“Wir respektieren und helfen uns gegenseitig“, sagt Hans-Joachim Bauske, ein Anwohner der ersten Stunde. Jung und Alt leben harmonisch miteinander. Und sogar die Schneekatastrophe mündete in eine Glühweinparty.

Ahrensburg. Die kleine Sackgasse ist leicht zu übersehen, liegt etwas versteckt hinter der Bogenstraße - und wird von ihren Bewohnern der 44 rotgeklinkerten Reihenhäuser geliebt: die Hagenau in Ahrensburg. Am Sonnabend feierten die Anwohner den 50. Geburtstag ihrer Straße.

Pünktlich um kurz vor vier durchbricht die Sonne den wolkenverhangenen Himmel und hüllt den Wendeplatz am Ende der Hagenau in ein warmes Licht. Nachbarn kommen auf die Straße, begrüßen sich herzlich, tauchen ein in ein fröhliches Stimmengewirr. Und wie es sich für ein Jubiläum gehört, stimmen sie zum Auftakt des Festes ein "Happy Birthday, liebe Hagenau" an.

"Wer hier einmal Fuß gefasst hat, fühlt sich wohl", sagt Dieter Kohl in seiner Begrüßungsrede. "Die Hagenau besitzt Charme, ist keine typische Reihenhaussiedlung, sondern einfach unverwechselbar." Seine warmen Worte kommentieren die Anwohner, die auf den Bierbänken zusammengerückt sind, mit einem Lächeln und zustimmenden Kopfnicken. "Für die Menschen hier sind die Häuser nicht nur vier Wände mit einem Dach - es ist ihr Zuhause, in dem sie gern leben."

Seit 2003 wohnt Dieter Kohl mit Frau und Kind in der Sackgasse, im Haus seiner Mutter. "Ich habe mich sofort in das Haus verknallt", sagt Anja Kohl. Es sei schön ruhig und trotzdem sehr zentral. "Die Hagenau strahlt etwas Gemütliches aus. Und es gibt viele Kinder", sagt sie und streicht über den Kopf ihres Sohnes Joshua. Dieter Kohl lacht und sagt: "Meine Mutter hat schon damals gesagt, dass die Hagenau ein sehr gebärfreudiges Becken hat." Besonders stolz seien sie, dass sie in ihrer Häuserreihe die Zäune abgeschafft hätten. "So können die Kinder durch vier Gärten toben."

Ja, die Menschen lebten schon sehr dicht beieinander, sagt Hans-Joachim Bauske. "Wir verstehen uns trotzdem gut", sagt der 80-Jährige und lacht. Vielleicht auch, weil sich die Nachbarn nicht in die Töpfe schauten, aber dafür zusammenhielten. "Wir respektieren und helfen uns gegenseitig." Diese enge und gute Nachbarschaft - das sei eine der Besonderheiten der Straße. "Hier ist noch ein bisschen heile Welt", sagt seine Ehefrau Ingeborg und nippt an ihrem Kaffee. Die beiden sind Bewohner der ersten Stunde - wie etwa sieben weitere Paare. "Wenn ich mich recht erinnere, hatte im Gegensatz zu heute 1959 keiner ein Auto", sagt Hans-Joachim Bauske und schmunzelt. "Die Garagen habe wir als Abstellräume genutzt." Eine Doppelgarage sei sogar als Zahnarztpraxis ausgebaut worden.

An die alten Zeiten kann sich auch Hermann Carstens gut erinnern. "Ich bin 1966 mit Frau und Kind in Haus Nummer 13 gezogen. Unser zweiter Sohn wurde dort geboren. Später haben wir Nummer 19 gekauft", sagt der Rentner. Erlebt habe er viel in all den Jahren. In der Straße, in der er alt werden will. "Etwa die Schneekatastrophe 1979", sagt Carstens, und es hört sich wie der Anfang einer Abenteuergeschichte an. "Es hatte 36 Stunden lang geschneit. Orkanartige Stürme hatten für Schneeverwehungen gesorgt. Nichts ging mehr. Wir waren komplett abgeschnitten von der Außenwelt." Die Menschen seien mit ihren Schaufeln nicht gegen die Schneemassen angekommen. Hermann Carstens grinst verschmitzt und sagt: "Mit einer Flasche Schnaps konnten wir einen vorbeifahrenden Schaufellader in die Hagenau locken, der die weiße Pracht zu einem Haufen zusammenschoben hat." Darauf hätten die Nachbarn erst mal angestoßen. Mit Glühwein. "So ist aus der Katastrophe doch noch ein wunderbares Gemeinschaftserlebnis geworden."

Ein Gemeinschaftsgefühl - das ist auch an diesem Nachmittag zu spüren. Die Älteren schwelgen in Erinnerungen, blättern in alten Fotoalben und beginnen viele Sätze mit "Weißt du noch, damals als..." Eltern schwärmen davon, wie idyllisch ihre Kinder in der Hagenau aufwachsen und wegen des wenigen Verkehrs auch auf der Straße spielen könnten. Statt am Tisch zu plaudern, vergnügen sich die Kinder heute lieber beim Dosenwerfen und Torwandschießen oder flitzen mit ihren Rollern die Straße hoch und runter. Den besten Ausblick hat Lea. Sie hat es sich auf einem Ast der großen Tanne bequem gemacht. "Es ist so schön hier", ruft sie aus luftiger Höhe. "Es gibt viel Freunde zum Spielen und Bäume zum Klettern."

Dass in der Hagenau alle Generationen vertreten sind, sei wunderbar, sagt Meike Tonn. Der jüngste Anwohner ist ein paar Monate alt, die älteste Frau 85 Jahre. "Die älteren Herrschaften strahlen eine gewisse Ruhe aus, sind immer für einen Schnack zu haben", sagt Meike Tonns Ehemann Michael Werner. "Und die Kinder bringen Leben in die Bude." 1993 zog Meike Tonn mit Tochter und Mann in das Haus ihrer Oma. "Hier habe ich schon als Kind gespielt", sagt sie. In der Hagenau gebe es einige, die das Haus von Eltern oder Großeltern übernommen hätten. "Auch eine Besonderheit der Straße", sagt sie. Und was war ihr schönstes Erlebnis? "Es gibt ein Foto von meinem Vater, wie er im Garten in einer Zinkwanne planscht. Daran musste ich denken, als meine Tochter an derselben Stelle zum ersten Mal im Planschbecken saß. Ein schöner Moment."

Zu schätzen wisse sie vor allem die große Toleranz in der Hagenau. "Das ist eher untypisch für eine Reihenhaussiedlung", sagt Meike Tonn. "Außerdem passt hier jeder auf den anderen auf. Wo gibt es das schon noch?" An wenigen Orten - aber in der Hagenau, da gibt es ihn noch: den Sinn für Gemeinschaft.