In seiner Heimat wurde Familienvater Lueey F. bedroht, eingesperrt und misshandelt. Die Familie hat sich eine neue Existenz aufbauen können. Doch die Angst, irgendwann in die Heimat zurück zu müssen, bleibt.

Stormarn. Vier Tage lang hatte Lueey F. (Name geändert) in seiner Bäckerei in Bagdad Zutaten abgemessen, Teig gerührt und die Torten kunstvoll verziert. "Für eine Feier mit 1000 Gästen", sagt er. Am 7. April 1997 waren die Torten fertig. An dieses Datum erinnert sich der Iraker F. noch genau. Denn was wie eine berufliche Chance aussah, zwang ihn wenig später dazu, aus seinem Heimatland zu flüchten. Der Auftrag war von Vertretern des irakischen Regimes unter Saddam Hussein gekommen. Desselben Regimes, das den Christen neun Jahre zuvor gezwungen hatte, seinen Konditorladen zu schließen. Seitdem fuhr er Taxi.

Als die Tortenbestellung eingegangen war, dachte Lueey F.: "Endlich kann ich wieder arbeiten." Er bekam eine schriftliche Erlaubnis, seinen Laden wieder zu öffnen. Für seine Arbeit sollte der Konditor 6000 Dollar bekommen. Doch niemand holte die Torten ab. Stattdessen kam die Polizei. "Sie haben mich zusammengeschlagen, meine Zähne waren ganz kaputt." Sie hätten ihm gedroht: "Wenn du deinen Laden nicht wieder schließt, machen wir dich und deine Familie kaputt."

Heute sitzt Lueey F., ein kräftiger Mann in einem sportlichen Hemd, auf einem großen Sofa in einer kleinen Drei-Zimmer-Wohnung in Stormarn. Seine Frau bietet irakisches Gebäck und Tee an, die beiden kleineren der vier Kinder kichern über Zeichentrickfiguren im Fernsehen. Hier ist die Familie angekommen, nach einer Odyssee durch mehrere Länder, per Bus, Zug, Flugzeug und zu Fuß. Bis ihnen in Deutschland Asyl gewährt wurde. Der heute 40-Jährige möchte seinen Namen nicht in der Zeitung sehen. Zu groß ist die Angst, wieder Schwierigkeiten zu bekommen. Wieder nicht das erhoffte Ziel, ein Zuhause für seine Familie, zu erreichen. Wieder enttäuscht zu werden.

Aber er erzählt seine Geschichte. Zuerst zögerlich. Dann taucht er wieder ganz ein in die Erinnerung, und die Worte sprudeln nur so aus ihm heraus.

Damals, vor 13 Jahren, wenige Tage nach dem geplatzten Auftrag, feiert die Familie gerade den dritten Geburtstag der ältesten Tochter, als bewaffnete Männer den Vater abholen. "Sie haben mich in ein Gefängnis für politische Gefangene gebracht", erzählt er. "Mein Auftraggeber, der mit dem Regime und der Polizei zusammenarbeitete, wollte nicht für die Torten zahlen." Sechs Monate wird er misshandelt und täglich aufgefordert, sich schuldig zu bekennen. "Ich sollte sagen, ich hätte das Geld bekommen und die Arbeitserlaubnis gefälscht." Er weigert sich. "Dafür wäre ich für sieben oder acht Jahre ins Gefängnis gegangen."

Lueey F. ist wütend über das, was ihm angetan wurde, aber er wirkt nicht verbittert. Aus seinen lebhaften Erzählungen wird deutlich: Aufgeben und stehen bleiben ist für ihn keine Lösung. Lieber macht er einen Schritt in irgendeine Richtung - selbst auf die Gefahr hin, dass es die falsche sein könnte.

Nach einem halben Jahr fordern die Männer im Gefängnis Geld von ihm. "12 000 Dollar sollte ich zahlen - und dann das Land verlassen." Es bleibt ihm eine Woche, um abzureisen. "Mein Laden war leer geräumt, meine Wohnung durchsucht, an die Tür hatten sie ein rotes Kreuz gemalt." Ein Zeichen, dass dort ein Christ wohnt. Lueey F. versteht: Es geht nicht mehr um Geld oder eine Arbeitserlaubnis, es geht um sein Leben. Mit falschen Pässen in der Tasche flieht das Paar mit den zwei Töchtern nach Jordanien. Es ist der Anfang einer jahrelangen Flucht durch den Nahen Osten.

Immer wieder gibt es Hoffnungsschimmer. "Wir wollten mit einem Schiff nach Italien", sagt Lueey F. Der Schlepper verlangt 2000 Dollar pro Erwachsenen, 1000 Dollar für jedes Kind. Lueey F. ist vorsichtig, aber nicht vorsichtig genug. Der Schlepper kassiert das Geld und liefert die Familie an die Polizei aus. Wieder landet Lueey F. im Gefängnis, diesmal im Libanon. Nach 40 Tagen werden ihm Job und Wohnung angeboten. Als Gegenleitung soll er im Irak spionieren. "Das konnte ich nicht, das sind meine Leute, meine Heimat."

Lueey F.s Reisen führen ihn kreuz und quer durch den Nahen Osten. Er möchte die genauen Stationen nicht nennen. Da ist sie wieder, die Angst, dass Rückschlüsse auf seine Identität möglich werden. Eines Tages passiert es also, dass die Familie hoffnungsfroh in ein Flugzeug steigt - und nach der Landung sofort zurück fliegen muss. Kein Land will die irakischen Flüchtlinge. Sie stranden auf einem Flughafen. "Wir steckten im Transitbereich fest - wie in diesem Film mit Tom Hanks." Sie geben sich als staatenlos aus. Sonst wäre die Reise direkt zurück in den Irak gegangen. Die Zeit auf dem Flughafen ist nervenaufreibend. Nicht eine Nacht habe er geschlafen, aus Furcht um seine Frau und seine Töchter, die schutzlos auf dem Boden schliefen, sagt der Familienvater. Verzweifelt ruft Lueey F. die Hotline einer Zeitung an, will seine Geschichte erzählen. "Ich habe den Journalisten schon durch die Glastür gesehen, aber die Polizei hat ihn nicht durchgelassen."

Mithilfe der UN darf die Familie den Flughafen schließlich verlassen. Lueey F. wagt kaum mehr, auf ein glückliches Ende zu hoffen. "Ich konnte niemandem mehr trauen." Schließlich schafft er es 2002, mit Bussen und zu Fuß allein zu seinem Bruder nach Bremen zu gelangen. Seine Familie folgt acht Monate später. Die Familie wird nach Lübeck geschickt, von dort in ein Asylbewerberheim nach Neumünster. Vier Monate später kommen sie nach Stormarn.

Die Familie richtet sich eine kleine Wohnung ein. Die Töchter bekommen zwei kleine Geschwister, gehen zur Schule, leben ein fast normales Leben. Aber die Angst, zurück zu müssen, bleibt. Nach fünf Jahren bekommt die Familie endlich eine Aufenthaltsgenehmigung für drei Jahre. Ein neues Gesetz, das bestimmten Minderheitengruppen Schutz bietet, tritt in Kraft. Lueey F. und seine Familie, die Irakischen Christen, fallen darunter.

Stolz zieht der Iraker ein blaues Dokument aus einer Schublade: sein Reiseausweis für Flüchtlinge. Er blättert durch die Seiten. "Ich darf damit nur nicht in den Irak reisen." Der Iraker würde seine Heimat zwar gerne wiedersehen. Aber wieder dort leben? "Was soll ich da? Alles, was ich hatte, ist weg."

Sich in Deutschland ein neues Leben aufzubauen, ist für Asylbewerber schwer. Im ersten Jahr gilt ein Arbeitsverbot, dann sind nur Jobs möglich, für die es keine deutschen Bewerber gibt. Lueey F. arbeitet als Pizzabäcker. "Das ist eine gute Arbeit, aber es ist nicht mein Beruf." Seine irakische Ausbildung zum Konditor wird nicht anerkannt. Erst seit 2007 haben Flüchtlinge zudem Anspruch auf einen Sprachkursus. Mittlerweile spricht Lueey F. die Sprache fließend. Eine wichtige Voraussetzung, um eine unbefristete Niederlassungserlaubnis zu bekommen. "Im Juli soll die Zusage kommen."

Lueey F. ist anzusehen, dass er auf diesen Moment seit langem wartet. Wirklich freuen wird er sich erst, wenn er das Papier in den Händen hält. Zu oft wurden seine Hoffnungen in den vergangenen Jahren enttäuscht.