Wissenschaftler streiten, ob Neutrinos schneller fliegen können, als es Einstein erlaubt. Die Grundfesten der Physik stehen in Frage.

Noch bevor die Forscher im Schweizer Forschungszentrum Cern den Schritt an die Öffentlichkeit wagten, überschlugen sich in die Meldungen: Teilchenphysiker hätten Hinweise auf überlichtschnelle Neutrinos gefunden. Die Veröffentlichung des Versuches, die vorsichtiger formuliert war, trug kaum zur Beruhigung bei. Allen war klar: Teilchen, die sich schneller als Licht bewegen, darf es nicht geben. Sie widersprechen der speziellen Relativitätstheorie Einsteins und damit einem Grundpfeiler der modernen Physik.

Doch was sind Neutrinos? Woher kommen sie? Und was macht sie so interessant? In den 20er-Jahren wagten Wissenschaftler erste Experimente mit der Kernphysik. Bei Versuchen mit dem radioaktiven Beta-Zerfall, bei dem - wie man heute weiß - ein Neutron in ein Proton, ein Elektron und "Anti-Elektron-Neutrino" zerfällt, fanden die Forscher ein Problem: Bei dem Zerfall ging Energie verloren. Wo war diese Energie? Jahrelang suchten sie nach Lösungen, diskutierten, prüften und wiederholten die Versuche. War der Energieerhaltungssatz bei Kernreaktionen kein Naturgesetz mehr?

Nein. Denn 1930 kam Wolfgang Pauli auf die Idee, dass es Teilchen geben könnte, die die fehlende Energie wegtragen und die die Detektoren der Zeit nicht entdecken konnten. Er hatte eine Theorie entwickelt von einem Etwas, welches er nicht sehen, fühlen, messen oder beweisen konnte. Pauli bekannte in einem Brief: "Ich habe etwas Schreckliches getan: Ich habe ein Teilchen vorausgesagt, das nicht nachgewiesen werden kann." Schließlich gelang es Frederick Reines und Clyde Cowan, 1956 an einem Reaktor in den USA Neutrinos nachzuweisen. Reines erhielt dafür den Nobelpreis.

Im Versuch von Schweizer Forschern waren Neutrinos schneller als Licht

Nach der Theorie Paulis gehorcht das Neutrino fast nur der schwachen Wechselwirkung, der kleinsten unter den vier Wechselwirkungen (Gravitation, elektromagnetische, starke und schwache Wechselwirkung). Das hieße, dass Neutrinos durch das gesamte Universum fliegen können, ohne dass sie von irgendetwas beeinflusst werden. Man hatte sich überlegt, man könne doch die Neutrinos, die theoretisch in der Sonne durch Kernfusionen entstehen, einfangen. Genau das wurde mithilfe von großen Wasserbehältern, die in 100 Metern Tiefe aufgebaut wurden, gemacht. In diesen Behältern konnte man wenige der Teilchen registrieren, jedoch nur die "Ausreißer". So war es den Wissenschaftlern gelungen, die Fusion von Wasserstoff- und Heliumatomen in der Sonne nachzuweisen.

Heute wissen wir mehr über Neutrinos, und doch sind sie eigenartig, fast absurd, wenn man bedenkt, dass auch durch diesen Artikel, durch Ihren Körper, sogar durch diesen i-Punkt, Millionen und Milliarden Neutrinos schießen, ohne dass wir es merken. Und anscheinend schießen sie unglaublich schnell. Denn das Opera-Experiment, das von der Institution des Teilchenbeschleunigers Cern durchgeführt wurde, hat ergeben, dass Neutrinos, wenn man ihnen genug Energie gibt, schneller als das Licht sein können. In dem Versuch haben die Forscher Neutrinos von Genf (Schweiz) nach Gran Sasso (Italien) geschickt und mithilfe von Atomuhren und Satelliten deren Geschwindigkeit genau gemessen. Das Ergebnis war, dass diese Neutrinos circa 60 Nanosekunden schneller als das Licht waren.

Aber so schnell lassen Wissenschaftler den Glauben an die spezielle Relativitätstheorie Einsteins, die sich schon so oft als richtig erwiesen hat, natürlich nicht fallen. Und so suchen sie fieberhaft nach Fehlern oder Erklärungen, die diesen Paukenschlag erklären oder widerlegen können.