Muslime, Hindus oder Buddhisten in Buxtehude und Umgebung haben ihre eigene Art, die christliche Weihnachtszeit zu begehen.

Wilhelmsburg/Buxtehude. Für Ibrahim Erdim war es ein kleiner Kulturschock, als er im November 1981, kurz vor Weihnachten, nach Deutschland kam. Viele Straßen und Häuser waren damals bereits festlich geschmückt und beleuchtet, in Geschäften erklangen besinnliche Lieder, und die Menschen fragten sich, welche Geschenke sie ihren Liebsten wohl in diesem Jahr auf den Gabentisch legen sollten. "Ich hatte all das in der Türkei ja nie erlebt", sagt der 47-Jährige, der an der Schwarzmeerküste aufgewachsen war. Das christliche Fest Weihnachten spielte in seinem islamisch geprägten Heimatland kaum eine Rolle, umso mehr musste Erdim, wie viele andere Einwanderer auch, erst einmal mit den Gepflogenheiten in Deutschland vertraut werden.

Einen Weihnachtsbaum hat er aber bis heute nicht in seiner Wohnung in Wilhelmsburg aufgestellt. "Wer weiß, ob wir das vielleicht eines Tages nicht doch machen", sagt seine Tochter Funda, 20. Sie und ihre beiden Schwestern Sude, 6, und Sedef, 14, sind in Deutschland geboren, die kleine Sude hat sogar als einzige in der Familie einen deutschen Pass. Aber so ganz wollen und können die Erdims, die sich selbst als "nicht so strenge Muslime" bezeichnen, ihre türkischen Wurzeln nicht vergessen. "Wir wissen, was Weihnachten für ein besonderes Fest ist, aber groß gefeiert werden bei uns eher Silvester und die islamischen Feste wie das Ende des Fastenmonats Ramadan oder das Opferfest", sagt Ibrahim Erdim.

Diese Einstellung dürfte exemplarisch für die vieler anderer Migrantenfamilien in Harburg und Umgebung sein. Die Bräuche ihrer Heimatländer sind ihnen vertraut und werden beibehalten, zugleich gehen aber auch die deutschen Traditionen nicht spurlos an ihnen vorüber. "Wenn man hier lebt, sollte man sich in gewisser Weise anpassen", sagt der Familienvater.

In der Schule hätten sie einen Weihnachtsbaum und sängen Weihnachtslieder, erzählt Sude. Auf dem Fensterbrett im heimischen Wohnzimmer steht ein Adventskalender, an dem sie jeden Tag ein Türchen öffnet, dennoch weiß sie, dass sie anders als die christlichen Kinder in ihrer Klasse an Heiligabend nicht mit Geschenken überhäuft wird. Es gibt Süßigkeiten, die Familie isst gemeinsam, aber mehr auch nicht. An ihrer Schule sei das früher nichts Ungewöhnliches gewesen, erinnert sich Funda, die mittlerweile Stadtplanung studiert. "Wir haben im Unterricht alle Religionen kennengelernt und so wusste jeder, dass Muslime andere Feiertage haben als Christen."

Auch Sami Sengül und Serdar Bozkurt, Zweiter und Erster Vorsitzender des türkischen Elternbunds Wilhelmsburg, erleben alle Jahre wieder den Spagat zwischen christlicher und islamischer Tradition. Ähnlich wie die Erdims halten sie es so: Große Geschenke und Tannenbaum nein, gemütliches Beisammen und ein paar Süßigkeiten ja. "Ich kenne aber auch einige, die ihren Kindern große Geschenke kaufen, weil sie nicht wollen, dass sie leer ausgehen", erzählt Sami Sengül.

Der familiäre Charakter des Weihnachtsfests sei für ihn das Wichtigste, sagt Serdar Bozkurt. Dieser Sinn stecke doch eigentlich auch aus christlicher Sicht hinter Weihnachten, ist der Vater zweier Kinder überzeugt. Wenn man so wolle, erinnere ihn die Adventszeit von der Atmosphäre her ein wenig an den Fastenmonat Ramadan. Sami Sengül weiß sogar noch, dass er sich einmal einen Tannenbaum in seine Wohnung gestellt hat. In den 70er-Jahren war das, als er eine deutsche Freundin hatte. "Das war aber nur, weil sie es gerne wollte." Selbst die Tatsache, dass sein Sohn am 25. Dezember, einen Tag nach Jesu Geburt, das Licht der Welt erblickte, bescherte ihm keinen christlichen Namen. Sie nannten ihn Murat. Dennoch betont er, dass jeder Respekt vor der Religion des anderen haben müsse.

Ein Satz, den Kamla Seidel, geborene Singh, sofort unterschreiben könnte. Die Yogalehrerin und Heilpraktikerin aus Buxtehude ist Hindu und kam mit 20 Jahren aus Neu Delhi nach Deutschland. In ihrer indischen Heimat habe sie nur wenig Berührung mit Christen gehabt, erzählt sie. Als sie dann in Hannover war, wo ihre Schwester bereits mit ihrem deutschen Mann lebte, war das Weihnachtsfest für sie ein Buch mit sieben Siegeln. Es könnte an der evangelischen Glaubensrichtung der Familie gelegen haben, denn als Kamla Seidel ihren - katholischen - Ehemann kennenlernte, mit dem sie nach Buxtehude zog und von dem sie mittlerweile geschieden ist, erlebte sie das Fest von einer vollkommen anderen Seite. "Die vielen Heiligen, das Rituelle, die Sternsinger, all das kam mir viel vertrauter vor als das Nüchterne bei den Evangelischen."

So war es für sie keine Frage, dass ihr Mann und sie die zwei Kinder katholisch taufen ließen und sie Weihnachten katholisch feierten, mit einem Hauch von Hinduismus allerdings, denn überall in der Wohnung hatte die Mutter ihre Götterstatuen verteilt.

Wie bei den traditionellen Festen ihres Heimatlandes, dem Lichterfest etwa, achtet Kamla Seidel noch heute auf gutes Essen, ganz viel Herzlichkeit und eine Beschränkung des Materiellen. "Dass die Geschenke immer größer und teurer werden, hat es bei uns nie gegeben." Obwohl ihre Kinder längst erwachsen sind, ziehen sie zu Weihnachten noch immer gemeinsam los zum Weihnachtsbaumkauf, schmücken ihn und verbringen Heiligabend im Kreise der Familie.

Traditionen, auf die die Doerenbruchs aus Buxtehude teilweise verzichten. Die Eltern Astrid und Nils sind vor elf Jahren von evangelischen Christen zu Buddhisten geworden und haben damit auch viele der christlichen Bräuche hinter sich gelassen. Einen Weihnachtsbaum etwa sucht man in ihrem Haus vergebens. Dass die sechs und 14 Jahre alten Kinder deshalb ein Trauma erleiden, glaubt Astrid Doerenbruch nicht, schließlich würden sie bei Oma und Opa regelmäßig den klassischen Weihnachtsbaum erleben.

Geschenke, Kerzen und Lieder wollen die Eltern ihrem Nachwuchs hingegen nicht vorenthalten. Ein Bekannter kommt sogar als Weihnachtsmann verkleidet zu ihnen nach Hause und bringt die Gaben vorbei. "Wir machen das alles nur für die Kinder", betont sie. Sollten die es eines Tages nicht mehr wollen, gäbe es für sie keinen Grund, die Traditionen fortzuführen.

Weil die Doerenbruchs als gebürtige Deutsche anders als Familie Erdim oder Kamla Seidel nicht mit einer fremden Kultur verbunden sind, haben sie aber auch keinen allzu starken Bezug zu buddhistischen Feiertagen. "Wir leben in einem Land mit christlicher Kultur und da ist es gut, dass die Kinder über den christlichen Glauben Bescheid wissen", sagt sie. Zugleich sei den Kindern klar, dass die christlichen Bräuche für sie als Buddhisten im Grunde keine Bedeutung hätten.