Früher war alles besser? Professor Hans-Werner Prahl erklärt in Ahrensburg, warum er sich über die Zukunft der Gesellschaft nicht sorgt.

Ahrensburg. Früher war alles besser. Das ist ein Satz, den Hans-Werner Prahl immer wieder zu hören bekommt, aber überhaupt nicht leiden kann. "Das stimmt einfach nicht", sagt der 67-Jährige und hat auch sofort ein Beispiel für seine Aussage parat: den Ersten und Zweiten Weltkrieg. Prahl ist Professor für Soziologie am Institut für Pädagogik der Universität Kiel und kommt heute Abend in die Schlosskirche nach Ahrensburg, um sich bei einem Vortrag mit den Themen Wertewandel, Werteverlust und Wertevakuum zu beschäftigen.

Vor allem ältere Menschen würden sich über diese drei Aspekte beklagen, jedoch zu Unrecht, meint der Professor. "Ich mache mir keine Sorgen um die Jugendlichen", sagt er. "Sie haben ihre Werte nicht verloren. Junge Menschen wollen nach wie vor Dinge wie Treue, eine Familie und ein Haus." Der Soziologe muss es eigentlich wissen, denn er hat an der Universität seit 40 Jahren täglich mit vielen jungen Studenten zu tun. "Sie sind für mich ein guter Indikator für die Entwicklung", sagt Prahl, der nur Positives zu berichten hat. Dank ihrer Auslandsaufenthalte seien die heutigen Studenten sehr viel welterfahrener und entgegen ihres Rufs alles andere als schlecht. Generell hätten sich die jungen Leute in den vergangenen Jahrzehnten nicht besonders viel verändert - und wenn, dann nur zum Positiven.

Dass sich viele Menschen dennoch über die Jugend aufregen würden, habe mit Empfindlichkeiten zu tun. "Die Strukturen haben sich geändert, beispielsweise in der Arbeitswelt und beim Bildungssystem. Damit kommen insbesondere die Älteren nicht klar", sagt er. "Deshalb fangen sie an, zu jammern. Das ist ein gefühlter Wertewandel." Das sei jedoch kein neues Phänomen. Prahl: "Die Älteren haben sich schon immer über die Jüngeren beklagt."

So hätten sich die alten Philosophen bereits vor 2500 Jahren in ihren Texten darüber beschwert, dass die jungen Leute keine Manieren mehr hätten und zum Beispiel nicht mehr grüßen würden. "Das liest sich so, als ob es heute geschrieben worden wäre", sagt der Professor. Dass die Klagen den Menschen immer zahlreicher und lauter vorkämen, habe nur damit zu tun, dass die Gesellschaft zunehmend älter werde und es daher mehr Personen gebe, die sich beschwerten.

Was sich verändert habe, seien nicht die Werte, sondern die Normen. "Wir können heute über viele Dinge leichter reden als vor 60 oder 70 Jahren", sagt Hans-Werner Prahl. Früher habe sich zum Beispiel niemand getraut, zu sagen, dass er keine Lust auf Arbeit habe, selbst wenn es so war. Heute seien solche Aussagen dagegen ganz normal. Sie würden jedoch dazu führen, dass sich in den Köpfen einiger Menschen festsetze, die heutige Jugend habe keine Lust auf Arbeit.

Zudem gebe es keine Pflichtwerte mehr, sondern nur noch Akzeptanzwerte. "Früher haben Instanzen wie die Familie und die Kirche die Werte vorgegeben, und die Menschen musste sich daran halten", sagt der Soziologe. "Heute handelt sie jeder für sich selbst aus." So würden die Jugendlichen zum Beispiel erst einmal austesten, ob Treue etwas für sie sei und sich dann, wenn sie die Frage für sich bejaht hätten, daran halten. Prahl: "Das bedeutet aber nicht, dass die Werte an Bedeutung verlieren."

Ein Wandel lasse sich lediglich von materiellen zu postmateriellen Werten erkennen. So sei es den Menschen wichtiger, sich selbst zu entfalten als Geld zu verdienen und eine sichere Rente zu haben. "Ich kenne zum Beispiel einige Ärzte, die nur noch zweieinhalb Tage in der Woche arbeiten, um mehr Zeit für Hobbys zu haben", sagt er. Etwas Schlechtes könne er daran allerdings nicht feststellen. Prahl: "Das ist doch eine positive Entwicklung."

Deshalb bewertet Prahl die Klagen der Menschen auch mehr als Ausreden. "Lehrer sagen zum Beispiel, die Schüler hätten sich so verändert, dass sie nichts mehr mit ihnen machen können", sagt Prahl. "Das stimmt nur nicht. Viele Menschen sehen die Welt mit Scheuklappen. Ich will ihnen klarmachen, dass sie sich auch mal an ihre eigene Nasen fassen sollten."

Kritisch sieht er nur die Entwicklung der Medien. "Sie sind auf ein schnelles Umschalten und schnelles Vergessen eingerichtet und sorgen dadurch für ein anderes Verhältnis der Menschen zur Zeit", sagt der Soziologe. Die Geschwindigkeit werde immer mehr zum Markenzeichen. Die Menschen würden sich daran messen, wer das schnellere Auto hat oder die kürzere Flugzeit nach Teneriffa. "Dabei haben wir doch gar nichts davon", sagt Prahl. "Ob ein Auto 280 Kilometer pro Stunde fahren kann, was auf unseren Autobahnen eh nicht möglich ist, oder ob wir 20 Minuten eher auf Teneriffa sind, ist letztendlich doch egal."

Bereits in der Kita würden Kinder gehänselt werden, die langsamer ihre Aufgaben erledigten als die anderen. An der Supermarktkasse oder an der Ampel würden wiederum Ältere als störend empfunden werden, weil sie ihre Sachen nicht so schnell zusammenpacken oder die Fahrbahn nicht so schnell überqueren könnten.

Kommunikation an der Supermarktkasse sei kaum noch möglich. Dinge müssten gleichzeitig erledigt werden, Multitasking werde immer wichtiger. Hans-Werner Prahl warnt vor dieser Entwicklung. "Wir sind nicht für so viel Tempo gemacht", sagt er. "Die Geschwindigkeit überfordert uns. Irgendwann wird die Folge dieser Entwicklung sein, dass es ganz viele Fälle für den Psychiater gibt."

Ein weiteres Problem sei das Thema Erreichbarkeit. "Wir haben das Gefühl, jederzeit erreichbar sein zu müssen", sagt der Professor. E-Mails müssten schon nach wenigen Minuten beantwortet werden, das Handy müsse jederzeit eingeschaltet und in Griffnähe sein. "Daraus wird ein Zwang", sagt Hans-Werner Prahl. "Wer sein Handy mal aus hatte, muss sich entschuldigen. Und wer sich verweigert, ist ein Tölpel." Viele Burnout-Probleme würden dieser Tatsache geschuldet sein.

War also früher doch alles besser? Hans-Werner Prahl ist davon überzeugt, dass dem nicht so ist. Dennoch wird er die Frage vielleicht auch heute Abend gestellt bekommen. Dann wird er mit den Menschen diskutieren und versuchen, sie mit seinen Argumenten davon zu überzeugen, dass sie sich irren. Der Professor sagt: "Bei den meisten gelingt mir das auch, aber nicht bei allen."