Rowohlt-Lektorin Katja Sämann hat mit Verleger Alexander Fest dem preisgekrönten Roman “In Zeiten des abnehmenden Lichts“ zum Erfolg verholfen.

Reinbek. Zwei Jahre warten. Vom Manuskript bis zum Buchpreis. In dieser Zeit trafen im Reinbeker Rowohlt Verlag Triumph-Mails ein. Und dann wieder eher kleinlaute Nachrichten: Eugen Ruge im Wechselbad der Gefühle. Mit ihm bangte eine Frau, die genau wie er unter Dampf und vor allem unter Erfolgsdruck stand: Katja Sämann.

Die Lektorin, und mit ihr Verleger Alexander Fest, hatten eine ganze Maschinerie in Gang gesetzt, weil sie an das Erstlingswerk von Ruge glaubten. "Es gab eine große Hoffnung", sagt sie heute, "aber gerade die ist oft schwer auszuhalten." Sie scheiterte nicht. Und Eugen Ruge erst recht nicht. Er trat mit seinem Debüt-Roman "In Zeiten des abnehmenden Lichts" einen Triumph-Zug an - vorbereitet von einer Frau mit Gespür für Literatur.

"Wir haben gedacht, eine Auflage von 60 000 kriegen wir vielleicht hin", sagt Rowohlt-Geschäftsführer Peter Kraus vom Cleff. "Jetzt sind wir bei 330 000 Exemplaren. Ein Glück für den Autor und für jeden hier im Haus. Wir sind alle Überzeugungstäter."

So lässt sich die Energie vorstellen, mit der die Lektorin ihr Projekt verfolgte. "Ruge las 2008 im Literarischen Colloquium am Wannsee, beim Wettbewerb um den Alfred-Döblin-Preis." Sie erinnert sich noch genau. Der erste Eindruck ist noch frisch. "Das hat mich so beeindruckt, dass ich ihm schrieb. Er schickte mir die ersten 70 Seiten des Manuskripts. Da zeigte sich schon der Umfang der historischen und menschlichen Erfahrung, sein Humor und eine Genauigkeit im Blick auf Szenen und Figuren, die man nicht alle Tage findet." Engagiert ging sie für ihre Entdeckung zu Werke. Verleger Alexander Fest unterstützte sie. "Beide, Fest und Ruge, sind Söhne bekannter Historiker. Es gab da irgendwie ein Einvernehmen, von Anfang an", sagt der Rowohlt-Geschäftsführer, der vor wenigen Tagen bestens gelaunt die Lesung Ruges im Reinbeker Schloss verfolgte - Höhepunkt der Veranstaltungsreihe "Der Kreis Stormarn liest ein Buch."

Die Stormarner waren frühzeitig auf der Seite der Lektorin. Noch bevor Ruge den Aspekte-Literaturpreis und vom Börsenverein des Deutschen Buchhandels den Deutschen Buchpreis bekam, hatte sich der Kreis schon für ihn entschieden. Sein Familienroman, der auch ein DDR-Roman ist und 50 Jahre deutsch-deutscher Geschichte erzählt, sollte im Mittelpunkt des von Kreiskulturreferentin Friederike Daugelat initiierten Projekts "Der Kreis Stormarn liest ein Buch" stehen. An diesem Wochenende ist die dreiwöchige Lesereihe zu Ende gegangen - ein bislang einzigartiges Projekt.

Katja Sämann hat erheblichen Anteil daran. Wie eine Handelsvertreterin in Sachen guter Literatur, warb sie für den Roman, bis er im September 2011 erschien. Dabei musste sie auch die eigentlichen Werber einstimmen - bei der Vertreterkonferenz im Verlagsgebäude. "Ich hatte mir meine Rede aufgeschrieben, weil ich so nervös war", sagt sie offen. "Die Vertreter sind unsere ersten Adressaten. Sie tragen unser Programm in die Buchhandlungen." Und das haben sie getan. Ruge-Stapel wohin man schaute.

Warum? Was ist es, das die Lektorin elektrisierte und die Leser begeistert? "Ruge behält den Leser immer im Blick. Er will ihn überraschen, rühren, in Atem halten, hineinziehen in die Köpfe der Figuren, bis sie ihm so vertraut werden, als habe er sie selbst gekannt. Ruges Figuren wirken so lebendig. Das mag auch damit zusammenhängen, dass seine Familiengeschichte in den Roman eingegangen ist." Das ist aber nicht alles. Sämann: "Das Leben so zu verdichten, von der privaten Anekdote zum Gesamtbild einer Zeit zu gelangen, ist die besondere Leistung."

Offensichtlich. 3500 bis 4000 Manuskripte flattern Rowohlt jährlich auf den Tisch. Selten ist eines unter den 20 Titeln, die jährlich im literarischen Programm erscheinen. "Aber alle erhalten ein Antwort", sagt der Geschäftsführer. Ruges Position war komfortabler. Er bekam ein gutes Angebot: ein "liebevolles Lektorat, ein gutes Marketing und einen ordentlichen Vorschuss."

400 bis 450 Bücher bringt der Reinbeker Verlag jedes Jahr heraus. "85 bis 90 Prozent davon bringen kein Geld", sagt der Geschäftsführer. Bei Ruge hat es sich für beide Seiten gelohnt. Inzwischen sind Lizenzverträge mit 20 Ländern unter Dach und Fach. Selbst in die USA hat es der Roman geschafft. Kraus vom Cleff: "Das schaffen sonst nur Autoren wie Schlink oder Süskind."

Eine Freude für die Lektorin, die den Trubel sonst lieber meidet. Sie liebt die stille Arbeit über dem Text. Für Ruge musste sie los - und zwar richtig. "Er ist Marathonläufer. Während eines Gesprächs sind wir stundenlang durch Berlin gegangen, bis mir die Füße brannten." Es hat sich gelohnt. Das Schönste an ihrem Beruf? "Die Arbeit mit den Autoren." Das Schlimmste? "Das druckfrische Buch aufschlagen und einen Fehler finden. Beim Blick auf die erste Seite schießt mir immer das Adrenalin in den Kopf." Bei Ruge hat sie alles richtig gemacht.