Sechs Kinder in einem Haus: Das lehrt soziales Verhalten

6 Uhr morgens: Mein Vater steht auf und weckt uns. 6.30 Uhr: Mein Vater fängt an, die Brotdosen fertigzumachen. 7 Uhr: Ab zur Schule. Warum er so lange braucht? Weil wir einfach viele Kinder sind. Insgesamt sechs. Das allein hört sich ungewöhnlich an zur heutigen Zeit, aber ich habe keine fünf Geschwister. Genau genommen sind nur zwei von den fünf meine Geschwister. Meine Eltern sind Sozialpädagogen und nehmen Pflegekinder auf. Kinder, die aus unterschiedlichsten Gründen aus ihren Familien genommen werden und zunächst in ein Heim kommen, landen im besten Fall bei einer Pflegefamilie. Dort wird ihnen gezeigt, wie man in einer richtigen Familie lebt und sich verhält.

Dabei treffen sie sich meistens alle zwei Wochen mit ihren Eltern oder einem Elternteil, um den Kontakt aufrechtzuerhalten. Aber nur, wenn die Kinder es wollen. Nach zwei Jahren wird geprüft, inwieweit eine Unterbringung in unserer Familie noch notwendig ist oder was es für Alternativen gibt. Gegebenenfalls wird eine andere Art der Unterbringung (Wohngruppe, Kinderheim) gemeinsam überlegt.

Wir sind eine "HZE-Familie" (Hilfe zur Erziehung). Bei einer Pflegefamilie bleiben die Kinder dagegen meist, bis sie 18 sind und ein selbstständiges Leben führen können. Insgesamt lebten bei uns, die aktuellen eingeschlossen, sechs HZE-Kinder. Sie alle kommen aus schwierigen familiären Verhältnissen. Sie haben viel erlebt und müssen einiges verarbeiten. Diese Kinder sind meist in ihrer sozialen und emotionalen Entwicklung zurück.

Diese Arbeit hat natürlich viele Vorteile für uns als Familie. Als Erstes sind unsere Eltern immer da, müssen nicht zu irgendwelchen Arbeitsplätzen fahren. Es sind viele Kinder da, was unser Haus belebt und dazu führt, dass man immer jemanden zum Spielen hat. Aber es gibt auch Nachteile. Die Kinder haben schreckliche Sachen erlebt und mit angesehen. Sie können sich nur so verhalten, wie ihr Entwicklungsstand es zulässt. Bei Gefahrensituationen oder Situationen, die den traumatischen Erlebnissen ähnlich sind, fällt das Kind in das übliche Schema zurück. Das kann sehr anstrengend werden, vor allem bei kleinen Kindern. Außerdem müssen meine Geschwister und ich auch mit teilweise heftigen Schicksalen zurechtkommen. Wir sind oft in schlimme Gegenden Hamburgs gefahren und haben dort Sachen gesehen, die man sonst nicht so zu sehen bekommt.

Uns wird dadurch immer klar, dass wir uns glücklich schätzen können, gleich in so eine schöne Familie geboren geworden zu sein. Toleranz steht bei uns an erster Stelle. Kein Mensch kann etwas dafür, wo er geboren und erzogen wurde. Toleranz ist wichtig, um im Leben klarzukommen.

Uns wurde früh beigebracht, Streitigkeiten zu vermeiden oder sie fair für alle zu schlichten. Vom Sozialen her lernt man alles praktisch von alleine, weil man sonst in so einem Haushalt nicht leben könnte. Ich bin sehr stolz auf meine Eltern, dass sie diesen Job machen, den nicht viele machen wollen. Durch ihr Engagement wird Kindern geholfen, und wir können dazu beitragen. Das gibt einem ein schönes Gefühl und die Sicherheit, auch später tolerant und vorurteilsfrei zu handeln.