CDU-Fraktionchef Joachim Wagner über Atompolitik, Schuldenlasten und “groteske Gedankenfolgen“ im Kreistag

Ahrensburg/Oststeinbek. Er ist ein guter Teamspieler, sagt Landrat Klaus Plöger über seinen Vize. Dieses Lob über Parteigrenzen hinweg gibt der CDU-Politiker Joachim Wagner gern zurück an den Sozialdemokraten Plöger. Und wenn schon einer von beiden in der falschen Partei sei, dann eher Plöger. Das mit der Teamfähigkeit sehen wohl die meisten CDU-Kreistagsabgeordneten so, wenn sie über ihren Fraktionschef sprechen. Immerhin hat der 56-Jährige dieses Amt schon seit 1996 inne. Der bekennende Konservative und CSU-Sympathisant - "bei dieser Partei gab es besonders unter Franz Josef Strauß noch eine klare Sprache" - zeigt gern Kante. Das vermisse der Mann, dessen Musikgeschmack von Hardrock (Led Zeppelin) über Schlager (Helene Fischer und Andrea Berg) bis Marschmusik reicht, in der bundesdeutschen Parteienlandschaft ebenso oft wie auf Kreisebene. Im Interview mit der Abendblatt-Regionalausgabe Stormarn verrät der Oststeinbeker, wo er die drängendsten Probleme für Stormarn sieht, warum er ein Gegner neuer Windkraft-Anlagen im Kreis ist und er ohne schlechtes Gewissen Atomstrom bezieht. Und warum er das Verhalten der Fraktionen von SPD, Grüne, FDP und Die Linke im Streit um die Schulbusbeförderung für "völlig grotesk" hält.

Hamburger Abendblatt:

Sie verstehen sich sehr gut mit Landrat Klaus Plöger. Herr Plöger ist in der SPD, Sie sind CDU-Politiker. Wie passt das zusammen?

Joachim Wagner:

Ich bin nicht in der falschen Partei. Ob Klaus Plöger in der falschen ist, möchte ich nicht beurteilen. Er hat in seiner Amtszeit eigentlich nie die Parteipolitik hochgehalten. Insofern gab es zwischen uns auf politischer Ebene kaum Reibungspunkte. Wir haben uns zum Ziel gesetzt, etwas für die Menschen zu tun und Probleme zu lösen. Das klappt toll, ohne Ideologie oder Scheuklappen. Aber Klaus Plöger könnte auch gut in der CDU sein.

Der Kreis hat eine Schuldenlast von 30 Millionen Euro. Macht Ihnen unter solchen Bedingungen die Arbeit als CDU-Fraktionschef noch Spaß?

Wagner:

Die Arbeit macht auf jeden Fall Spaß. Der Gestaltungsspielraum ist leider seit Jahrzehnten verschwindend gering. Ich bewundere jeden Kommunalpolitiker in den Kommunen, der ganz andere Dinge bewegen kann: hier eine Straße, da ein Bebauungsplan. Das können wir alles nicht. 95 Prozent sind uns vorgegeben im Haushalt. Nichtsdestotrotz muss es Politik geben, die die Probleme löst. Es wäre natürlich schöner, wenn man mal sagen könnte, jetzt haben wir eine Mehrheit, dann machen wir mal dies oder das. Im Grunde genommen verwalten wir Mängel.

Wer Schulden hat, muss auch dafür sorgen, dass Geld hereinkommt. Wie bewerten Sie die Einnahmeseite des Kreises?

Wagner:

Die Steuereinnahmen sind besser geworden, auch dank neuer Gewerbegebiete und den daraus erwachsenen Steuern. Im Vergleich zu anderen Kreisen stehen wir solide da. Aber wir müssen jede Einnahmequelle erschließen. Wir wollen ja auch nicht an der Kreisumlage drehen, weil wir das Problem dann nur auf die Kommunen verschieben. Wir sind gut aufgestellt - sogar eher zu gut. Bei den Gewerbegebieten müssen wir aufpassen, dass wir keine Leerstände produzieren.

Entlang der A 1 gibt es viele neue große Firmen. Das zieht Probleme nach sich, wie zum Beispiel die Lastwagen, die auf kleine Gemeinden ausweichen, weil sie auf der Raststätte Buddikate keinen Platz mehr finden.

Wagner:

Es kann nicht sein, dass man Gewerbegebiete baut und nicht genügend Parkmöglichkeiten für Lastwagen schafft. Da muss eine Lösung her.

Wer soll das regeln?

Wagner:

Das ist Aufgabe der Wirtschaftsförderung. Anregungen für Straßen und Autohöfe müssen von dort kommen. Der Kreisverkehrsausschuss muss sich damit auch beschäftigen.

Viele Stormarner Bürger und Firmen, insbesondere in den Dörfern, klagen über schlechte Internetverbindungen.

Wagner:

Es muss für jeden in Stormarn möglich sein, eine Internetverbindung zu haben. Das muss auch Ziel der Wirtschaft sein. Wir können als Kreis da nur bedingt etwas machen. Wir können das anregen oder anschieben, aber im Grunde genommen ist es dem Spiel der freien Kräfte überlassen.

Die Kreise müssen bald eine europäische Richtlinie zur Neuordnung des Abfallwirtschaftsgesetzes umsetzen. Ein neuer Wertstoffbehälter soll den gelben Sack ersetzen. Was sagen Sie dazu?

Wagner:

Hervorragend. Was mache ich mit meinem Gummiboot, mit meinem alten Plastikfußball? Den schmeiße ich in die graue Tonne. Das ist doch Quatsch. Das sind Ressourcen, die wir wieder verwenden können. Aber sie durften nicht in den gelben Sack. Insofern ist die Einführung der Wertstofftonne für mich der richtige Weg.

Der Müllverbrennungsanlage Stapelfeld droht die Schließung, weil Hamburg, Stormarn und Lauenburg ihre Lieferverträge nicht verlängern.

Wagner:

Stormarn ist nicht der Totengräber der Anlage. Hamburg liefert 85 Prozent der Müllmengen und hat gesagt, sie verlängern nicht.

Wie geht es danach weiter?

Wagner:

Wir haben noch ein paar Jahre Zeit. Es gibt viele Kapazitäten auf dem Markt. Unseren Müll können wir problemlos anderswo unterbringen. So hart es klingt, aber wir brauchen Stapelfeld aufgrund der Müllmengen nicht.

Wird die Müllentsorgung für die Stormarner teurer werden?

Wagner:

Tendenziell wird der Müllpreis nicht steigen, weil wir schon teure Verträge mit Stapelfeld haben. Mittlerweile sind die Verbrennungspreise günstiger. Davon werden wir profitieren.

Die Atomkatastrophe von Fukushima hat zu einem Umdenken bei der Atompolitik geführt. Wie beurteilen Sie den Kurswechsel der Bundesregierung?

Wagner:

Die Umkehr ist richtig. Aber genauso wie man die Atomlaufzeiten so zack, zack verlängert hat, ist auch der zu schnelle Weg raus nicht der richtige. Denn wir können im Moment mit regenerativen Energien nicht die Grundlast befriedigen. Die einzige Alternative ist Windkraft. Aber überall, wo Windkraftanlagen hingestellt werden sollen, gibt es Proteste. Ich möchte die Anlagen in Oststeinbek auch nicht stehen haben. Deshalb: Entweder wir setzen auf konventionelle Kohlekraftwerke oder wir importieren Strom. Mit einem Ausstieg aus der Atomenergie habe ich kein Problem, aber nicht nur in Deutschland. Das hilft uns überhaupt nicht weiter.

Sie sind für eine europäische Lösung?

Wagner:

So muss es sein. Es hilft nichts, wenn wir kein einziges Kraftwerk mehr haben. Wir sind ein Industrieland, der Strom muss irgendwo herkommen. Also werden wir Atomstrom importieren und die anderen Länder haben die Arbeitsplätze und die Steuereinnahmen.

Sehen Sie in Stormarn Entwicklungspotenzial für neue Windkraftanlagen?

Wagner:

Ich möchte sie hier nicht haben. Aber wenn eine Gemeinde meint, sie will unbedingt welche aufstellen, dann ist das halt so.

Beziehen Sie Ökostrom?

Wagner:

Nein. Ich zahle nicht aus ideologischen Gründen mehr Geld dafür.

Themenwechsel: Es gibt eine Studie, wonach jeder fünfte Schüler verhaltensauffällig ist. Aus dem Bildungs- und Teilhabepaket kommen 13 Millionen Euro nach Schleswig-Holstein für Schulsozialarbeiter. Ist das langfristig der richtige Weg?

Wagner:

Ich finde es gut, dass das Land die Kosten übernimmt. Die Kommunen allein sind damit überfordert. Schulsozialarbeit ist sinnvoll, denn die Lehrer können das nicht leisten.

Müssen wir nicht tiefer gehen bei der Ursachenforschung?

Wagner:

Natürlich. Das werden wir nicht mit Geld allein abstellen können. Das Problem fängt im Elternhaus an: Autoritätsverlust. Zu meiner Schulzeit, wenn der Lehrer sagte, "du kommst ins Klassenbuch", dann mussten wir uns zusammenreißen. Heutzutage lachen sich die Schüler tot darüber. Das ist eine Entwicklung über Jahre gewesen, in der viele Fehler gemacht wurden.

Die CDU-Fraktion ist die einzige, die die Vorgabe des Landes, die Eltern an den Schulbuskosten für ihre Kinder zu beteiligen, umsetzen will.

Wagner:

Wir sind als Kommunalpolitiker gewählt, um Gesetze umzusetzen. Die Argumentation der anderen Fraktionen ist grotesk. Der Innenminister hat gesagt, die Beteiligung der Eltern muss angemessen sein. Die anderen Fraktionen sagen, dass null Prozent angemessen sind. Ich habe in meiner ganzen politischen Tätigkeit noch keine groteskere Gedankenfolge gehört.

Was halten Sie für angemessen?

Wagner:

Die CDU hält die von der Verwaltung vorgeschlagenen 30 Prozent für ein bisschen viel und wird im Kreistag 20 Prozent vorschlagen. Das bedeutet zwischen 5,27 und 8,67 Euro pro Monat. Das heißt, wir reden von einer Schachtel Zigaretten im Norden und eineinhalb Schachteln im Süden pro Monat. Das halte ich für zumutbar.

Gibt es eine Einigung im Kreistag?

Wagner:

Uns ist von den anderen Fraktionen schon signalisiert worden, dass sie, egal was wir vorschlagen, nicht zustimmen werden. Wir werden abwarten, dass der Innenminister tätig wird. Ich werde ihn auch persönlich dazu auffordern, wenn es so weit ist.

Der Bund hat mit der Finanzierungszusage die Weichen für die S 4 gestellt. Wie weit soll sie fahren und wo soll sie nach Ihren Wünschen halten?

Wagner:

So oft wie möglich, sonst haben wir wieder den Zubringerverkehr. Ahrensburg, Bargteheide, Bad Oldesloe und Reinfeld - das ist für mich von der Größenordnung her das Minimum.

Herr Wagner, wir danken Ihnen für das Gespräch.