Soldaten aus der Theodor-Körner-Kaserne werden in einem Gefechtsübungszentrum auf den Einsatz vorbereitet. Das Abendblatt war dabei.

Bubumm. Bubumm. Nur mein Herzschlag ist zu hören, alle anderen Geräusche werden von den Ohrenstöpseln und dem Funkhelm verschluckt. Gespenstisch, unwirklich. Die Sekunden dehnen sich, der Puls wird schneller. Dann rollt der Panzer, aus dem ich oben aus der Luke blicke, los. Mitten ins feindliche Gelände.

Wir erreichen unser Ziel - einen Hügel, auf dem die Soldaten zur Radaraufklärung aufgehen sollen - ohne Zwischenfälle. Erst am Nachmittag, erzählt mir der Kommandeur des Lüneburger Aufklärungslehrbataillons 3 später, werden Taliban angreifen. Es wird wohl Verletzte geben. Vielleicht sogar Tote.

+++ Eines der modernsten Ausbildungszentren weltweit +++

Echtes Blut wird dabei allerdings nicht fließen. Die Soldaten der zweiten Kompanie aus der Lüneburger Theodor-Körner-Kaserne befinden sich nicht in Afghanistan, sondern in der Letzlinger Heide nördlich von Magdeburg. Auch die Taliban sind nicht echt, sondern verkleidete Soldaten. Und statt scharfer Munition sind die Waffen mit AGDUS (Ausbildungsgerät Duellsimulator), dem laserbasierten Waffentrainingssystem der Bundeswehr, bestückt. Wenn es piept, bist du tot. Oder zumindest verwundet.

Was aussieht wie eine Partie Gotcha und "echt Spaß macht", wie ein Soldat bestätigt, ist aber keiner. 2014, wenn die zweite Kompanie ihren Dienst in Afghanistan antritt, wird aus dem Spiel blutiger Ernst. Damit die Deutschen dann gut vorbereitet sind, trainieren sie derzeit im Gefechtsübungszentrum (GÜZ) Letzlinger Heide, einem der modernsten militärischen Ausbildungszentren der Welt.

Fast das gesamte in Lüneburg stationierte Aufklärungslehrbataillon 3 ist für zehn Tage in das Truppenübungszentrum gereist, nur die vierte Kompanie hat noch nicht die erforderlichen Voraussetzungen. Ernst wird es bald nicht nur für die zweite Kompanie; auch die fünfte muss mit einem Einsatz rechnen: Vom kommenden Januar an sind die Lüneburger Soldaten für ein halbes Jahr Teil der multinationalen EU-Battlegroup (EUBG). Eine "ganz besondere, spannende Aufgabe", wie Kommandeur Christian Freuding betont.

+++ Lüneburg kann erst 2018 mit Kasernen-Grundstück rechnen +++

Die Soldaten lässt das relativ kalt - zumindest sagen sie das, als sie abends nach dem Stiefelputzen noch vor ihrer Baracke im GÜZ sitzen. Schließlich waren fast alle von ihnen schon in Afghanistan, manche sogar mehrmals. Ob sie der Einsatz verändert hat? Schulterzucken. "Ich kann besser mit Befehlen umgehen, die mir nicht so gut gefallen", sagt einer. Sein Kamerad meint: "Stimmt. Und es stört mich auch nicht mehr, wenn einer seine Stiefel nicht perfekt geputzt hat. Ich weiß ja: Am nächsten Tag liege ich wieder mit ihm zusammen zwischen Skorpionen auf der Erde, und dann rettet er mir vielleicht den Arsch. Das ist wichtiger als Klamotten."

Gut gefällt ihnen, dass sie für ihre neue Aufgabe auf höchstem Niveau ausgebildet werden. "Es ist schon toll, dass man ein bisschen privilegiert behandelt wird. Man wird deutlich besser ausgebildet als andere", sagt jemand, die anderen nicken. Einer von ihnen ist vor drei Monaten Vater geworden. Wenn die EUBG zum Einsatz beordert wird, ist das Kind noch kein Dreivierteljahr alt. Trotzdem würde er gehen, "selbstverständlich". Aber er würde sich wünschen, dass er nicht ein volles halbes Jahr von zu Hause weg ist.

Wahrscheinlich wird er überhaupt nicht fort müssen. "Seit 2004 gibt es das Konstrukt EUBG, aber noch nie wurde eine eingesetzt", erklärt Hauptmann R., Kompaniechef der fünften Kompanie. Falls doch ein Einsatz käme, wäre völlig unklar, wo. "Das kann überall auf der Welt sein, von der Arktis bis zum Kongo." Das mache die Vorbereitung extrem schwierig. "In Afghanistan wissen wir, was uns erwartet. Wir kennen die lokalen Gegebenheiten, die klimatischen Verhältnisse, die gesellschaftlichen Strukturen", sagt der R. "Jetzt wissen wir gar nichts. Wir rechnen einfach mit dem Schlimmsten und trainieren für das Gefecht höchster Intensität."

Dazu haben die Soldaten im GÜZ modernste Mittel zur Verfügung. Bis ins kleinste Detail werden von den Soldaten des im Übungszentrum stationierten Bataillons alle möglichen Szenarien nachgestellt - vom feindlichen Hinterhalt über die Kontaktaufnahme mit Einheimischen bis hin zum Selbstmordattentat in einer Polizeistation, das von den "GÜZlingen" geradezu liebevoll für die künftigen Mitglieder der EU-Battlegroup inszeniert wurde. In einer riesigen (Kunst-)blutlache liegen die Überreste des Attentäters, (Schaumstoff-)Gedärme sind in mehreren Metern Umkreis verstreut, in einem Schuh steckt ein abgerissener Fuß. Kritisch von den GÜZ-Offizieren beäugt, sichern die Lüneburger die Umgebung, bringen die stöhnenden, blutenden Kameraden und Polizisten in ein sicheres Gebäude, fordern Verstärkung an. "Nicht alles war zweckmäßig", urteilt ein Ausbildungs-Offizier, und ein anderer erklärt: "Es gibt kein Richtig oder Falsch bei uns. Denn was in der einen Situation falsch ist, kann in einer anderen wieder richtig sein. Deshalb sprechen wir von zweckmäßigen und unzweckmäßigen Aktionen."

Per Video werden alle Einsätze dokumentiert, Funksprüche werden mitgeschnitten. "So können alle Aktionen analysiert werden, jeder einzelne Soldat kann sehen, was genau passiert ist", erklärt Kommandeur Freuding. "Wenn wir das zu Hause in Wendisch Evern trainieren, haben wir diese Möglichkeit nicht." Der Lerneffekt sei deshalb im GÜZ ungleich größer.

Während sich die Soldaten der künftigen EUBG durch das Gebüsch kämpfen, probt ihr Führungsstab den Ernstfall am Computer - Cyberwar in der Letzlinger Heide. In einem simulierten Gefechtsstand, wie das Führungszentrum genannt wird, laufen die Meldungen ein. Feindsichtungen, Truppenbewegungen, Minenfunde, Drogenplantagen, Kontakte mit (freundlich, neutral oder feindlich eingestellten) Einheimischen, Vergewaltigungen, Gefechte - alles wird auf einer Landkarte mit kleinen Zettelchen vermerkt und in Echtzeit aktualisiert.

Geschickt werden die Nachrichten aber nicht aus dem Feld, sondern aus einem 25 Kilometer entfernten Computerzentrum, in dem mehrere Soldaten vor unzähligen Bildschirmen sitzen. "Wir arbeiten mit SIRA, einer Gefechtssimulations-Software", erklärt Hauptfeldwebel Michael W., Fernmeldefeldwebel des GÜZ. "Der Computer gibt eine Ausgangssituation vor, die sich dann in die eine oder andere Richtung entwickelt - je nachdem, welche Befehle aus dem Gefechtsstand kommen."

Denn dann wird das, was jetzt auf einzelnen Stationen eingeübt wird, zusammengeführt. 72 Stunden werden die Soldaten dann in der Letzlinger Heide im Einsatz sein und spähen, aufklären, kämpfen, Kameraden retten. Sie werden kaum schlafen, nicht duschen, Tütenfutter essen, keine Minute Privatsphäre haben. Vielleicht werden sie am Ende tot sein. Glücklicherweise nur virtuell.