einer eigenwilligen Schönheit. Manche scheu. Mit ernstem Gesicht. Voller Liebreiz. Manche sehr offenherzig im Zeigen ihrer Reize. Aggressiv. Direkt. Und doch ist eine Aura um sie, die sie vom Betrachter trennt. Sie sind sich selbst genug. Der Künstler und seine Geschöpfe buhlen nicht um Gunst. Sie fordern heraus.

"Einfach irgendetwas zu machen, das reicht nicht. Man muss mit Seele arbeiten", sagt der Ahrensburger Künstler und schaut auf seine "Eva", die er 2005 in Öl geschaffen hat, auf großer Leinwand, aber auch mit einem großen rechten Fuß - dem " Pferdefuß", der das Paradies verheißenden und zerstörenden Eva mit dem Apfel.

Auf einer Keramik aus weißem Ton hat Bulut mit zart-grüner Unterglasurfarbe eine junge Frau hingehaucht. Eine Blume in der Hand, scheint sie mit gesenktem Kopf und voller Demut das Wunder der Natur wissend zu bestaunen. Eine "Mutter mit Kind" hält einen Knaben auf dem Arm, sich ihrer Weiblichkeit bewusst - ein Linolschnitt, der weniger eine Frau mit Kind als eine Madonna zeigt, in sich ruhend, nichts suchend, stark.

Ein Gesicht in unzähligen Variationen, seine Frau hat ihn inspiriert

Es sind lauter Evas und Marias, die von den Marstallwänden auf die Besucher schauen. Und alle mit einem ähnlichen Blick, der gleichen klassischen Linie. Ist es etwa immer dieselbe Frau in unzähligen Variationen? "Natürlich hat mich meine Frau inspiriert", sagt Soner Bulut beiläufig, so selbstverständlich ist das für ihn. Die ganze Ausstellung eine einzige Liebeserklärung?

Beim zweiten Blick lassen sich auch Züge des Malers selbst in die Gesichter hineinlesen. Überwiegt das Zweideutige, heißt das Bild "Visage". Nicht Mann. Nicht Frau. Nur "Gesicht". Die Geschlechter sind hier so nahe, dass Unterschiede verschwimmen. Und es gibt mehr Nähe. "Das junge Paar" wird gezeigt, "Eva und Adam" und "Der Kuss".

Und dann ist da eine naive Landschaft mit Sonnenschirm, Strand und Meer. "Ein freier Tag" heißt die Szene aus dem Jahr 2001. Zehn Jahre später kommt das Meer 16-fach herangerollt, als eine Art Collagen-Aquarell in allen Blautönen und lichtdurchflutet. Die Ausstellung eine einzige große Liebeserklärung? Mit Sicherheit an das Leben als freischaffender Künstler, der mit Lust und Seele sich und die Welt ständig neu erfinden will.

"Stimmt", sagt Soner Bulut und schaut sich um. Als wenn er erst jetzt merken würde, dass er in den vergangenen zehn Jahren so viele Frauen gemalt hat. Sie müssen ihm wichtig sein. "Klar. Das Thema Sexualität spielt im Schaffen eines Künstlers eine Rolle", sagt der junge Mann. Und nicht alles, was er dazu zu sagen hat, ist dezent und geheimnisvoll. Auch wuchtige Frauenkörper hat Soner Bulut gemalt, opulent in Öl. Mit endlosen Beinen, voluminösen Oberkörpern, verzerrten Brüsten, fast unverhüllter Scham und ganz kleinen Köpfen. Als Triptychon hängen sie an den Marstallwänden.

Es ist nur äußerlich eine Anlehnung an Altarbilder, an das Spirituelle. Das Madonnenhafte ist verschwunden. Hier ist die Frau reduziert auf Geschlechtlichkeit, eher abstoßend als anziehend. 2004 hatte Bulut sie in der Ahrensburger Galerie ausgestellt und auch Kritik einstecken müssen. Aber ob diese Frauen schön sind, interessiert ihn nicht. Auch nicht, ob sie dem Betrachter gefallen oder ihn ärgern. "Es geht mir nicht darum anzuecken, ich will nicht provozieren", sagt Bulut und schaut auf die überlebensgroßen Frauenleiber, die möglicherweise im kreativen Prozess ein Eigenleben entwickelt und dem Meister keine Wahl gelassen haben.

Bulut probiert aus, er entdeckt, er schöpft - und das aus dem Vollen. 100 Arbeiten stellt der Ahrensburger aus, der mit seinen 30 Jahren schon eine Retrospektive über das vergangene Jahrzehnt zeigt und damit sein Werk keineswegs ausschöpft. Im Gegenteil, er musste sich bremsen, dieser junge Wilde. 1000 Arbeiten hat er in einem Lager in Hoisdorf verwahrt. Bulut: "Das war nicht leicht, aus dieser Menge auszuwählen." Es ist ihm gelungen.

Die Ausstellung bietet eine unglaubliche Vielfalt an Techniken: Tusche und Buntstift, Kohle und Bleistift, Radierung und Linolschnitt, Öl und Acryl, Collagen und Keramiken - das alles auch im kreativen Mix - und mit einem großen Frauenkopf aus Gips sogar eine Plastik. Auch inhaltlich herrscht Reichtum. Das dominierende Frauenmotiv ist leitmotivisch verwendet, zu Themengruppen geordnet und durch weitere Themen ergänzt.

So gehören zu den Riesenkörpern der kubistisch verzerrten Badenden ebensolche Badelandschaften. Junge Männer gesellen sich dazu und bilden als Denker oder einfach nur mit einem Hut auf dem Kopf den Gegenpart zur holden Weiblichkeit. Dazu kommen Stillleben und Stadtansichten. Selbst das Ahrensburger Schloss ist zu sehen, wenn auch nicht mehr zu haben. Es ist schon verkauft und hängt hier als Leihgabe - von der Besitzerin hoch versichert. "Die Kaufsumme war viel niedriger", sagt Bulut. Sein Marktwert ist gestiegen, fünf weitere Bilder der Ausstellung sind bereits in Privatbesitz.

So unbändig Soner Bulut im Schaffen ist, so bedingungslos und leidenschaftlich ist er in der Vorbereitung seiner Ausstellung. Er hat ein Modell vom Ausstellungsraum gebaut und sämtliche Exponate en miniature als Magnetbilder angefertigt. So konnte er das Raumkonzept entwickeln, bis es passte. "Das hat schon ein paar Stunden Arbeit gekostet, aber zum Glück habe ich ein Team", sagt Bulut. Olaf Sudmann hat die 100 Bilder akkurat an die Wände gehängt. Ein anderer aus dem Team fand, dass die Stellwände nicht weiß genug waren und hat sie schnell neu gestrichen. Und eine zusätzliche Stellwand wurde im Team auch noch gebaut. "Sonst hätte die Ausstellungsfläche nicht gereicht", sagt der Künstler, der sich auch beim Katalog ausgetobt hat. Wenn schon, dann richtig, hat er sich gesagt. Herausgekommen ist ein Edel-Exemplar in Fünfer-Auflage, für 225 Euro - das Stück. "Das ist mir egal. Ich habe den für mich gemacht. Ich will den haben, als Dokumentation."

Bürgermeister Michael Sarach hat schon ein Bild des Künstlers gekauft

Wer Soner Bulut dennoch mit nach Hause nehmen möchte, kann Plakate und Postkarten erwerben. Die Keramiken, die Bulut Steinaquarelle nennt, und seine Bilder kosten mehr. Bürgermeister Michael Sarach hat bereits in die Tasche gegriffen und eine "Junge Frau und Kater" als Linolschnitt vom Ahrensburger Atelierbesuch nach Schwerin mitgebracht. Auch der Kater ist so ein Leitmotiv. Immer wieder schleicht er sich ein, als Begleiter einer jungen Frau. "Keine Ahnung, woher das kommt", sagt Bulut. Vielleicht können die Besucher das aufklären.

In einer Hamburger Ausstellung hatte Bulut eine neunteilige Bilderreihe unter dem Titel "Die junge Frau, der Kater und der Rest des Dorfes" gezeigt. Die Besucher sollten die Menschen auf den Bildern zueinander in Beziehung setzen. Wer könnte ineinander verliebt sein? Wer ist der Nachbar? "Das ergab eine spannende Diskussion", sagt Bulut und fügt hinzu: "Nur Bilder an die Wand zu hängen, ist mir zu langweilig." Auch für Ahrensburg hat er sich etwas ausgedacht. Was, verrät er nicht. Klar ist hingegen, dass nach einer Woche Schluss ist. Die Leute kauften keine Kataloge und kämen hauptsächlich zur Vernissage. Warum also wochenlange Ausstellungen. Auch in diesem Punkt ist der junge Wilde kompromisslos.