Die Restauratorin und Konservatorin präpariert in ihrem Labor Grabbeigaben aus Riensförde für das Schwedenspeicher Museum.

Hemmoor. Imke Berg arbeitet in ihrem Labor in Hemmoor mit der Präzision eines Uhrmachers. Mit ihrem Zahnarzt-Besteck entfernt die Restauratorin und Konservatorin die Erde, in der seit vielen Jahrhunderten die Grabbeigaben der Toten von Riensförde konserviert wurden. Und was sie dabei freilegt, ist mindestens ebenso sensationell wie die Entdeckung des Gräberfelds in Riensförde. Von hier stammen die Grabbeigaben, die Imke Berg gerade freilegt und für das Schwedenspeicher Museum in Stade präpariert. Immer wieder spritzt Imke Berg Epoxydharz durch die Erde auf den Fund, um ihn an brüchigen Stellen zu härten. Feuchtigkeit und Dreck haben Teilen des Materials in den vergangenen Jahrhunderten übel mitgespielt. Trotzdem, was die Zeit von dem Fund übrig gelassen hat, überrascht auch die Fachfrau in ihrem kleinen Labor. Die Archäologen haben aus einem Grab ein kleines Messerchen geborgen. Nach wochenlanger Arbeit ist eines klar: Die Menschen, die um das Jahr 800 auf diesem Friedhof begraben wurden, hatten ausgezeichnete Handwerker.

Schon das Gräberfeld hat die archäologische Fachwelt verblüfft. Bis vor einigen Jahren galt noch die Theorie, dass der Elbe-Weser-Raum um die Zeit der Zwangschristianisierung, also etwa im 8. Jahrhundert, fast menschenleer war. In Riensförde fanden Archäologen vor einigen Wochen ein Gräberfeld mit einem Scheiterhaufen und etwa 70 Gräbern. Anhand der Ausrichtung der einzelnen Grabstätten gehen die Fachleute davon aus, dass der Friedhof kurz vor bis kurz nach der Zwangschristianisierung benutzt wurde. Heidnische Gräber waren in nord-südlicher Richtung ausgerichtet, Christen richteten dann ihre Grabstätten in west-östlicher Richtung aus.

+++ Ein Mann holt alle Museen in ein Boot +++

Für die neue Geschichtsschreibung heißt das: Zwischen der späten Völkerwanderungszeit und dem frühen Mittelalter, also zwischen 700 und 900 nach Christus, war diese Gegend sehr wohl besiedelt. Nicht alle Altsachsen waren offensichtlich vor Pest und schlechtem Klima nach England geflüchtet, in der Hoffnung, dort auf bessere Lebensumstände zu treffen. "Das Gräberfeld schließt somit auch für den Stader Raum die Siedlungslücke zwischen der späteren Völkerwanderungszeit und dem frühen Mittelalter. Die beigabenreichen Gräber sind vielleicht ein erster Nachweis für ein lokales Herrschergeschlecht aus der Zeit vor der fränkischen Annexion, das auch die Herrschaft über die Schwedenschanze ausübte", sagt Stades Stadtarchäologe Andreas Schäfer.

Um die fragilen Grabbeigaben durch die Grabung nicht zu zerstören, wurden sie mit dem Erdreich in kleinen Blöcken geborgen und anschließend mit einer Gipsschicht ummantelt. Archäologen nennen diese Art der Fundbergung Blockbergung. Einige dieser Blockbergungen werden derzeit von der Restauratorin in Hemmoor freigelegt. Imke Berg dokumentiert, zeichnet, digitalisiert und fotografiert jeden Schritt ihrer Tätigkeit. Es ist Puzzle-Arbeit. Aus allen Informationen, die sie über Lage, Größe und Beschaffenheit der Grabbeigaben festhält, entsteht später ein genaueres Bild davon, wie die Menschen lebten und arbeiteten.

Damit lassen sich solche Funde wie in Riensförde zeitlich sehr genau einordnen. "Meine Arbeit kann man sich im Grunde wie eine Mini-Ausgrabung vorstellen. Anhand der Röntgenaufnahmen, die in der Stader Klinik Dr. Hancken gemacht und mit den Blockbergungen aus Riensförde nach Hemmoor geliefert wurden, war davon auszugehen, dass zum Beispiel in dieser Blockbergung ein kleines Messerchen sein würde", sagt die Restauratorin, die sich vor einigen Jahren mit dem Archäologen Wolfgang Scherf selbstständig gemacht hat. Nicht immer werden die Blockbergungen gleich mit Röntgenaufnahme in Hemmoor angeliefert. Imke Berg fährt dann zu ihrem Tierarzt, der die Gipsquader röntgt. Auf der Aufnahme kann die Restauratorin sehen, wie sie freilegen muss, ohne den Gegenstand im Erdblock zu zerstören.

Den Toten wurden in der Regel Gegenstände mit in ihr Grab gelegt, die sie zu Lebzeiten benutzten. Berg: "Ich gehe also davon aus, dass dieses Messerchen aus dem Grab eines Mannes stammt." Das wenige Zentimeter lange Messer hat einen Holzgriff und eine Hornscheide. Die organischen Teile seien überraschend gut erhalten und die Klinge überaus fein gearbeitet, sagt Imke Berg. Anhand der verwendeten Materialien schließt die Restauratorin einen römischen Import aus und vermutet, dass das Messer hier angefertigt wurde. Das wiederum lässt darauf schließen, dass die "Handwerkskunst in dieser Gegend sehr weit entwickelt gewesen sein muss", so Berg.

Ihr Kollege Wolfgang Scherf sagt: "Wir bilden uns oft ein, dass nur wir in heutiger Zeit Waren aus fernen Ländern importieren. Aber die Menschen früher haben mehr auf die Beine gestellt, als man denken mag." Scherf und Berg haben bei anderen Grabungen Südseemuscheln gefunden. Das beweise, dass die Menschen auch ohne Lkw, Hochseefrachter oder Flugzeug Waren von weit her importierten.

Und eine weitere wichtige Information für die Archäologen und Besucher des Stader Schwedenspeichermuseums kann die Restauratorin liefern: "Ich war erstaunt darüber, wie kunstvoll dieses Messerchen gearbeitet ist. Material und Verarbeitung lassen darauf schließen, dass der Tote reich und angesehen war."