Kerstin Schefe leitet den Seemannsclub im Bützflether Hafen. Die junge Frau weiß, dass in den “raubeinigen Seebären“ ein weicher Kern steckt.

Bützfleth. "Willkommen in der Oase" heißt es in Bützfleth für jährlich rund 5000 Seeleute aus aller Welt. Der Seemannsclub der Deutschen Seemannsmission im Stader Seehafen in Bützfleth ist erste Anlaufstelle für die Besatzungen der Schiffe, die hier Rohstoffe für die Industrie entladen. Die Zeit an Land ist kurz und kostbar, für die meisten am wichtigsten ist der Kontakt nach Hause. Dabei hilft das Team der Oase.

Die 31 Jahre alte Diakonin und Sozialpädagogin Kerstin Schefe leitet den Seemannsclub seit November 2011. In Rotenburg (Wümme) geboren und im nahe gelegenen Bothel aufgewachsen, hatte sie mit Seefahrt vorher nicht viel zu tun, "aber ich habe immer das Wasser geliebt". Als junge Frau in der Männerwelt der Seefahrt - ob das funktioniert? Auch Kerstin Schefe hatte sich diese Frage gestellt, als sie sich um die Stelle in Bützfleth bewarb, die frei wurde, als Schefes Vorgänger Ernst-Otto Oberstech im vergangenen Jahr aus gesundheitlichen Gründen ausgeschieden war.

Doch die "raubeinigen Seebären" sind heute offensichtlich nur noch ein Mythos, wie der Besuch in der Oase zeigt. "Alle sind sehr höflich, Anbaggern und Anzüglichkeiten gibt es nicht", sagt Kerstin Schefe. "Wenn sich einer erkundigt, ob ich verheiratet bin, dann bloß aus Neugier."

Modisch gut gekleidet machten sich die Männer auf ihren Landgang, höflich erkundigten sie sich nach einem Internetzugang, nach den Preisen für Telefonkarten, Snacks oder Getränke. Bier, Wein und verschiedene Erfrischungsgetränke gibt es in der Oase zu kaufen, dazu Chips, salzige Erdnüsse und Schokoriegel, aber auch Stade-Souvenirs und Dinge des täglichen Bedarfs. Und wenn an Bord Produkte für die Körperpflege knapp werden, können hier auch Duschgel, Shampoo, Deo und Einmalrasierer erworben werden.

Neben dem Billardtisch und den Musikinstrumenten besonders beliebt ist die Karaoke-Anlage. "Auf den Philippinen ist Karaoke ein Volkssport", sagt Kerstin Schefe. Auch Kleidung sei begehrt. "Die Seeleute brauchen selbst im Sommer warme Kleidung." Jacken, Pullover, Schals, Mützen und Hosen werden deshalb immer gern entgegengenommen - wer Bekleidung spenden möchte, erreicht die Oase unter Telefon 04146/12 33 - geöffnet ist täglich außer sonnabends von 16 bis 22 Uhr.

Doch für die meisten Seeleute ist es am wichtigsten, den Aufenthalt an Land dafür zu nutzen, um sich bei der Familie daheim auf den Philippinen, in China, Russland oder woanders auf der Welt zu melden. Telefonkarten für günstige Handygespräche in die Heimat würden regelmäßig nachgefragt, berichtet Kerstin Schefe, die erste Frage lautete aber meistens: "Can we use the internet?" Egal, welches die Muttersprache der Seeleute ist, in der Oase wird Englisch gesprochen.

International ist auch Nalas Sprache - was sie will, versteht jeder sofort: kuscheln und gestreichelt werden. Erst ein Jahr alt ist Kerstin Schefes Australian-Shepherd-Hündin und entsprechend verspielt. Sie kaut auf einem Stück Schiffstau herum und freut sich über jeden Gast. Die neugierige Hündin ist kontaktfreudig, und den Besuchern gefällt das.

Kerstin Schefe hat den Mut, für die neue berufliche Aufgabe in kaltes Wasser gesprungen zu sein, bisher nicht bereut. "Es macht sehr viel Spaß, ich arbeite gern mit Menschen, das Wasser hat sich gar nicht kalt angefühlt." Die Tätigkeit sei dankbar - "die Seefahrer freuen sich, dass es uns gibt" - und vielseitig, sagt sie. "Ich weiß morgens nie, was auf mich zukommt."

Der Kontakt mit den Menschen an Land ist für die Seeleute wichtig, und Kerstin Schefe und ihr Team haben ein offenes Ohr für sie. Mancher will über Sorgen sprechen, zum Beispiel über die Angst vor Piratenüberfällen. Einige der Oase-Besucher sind alte Bekannte, die regelmäßig herkommen, viele halten den Kontakt per E-Mail aufrecht, wenn sie auf den Weltmeeren unterwegs sind. Die Seeleute kommen aus Asien, Ost- und Westeuropa - die meisten sind von den Philippinen.

Erickson Busalla ist einer von ihnen. Er gehört zur Besatzung des Bulk Carriers "Marichristina", einem unter Malta-Flagge fahrenden, 225 Meter langen Massengutfrachter. Für Erickson Busalla wie für die meisten seiner Kollegen ist die Zeit an Land kurz. Doch es gibt auch Ausnahmen. Ein Kollege und Landsmann des Seemanns weiß noch nicht, wie es weitergeht - eine Anschlussfahrt nach Frankreich ist gerade storniert worden. Er hat sich ein Taxi gerufen und will sich nun erst einmal Stade ansehen.

Der Seehafen Stade ist, gemessen am jährlichen Umschlag, der drittgrößte in Niedersachsen nach Wilhelmshaven und Brake. Seit 1986 bietet die Seemannsmission hier eine Anlaufstelle für Seeleute aus aller Welt, 1995 wurde das Haus am Dow-Nordtor eröffnet. Weltweit sind bei der Deutschen Seemannsmission 700 Mitarbeiter in rund 30 Häfen beschäftigt.

Gerade ist die Oase renoviert worden, der Fußboden ist neu, und die Wände wurden gestrichen. Deshalb wird in diesem Jahr das Sommerfest, bei dem sich alljährlich Landbewohner und Seeleute zur Völkerverständigung treffen, erst im Oktober und dann zugleich als Renovierungsparty gefeiert.