Altländerin geschockt: Projektil eines Jägers durchschlägt Haus- und Zimmerwand in der ersten Etage. Schütze spricht von einem “Abpraller“.

Hollern-Twielenfleth. Es klingt unglaublich und ist doch wahr. Mittwoch, 15 Uhr. Eine junge Frau arbeitet am Schreibtisch. Im Nebenzimmer liegt ihr Hund auf Sichtkontakt in seinem Körbchen, als ein gewaltiger Knall das Haus erschüttert. Kalk- und Mörtelstaub wirbelt auf, der Hund kriecht verstört zu seinem Frauchen, die völlig geschockt das Unfassbare realisiert: Ein Projektil aus einem Jagdgewehr hat die Außenwand im Obergeschoss des Hauses am Rande eines Obsthofes durchschlagen. Es pfiff durch das Zimmer, in dem der Hund lag und durchschlug im anschließenden Wohnraum die Wand. Etwa 1,40.Meter neben der Frau steckte die Jagdmunition in der Wand mit der zerfetzten Tapete.

"Ich bin sofort raus und sah den Jäger zwischen den Apfelbäumen", sagt die Altländerin. Als sie ihn zur Rede stellt, sagt der Mann, er habe einen Marder schießen wollen. Dem Polizeibeamten gibt der Schütze zu Protokoll, auf einen Fuchs geschossen zu haben. Nun müssen die Ballistiker der Polizei klären, warum und wie das Projektil in die erste Etage des Wohnhauses gelangen konnte.

Die junge Frau (Name ist der Redaktion bekannt) ringt zwischen Zorn und Entsetzen. "Im Garten spielen oft meine Nichten. Auch meine Schafe standen direkt in der Schusslinie", sagt sie empört. Das Gefühl, dass so nah neben ihr ein Geschoss zwei Zimmerwände durchschlagen hat, geht ihr auch Stunden nach dem Vorfall unter die Haut. "Wenn ich daran denke, dass es Menschen hätte treffen und verletzen können, dann bin ich noch immer entsetzt."

Stades Polizeisprecher Rainer Bohmbach sagt, dass die Ermittlungen noch andauern. "Bislang ist noch ungeklärt, ob es sich um einen Querschläger handeln könnte", sagt Bohmbach. Nur so viel stehe fest, der Schütze aus Bassenfleth hatte in diesem Obsthof das Jagdausübungsrecht. Er bestreite auch nicht, geschossen zu haben, so Bohmbach. Ein Alkoholtest ergab, dass der Schütze nüchtern war, so die Polizei.

+++ Mächtig aus der Bahn geraten +++

Das Geschoss wird nun von den Polizeibeamten untersucht. Es handelt sich um übliche Jagdmunition vom Kaliber 30-06. Der Jäger muss mit einer Strafanzeige wegen Sachbeschädigung rechnen, da Personen nicht verletzt wurden. Nach dem Polizeibericht wird der Landkreis als zuständige Jagdbehörde entscheiden, ob bei dem 69-jährigen Jäger die "Zuverlässigkeit nach dem Waffenschutzgesetz" gegeben ist. "Wir prüfen, ob die Sorgfaltspflicht im Sinne des Jagd- und Waffenrechtes gegeben war", sagt Stades Erster Kreisrat Eckart Lantz. Das Niedersächsische Jagdgesetz mache Jägern keine gesetzlichen Vorschriften, welchen Abstand sie zu Wohnhäusern einhalten müssen, wenn sie schießen wollen. Nach Paragraf 9 des Jagdgesetzes, gehört es zur Sorgfaltspflicht des Jägers, in sicherem Abstand von "befriedeten Bezirken", also eingezäunten Gebäuden, Hofräumen oder Gärten, in denen sich Menschen aufhalten, zu schießen.

Der Schütze Günter M. kann sich nicht erklären, wie sein Geschoss so gefährlich aus der Bahn kommen konnte. Es müsse wohl ein Abpraller gewesen sein, so der Schütze, der laut Messungen der Polizei etwa 200 Meter vom beschädigten Haus entfernt schoss. "Das passiert öfter bei der Jägerei, dass jemandem eine Kugel um die Ohren fliegt. Nun ist es mir passiert", sagt der passionierte Schütze, dessen ganze Familie seit Generationen jagt. "Es tut mir wirklich sehr leid, und ich habe mich bei der jungen Frau auch entschuldigt." Er werde oft von Nachbarn gebeten, dort Fuchs und Marder kurz zu halten, deshalb sei er häufig in dem Obsthof auf der Pirsch.

Tatsächlich sei das Alte Land mit seinen langen Kulturreihen für solch einen Vorfall prädestiniert, sagt Peter Heinsohn, Vorsitzender der Jägerschaft im Landkreis Stade. "Schießt der Jäger Wild zwischen den Obstbaumreihen, kann das Geschoss an Zweigen oder Steinen so abprallen, dass die Flugbahn unberechenbar wird", erklärt Heinsohn das Problem. Die Jäger im Alten Land seien sich dessen durchaus bewusst, dennoch geschehe es.

Das 30-06-Kaliber sei eine übliche Größe, mit der per Kugelbüchse auf jedes Wild geschossen wird. Die Patrone ist 6,3 Zentimeter lang und das Geschoss hat einen Durchmesser von 7,62 Millimetern, so Heinsohn. Während Schrot eine Reichweite von etwa 25 bis 30 Metern habe, sei die einer Kugel mit 100 Metern angegeben, so Heinsohn. "Sie kann aber durchaus bis zu vier Kilometern weit fliegen", sagt der Vorsitzende der Kreisjägerschaft.