Das Modell hat sich in Stade bewährt. Die Kassenärztliche Vereinigung stellt es trotzdem auf den Prüfstand. Neue Regelung bis 2015.

Stade. Der Bedarf für eine Notfallbetreuung, speziell von Kindern, steigt in der Region beständig. Wie groß er ist, beweisen Zahlen aus Stade. Die Hansestadt gehört neben Hannover, Oldenburg und Osnabrück zu den Orten, in denen ein Notdienst in Kooperation mit einer Klinik angeboten wird. Initiator ist der Stader Mediziner Bernhard Vogel. Er gründete 2004 einen Verein und hob das Angebot in Kooperation mit der Kinderklinik am Elbeklinikum Stade gegen viele Widerstände aus der Taufe.

Seither teilen sich 14 niedergelassene Ärzte und drei angestellte Ärzte aus der Region den Notdienst, sind mittwochs und freitags von 14 bis 20 Uhr, am Wochenende sowie Feiertags von 8 bis 20 Uhr vor Ort. Allein in den vergangenen Wochen besuchten im Schnitt mehr als 100 Kinder pro Tag die Notfallambulanz - vom Frühchen mit Fieber bis hin zum Jugendlichen mit Schulangst. "Am ersten Weihnachtsfeiertag habe ich beispielsweise innerhalb von zwölf Stunden insgesamt 111 Kinder betreut", sagt Vogel.

Damit erkläre sich auch, warum nicht jeder, der die Notfallsprechstunde besuche, sofort im Behandlungszimmer Platz nehmen könne. "Selbst, wenn wir ununterbrochen durcharbeiten, bleiben für jeden Patienten im Mittel sechs Minuten, auch für die schwierigen Fälle. Dieses Zeitfenster ist nicht immer einzuhalten, wenn sie da beispielsweise jemanden mit einer psychischen Störung oder suizidaler Tendenz sitzen haben", sagt der Mediziner.

Dass Patienten aber nicht immer wegen einer schwerwiegenden Erkrankung in der Notfallambulanz vorsprechen, sei mittlerweile Usus, erzählt der Mediziner. Vielmehr müssten die Ärzte immer häufiger auch die vielfältigen Ängste der Eltern behandeln, die Symptome nicht richtig einschätzen könnten. Zum Beispiel: der wunde Po. Oder "Pickel". Am Wochenende kämen auch schon mal Mütter und Väter, die lediglich eine zweite Meinung einholen wollten, die sonst auch in der Woche lange Wartezeiten beim Kinderarzt einplanen müssten und deshalb lieber dann zum Arzt fahren, wenn sie "ein bisschen freie Zeit" hätten. "Ein gängiges Problem ist auch der nächtliche Husten, der die Eltern stört, weniger das Kind. Oder das eitrige Auge, das dringend behandelt werden muss, weil das Kind am Montag wieder in die Kita soll", sagt Ärztin Claudia Strunk. Bernhard Vogel fügt hinzu: "Das sind dann eher gesellschaftliche Probleme. Die Eltern müssen arbeiten und können sich ein krankes Kind nicht leisten."

Nichtsdestotrotz sei es wichtig, allen kleinen und großen Problemen mit Ernsthaftigkeit zu begegnen. "Wenn man nicht aufpasst, flutscht einem ein schwer krankes Kind durch, weil die Eltern sich nicht trauen, zu uns zu kommen. Das wollen wir unbedingt vermeiden. Auch, wenn es für Außenstehende manchmal anders aussieht: In erster Linie behandeln wir Notfälle."

Die Etablierung des kinderärztlichen Dienstes in Stade halten beide Ärzte für gelungen. Auch, weil die Regelung zwar eine Menge Arbeit, aber insgesamt weniger Belastung bedeute. "Der allgemeine Notdienst hat mich früher jedes Mal einen Tag meines Lebens gekostet. Ich musste manchmal dreimal pro Nacht raus zum Patienten und am nächsten Morgen früh in die eigene volle Praxis. Mit dem kinderärztlichen Notdienst mache ich das, was ich gut kann: Kinder behandeln. Und den Nachtdienst übernimmt das Krankenhaus", betont Vogel. Sollte der kinderärztliche Notdienst nach Prüfung des Sicherstellungsausschuss tatsächlich abgeschafft werden, dann befürchtet der Mediziner, dass eine hochwertige Versorgung der Kinder in der praxisfreien Zeit nicht mehr gewährleistet ist. "Unsere Kinder sollten uns das aber wert sein."

Ob das Stader Modell Zukunft hat, muss sich erst noch erweisen. Der Bereitschaftsdienst in Niedersachsen befindet sich seit Jahren im Umbruch. Die Kassenärztliche Vereinigung (KVN) hat mittlerweile landesweit in 50 Kliniken Bereitschaftsgemeinschaften als zentrale Anlaufstellen etabliert; von den ehemals 300 Einzugsgebieten sind nach Zusammenlegung 78 sogenannte Dienstringe übrig geblieben. Am 1. Januar 2015 greift der nächste Grundsatzbeschluss: Zu diesem Stichtag soll der fachärztliche Bereitschaftsdienst landesweit abgeschafft werden. Auch der kinder- und augenärztliche Notdienst, der bislang von der Regelung ausgenommen schien, steht laut eines Votums der Vertreterversammlung auf dem Prüfstand. "Wir werden die Fallzahlen und die Dienstfrequenzen bewerten und erörtern, wie gut der Notdienst in der Vergangenheit angenommen wurde, und dann entscheiden, ob und wie er künftig geregelt wird", sagt Pressesprecher Detlef Haffke.

Bis Juli 2014 soll der Sicherstellungsausschuss eine landesweite Regelung erarbeiten. Die Diskussion um die Sinnhaftigkeit der aktuellen Regelung werde vor allem deshalb geführt, weil die Belastung einiger Ärzte durch den Notdienst in einigen Regionen immens hoch ist. "Wenn relativ wenige Ärzte relativ viele Notdienste leisten müssen, dann hat das auf die jungen Kollegen einen abschreckenden Charakter. Viele wollen sich dort dann lieber nicht niederlassen", betont Detlef Haffke. Anreize für eine Vertragsarztstelle zu schaffen, sei aber notwendig, um dem Ärztemangel auf dem Land entgegenzuwirken und eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten.

Grundsätzlich sei auch in Zukunft die von der KVN unterstützte Anbindung des Bereitschaftsdienstes an ein Krankenhaus sinnvoll und wünschenswert. "Das hat viele Vorteile", sagt Detlef Haffke. "Die Patienten werden im Vorfeld von den Kassenärzten versorgt und können gegebenenfalls sofort stationär aufgenommen werden. Und für viele Patienten ist das Krankenhaus ein bekannter, zentraler Anlaufpunkt in ihrer Region."

Auch Helmut Fricke, Verbandsdirektor der Niedersächsischen Krankenhausgesellschaft (NKG), steht einer verstärkten Zusammenarbeit zwischen Bereitschaftsdienst und Krankenhäusern positiv gegenüber. "Dass der fachärztliche Notdienst eingestellt werden soll, hören wir allerdings zum ersten Mal. Das wird uns vor große Probleme stellen. Denn der Beschluss bedeutet, dass wir noch mehr Fälle im Nachtdienst bearbeiten müssen." Schon jetzt zeichne sich ab, dass überall, wo Ärzte fehlten, immer mehr Patienten sofort ins Krankenhaus gingen. "Der Mehraufwand ist schon jetzt kaum noch zu leisten", sagt Fricke.